Vor dem 27. September will sich der Bundesrat eigentlich nicht mehr öffentlich zum Rahmenabkommen mit der Europäischen Union äussern. Wenn das Volk an diesem Tag die sogenannte Begrenzungs-Initiative der SVP verwirft, werde die Schweiz Brüssel später einen Vorschlag unterbreiten, so Aussenminister Ignazio Cassis (59). Wird die Vorlage hingegen angenommen, hat der Tessiner grössere Sorgen.
Denn ausgerechnet ein anderer Tessiner dürfte dem europapolitischen Fahrplan des Bundesrats bald an vorderster Front entgegentreten: Marco Chiesa (45), der in drei Wochen neuer Präsident der grössten Partei im Land sein wird – zumindest wenn es nach der SVP-Findungskommission geht.
Überraschende Nominierung
Chiesas Nominierung hat manche in seiner Bundeshausfraktion überrascht. Der Ständerat aus Lugano TI zählte nicht zu den Favoriten. Vor wenigen Monaten nahm er sich sogar offiziell aus dem Rennen. Bestimmen ihn die Parteidelegierten am 22. August in Brugg AG aber zum neuen Parteichef – womit zu rechnen ist –, markiert die Volksabstimmung über den EU-Kurs der Schweiz bereits einen Monat später seinen ersten wichtigen Test.
Als Vertreter des Tessins glaubt Chiesa, die Vorlage überzeugend vertreten zu können. «Wie alle Grenzregionen ist auch das Tessin zuerst und massiv von den negativen Folgen der Personenfreizügigkeit betroffen», teilt er auf Anfrage mit. «Wir erleben täglich, was es bedeutet, wenn unkontrolliert Zehntausende billige EU-Ausländer auf unseren Arbeitsmarkt drängen.»
Die SVP schwächelt
Erste Umfragen geben der Vorlage derzeit wenig Chancen. Überhaupt schwächelt die SVP zur zeit. Die Wahlniederlage im Herbst und die harzige Suche nach einem Nachfolger des abtretenden Präsidenten Albert Rösti (52, BE) haben Spuren hinterlassen.
Gerade an der Basis wartet auf den neuen Parteichef viel Arbeit. Chiesa: «Es gibt einige Sektionen, die sehr gut funktionieren, und andere, die zu viele Dinge als selbstverständlich hingenommen haben oder die zu sehr mit sich selber beschäftigt waren.»
Die Partei habe jedoch aus der Lektion vom Oktober ihre Schlüsse gezogen: «Wir haben letztes Jahr zwar verloren, doch die SVP ist mit 25,6 Prozent Wähleranteil noch immer die stärkste Partei der Schweiz.»
Auf die Frage, wie sich die SVP aufstellen muss, um wieder Wahlen zu gewinnen, reagiert Chiesa zurückhaltend: «Ich kenne nur einen Weg, um die Herzen der Menschen zu erreichen. Das ist, Leidenschaft in die Dinge zu stecken, die man tut, und bescheiden zu bleiben.»
Die Rechtspartei hat auch schon kämpferischer getönt.