Manuel Bessler, Schweizer Hilfskorps-Chef, über die Lage in Haiti
«Noch schwieriger als beim Erdbeben»

Haiti leidet unter den Folgen von Hurrikan «Matthew», Wasser und Nahrung sind Mangelware. Wie leistet die Schweiz Hilfe vor Ort?
Publiziert: 10.10.2016 um 17:22 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 02:49 Uhr
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Bilder der Zerstörung: Das Schweizer Helferteam dokumentiert die Lage in Haiti.
Christof Vuille

Hurrikan «Matthew» hat im verarmten Karibik-Staat Haiti eine Spur der Verwüstung hinterlassen und über 1’000 Tote gefordert. Mittlerweile kämpfen die Regierung und Helfer vor Ort damit, die Bevölkerung mit genügend Nahrung und Trinkwasser zu versorgen und Krankheiten wie Cholera einzudämmen.

Auch ein Schweizer Sofort-Einsatz-Team, kurz SET, des Schweizerischen Korps für Humanitäre Hilfe (SKH), ist seit Freitag vor Ort. Dieses umfasst zwölf Personen und ist im Südwesten der Insel im Ferienort Port Salut einquartiert. Das Schweizer SET besteht aus sechs eingeflogenen SHK Experten für Trinkwasseraufbereitung, Logistik und Bau von Unterkünften.

BLICK war heute Morgen beim Rapport der Humanitären Hilfe der Schweiz, die innerhalb der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) angesiedelt ist, in Bern dabei. Rund 20 Expertinnen und Experten sind für die Organisation der Hilfe vor Ort zuständig.

Auch ein Vertreter des Roten Kreuzes nahm am Meeting teil. «Apokalyptisch» sei die Lage vor Ort, hiess es. In den nächsten Tagen sollen weitere Experten nach Haiti reisen. Nach der rund 90-minütigen Koordinationssitzung konnte sich BLICK mit Manuel Bessler, dem Delegierten des Bundesrates für humanitäre Hilfe und Chef des SKH, über die Situation in Haiti unterhalten.

Manuel Bessler zeigt BLICK auf einer Haiti-Karte die Transportwege.

BLICK: Herr Bessler, wie beurteilen Sie die Lage in Haiti?
Manuel Bessler:
Einmal mehr steht eines der ärmsten Länder vor riesigen Herausforderungen. Der Sturm hat die Inseln wie ein Rasenmäher getroffen. Vor allem die südwestliche Spitze Haitis wurde sehr stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Schätzungen von rund 1‘000 Toten dürften stimmen.  Deshalb hat die Schweiz schon am Freitag letzte Woche entschieden, ein SET zu entsenden, um an mehr und v.a. genauere Informationen zu bekommen. Seit Samstag ist unser Team im Einsatzgebiet.

Um was für Personen handelt es sich?
Das sind Schweizerinnen und Schweizer, die als Ingenieur, Wasserspezialist oder Logistiker einen Job hier in der Schweiz, in der Privatwirtschaft haben. Gleichzeitig sind sie aber auch Mitglieder des SKHs und haben einen Vertrag mit uns, um im Krisenfall, wie jetzt in Haiti, schnell eingesetzt werden zu können. Ein SET ist jeweils entsprechend den Bedürfnisse vor Ort zusammengestellt: im Fall von Haiti haben wir Wasserspezialisten, Architekten und Logistiker eingesetzt, wie auch einen Sicherheitsexperten.

Helfen Ihnen die Erfahrungen aus der Erdbebenkatastrophe von 2010?
Ja, wir können auf den Kontakten von damals aufbauen. Gerade im Wiederaufbau hat sich die Schweiz stark engagiert und viel Glaubwürdigkeit in Haiti. Die Schulhäuser, die wir damals gebaut haben, stehen auch nach dem Sturm alle noch. Der grösste Unterschied zum Erdbeben besteht bei einem Hurrikan darin, dass bei einem Sturm einfach alles zerstört und weggeschwemmt wird. Das macht die Versorgung der Menschen mit Trinkwasser und Nahrung noch schwieriger als beim Erdbeben.

Foto: © PASCAL MORA

Mit welchen Problemen haben Ihre Mitarbeiter zu kämpfen?
Erstens einmal der Zugang ins Einsatzgebiet: viele Strassen und v.a. Brücken sind nicht mehr passierbar. Dann die Sicherheit, aufgrund der Erfahrungen von 2010 haben wir auch einen Sicherheitsbeauftragten eingesetzt. In Haiti gibt es gerade auf dem Land praktisch keine Polizei. Auch die Uno ist nur wenig präsent. Bei Verteilaktionen kommt es immer wieder zu Chaos und Handgreiflichkeiten. Wie wir nun eben erfahren habe, ist auch das verschmutzte Trinkwasser für unser Team ein Problem. Es funktioniert praktisch nichts mehr, die Distanzen sind gross und die Verbindungen schlecht, auch die Logistik wird also eine grosse Herausforderung werden.

Schwierig scheint sich der Transport von Material und personellem Nachschub aus der Schweiz zu gestalten.
Wenn möglich versuchen wir, das Nötigste vor Ort zu kaufen, um auch die dortige Wirtschaft zu unterstützen. Der Preis von Wellenblech hat sich aber in den letzten Tagen verfünffacht. Dann ist es manchmal günstiger, Material einzufliegen. Unsere Logistiker prüfen, ob wir ein Flugzeug chartern oder zusammen mit Hilfswerken eine Ladung zusammenstellen. Eine weiter Option ist die Benutzung des Bundesratsjets. Der ist zwar klein, aber vielseitig einsetzbar. Wir haben mit diesem Jet sehr gute Erfahrungen während dem letztjährigen Einsatz nach dem Erdbeben in Nepal gemacht. Leider ist der Jet diese Woche nicht verfügbar.

Wie lange bleibt das SET im Feld?
Sicherlich über längere Zeit, aber die Personen werden regelmässig abgelöst. Je nach Arbeitgeber unserer Korpsangehörigen können sie ein paar Wochen bleiben. Gegenwärtig laufen die Drähte natürlich heiss, um genügend Personal zu haben.

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