Frau Martullo-Blocher, bei der Debatte um die Selbstbestimmungs-Initiative der SVP geht es im Parlament hoch zu und her. Sie sind aber nicht nur SVP-Politikerin, sondern auch Vorstandsmitglied von Economiesuisse. Der Verband bekämpft die Vorlage. Wie passt das zusammen?
Magdalena Martullo: Economiesuisse meint, das Volk wolle die internationalen Verträge abschaffen. Dabei ist das Volk viel intelligenter als die Verbände und Politiker. Die Schweizer wollen durchaus internationale Verträge, aber nur wenn sie der Schweiz etwas nützen! Eingegangene Verträge kann man anpassen oder kündigen. Das können Sie sogar bei einer Ehe. Haarsträubend sind die anderen Parteien: Sie behaupten, das Volk fahre die Schweiz «an die Wand», es herrsche eine «Volksdiktatur» und das Volk wolle die Menschenrechte abschaffen! Sie wollen das Volk ausschalten. Das geht zu weit!
Das sehen alle ausser der SVP anders. Warum?
Weil sie sich im Glanz der grossen Organisationen sonnen wollen. Sie wollen dort «wichtige Posten» annehmen und beliebt sein. Ich selber geschäfte jeden Tag international und sehe diese hohlen Gebilde, die weit von der Realität und vom Bürger weg sind – ich lasse mich nicht verführen. Und das Volk hoffentlich auch nicht! Das sind gar keine Volksvertreter mehr in Bern. Sie verkaufen das Volk ans Ausland! Weshalb wählen die Bürger solche Politiker überhaupt noch?
Glauben Sie tatsächlich, wir erleben undemokratische Zeiten?
Ja. Wir müssen bereits wegen internationaler Verträge und Mitgliedschaften Bankdaten an korrupte Staaten liefern, wir können kriminelle Ausländer nicht ausweisen, unsere Soldaten müssen die Waffen registrieren, unqualifizierte Personen reisen ein, ohne dass wir Arbeit für sie haben ... Wie weit wollen wir noch gehen?
Sie betonen stets, wie wichtig der Freihandel sei. Doch zugleich stemmten Sie sich mit aller Kraft gegen den Agrarbericht von Bundesrat Schneider-Ammann, der genau eine solche Marktöffnung skizziert. Das ist einfach widersprüchlich!
Ich setze mich, wie übrigens auch die SVP, schon lange für den Zollfreihandel ein. Unsere Firmen müssen in die Welt exportieren können. Die Schweizer wollen eine Landwirtschaft mit Eigenversorgung und Tierschutz und Landschaftspflege. Das geht!
Kurz gesagt: Freihandel ja – ausser es betrifft die Bauern?
Die Aufregung wegen des Freihandelsabkommens mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten war ein Sturm im Wasserglas. Bundesrat Schneider-Ammann tritt wirklich in jedes Fettnäpfchen...
Was sagen Sie zur Verknüpfung der Steuervorlage 17 mit der AHV, wie sie Mitte-links vorschlägt? Für jeden Franken, den die Reform kostet, soll ein Franken in die AHV fliessen.
Die Steuerreform ist wichtig. Die Schweiz muss steuerlich attraktiv bleiben. Mit der aktuellen Lösung fliessen zwei Milliarden Franken in die AHV, sie wird aber nicht saniert. Wir schieben das Problem vor uns her. Bundesrat Berset bringt keine AHV-Lösung, da müssen wir wohl eine Zwischenfinanzierung machen. Das Volk denkt nicht juristisch. Es hätten alle etwas davon. Deshalb könnte ich mit einem solchen Paket leben.
Was wäre dann Ihre Lösung?
Einnahmen und Ausgaben müssen im Lot sein. Auch Junge müssen noch profitieren können. All die Probleme bei der AHV und den Krankenkassen liegen bei Berset, den Linken. Sie sollen jetzt Lösungen bringen. Da lobe ich Ueli Maurer, der nach der Abstimmung sofort mit einer neuen, breit abgestützten Vorlage kam.
Nicht stabilisiert ist im Moment Ihre Partei, die SVP. Sie verliert an Boden. Sie sind seit kurzem Vizepräsidentin und damit für die Nationalratswahlen 2019 in der Verantwortung. Wie schaffen Sie den Turn-around?
Wir sind die grösste Partei der Schweiz. Wir müssen zeigen, dass wir die Einzigen sind, die sich für Volksrechte und die Schweiz einsetzen – wie jetzt bei der Selbstbestimmung. Dank uns sind wir nicht in der EU, dank uns konnten wir die Bürokratie und die explodierenden Bundesausgaben eindämmen. Wir bringen unangenehme Probleme wie die Zuwanderung in die Sozialwerke auf den Tisch. Wir werden von all den anderen Parteien oft überstimmt, was für unsere Wähler frustrierend sein kann. Aber der Kampf lohnt sich!
Also ist alles ein Kommunikationsproblem. Das glauben Sie doch selber nicht!
Wir können selber viel verbessern. Als grösste Partei sind wir wie eine Guerillatruppe aufgestellt. Wir müssen jetzt unsere Kräfte bündeln und trotzdem nahe am Volk bleiben.
Was ist Ihre Aufgabe?
Ich bin Unternehmerin. Strategie und Führung sind mein Alltag. Mit dem neu gewählten Parteileitungsausschuss, welcher jünger ist, alle Sprachregionen abdeckt und unterschiedliche Berufe vereint, haben wir erste Schritte gemacht.
Sie haben jetzt gerade in Zürich und Bern verloren – zwei Kantone, in denen die SVP traditionellerweise gut aufgestellt ist. Das widerspricht doch Ihrer These.
Dass wir trotz Grösse etwas verloren, zeigt, dass wir unseren Job nicht gut genug gemacht haben. Gerade in den Städten wollen die Bürger bezahlbare Kinderkrippen ohne grosse Bürokratie und keine Zuwanderer, die die Löhne drücken. Genau bei solchen Themen setzen wir von der SVP uns ein!
Und jetzt?
Jetzt kämpfen wir zuerst für die direkte Demokratie. Für unsere Selbstbestimmung. Das ist wichtiger als die nächsten Wahlen! Wenn wir in Zukunft wirklich nur noch ausländisches Recht in unsere
Gesetzbücher kopieren, brauchen wir auch kein Schweizer Parlament mehr.
Was?
Wenn ich wählen müsste: Die Selbstbestimmungs-Initiative ist wichtiger als die Wahlen. Aber wahrscheinlich würden die anderen Parteien ohne
die SVP die Vorlage nach der Annahme gleich wieder abschaffen…
Trotzdem: Was ist Ihr Ziel für den Oktober 2019?
Den hohen Wähleranteil zu halten.
Wie viel Zeit wenden Sie heute für die Politik auf?
Viel, sicherlich die Hälfte meiner Arbeitszeit. Ich könnte die Zeit wohl sinnvoller investieren.
Zwei Themen dominieren die laufende Session der eidgenössischen Räte: die Selbstbestimmungs-Initiative der SVP und das Paket des Ständerats, das die AHV mit der Steuerreform verbindet. Am Donnerstag sagte eine grosse Mehrheit im Stöckli Ja zu dieser Verknüpfung. Bei der Selbstbestimmungs-Initiative steht die SVP allein auf weiter Flur. Die Vorlage, die den Vorrang von Landesrecht vor internationalem Recht festschreiben will, wird am Montag im Nationalrat weiterberaten. Da sich sehr viele Redner angemeldet haben, findet eine Nachtsitzung statt.
Zwei Themen dominieren die laufende Session der eidgenössischen Räte: die Selbstbestimmungs-Initiative der SVP und das Paket des Ständerats, das die AHV mit der Steuerreform verbindet. Am Donnerstag sagte eine grosse Mehrheit im Stöckli Ja zu dieser Verknüpfung. Bei der Selbstbestimmungs-Initiative steht die SVP allein auf weiter Flur. Die Vorlage, die den Vorrang von Landesrecht vor internationalem Recht festschreiben will, wird am Montag im Nationalrat weiterberaten. Da sich sehr viele Redner angemeldet haben, findet eine Nachtsitzung statt.
Kommentar von Politik-Reporter Marcel Odermatt
Wer diese Woche die Debatte im Nationalrat verfolgt hat und der SVP oder ihren Gegnern glaubt, für den ist klar: Der Schweiz steht ein ultimativer Schicksals-Urnengang bevor – die sogenannte Selbstbestimmungs-Initiative der Rechtspartei.
Das Anliegen fragt, vereinfacht gesagt, was in der Schweiz höher gewichtet werden soll: Landes- oder Völkerrecht?
Im Interview mit SonntagsBlick legt Magdalena Martullo-Blocher jetzt noch ein Scheit drauf: «Die Selbstbestimmungs-Initiative ist wichtiger als die Wahlen.»
Für die SVP, die in jüngster Zeit den Stimmenzuwachs ihrer Organisation über alles stellte, wäre das eine Zäsur. Für die SVP-Vizepräsidentin, im Hauptberuf Firmenchefin der Ems-Chemie, geht es offenbar um alles: Ein Sieg muss her, sonst droht der Schweiz, wie wir sie kennen, der Untergang!
Eine Partei, die den Volkswillen ständig zur einzigen Wahrheit hochstilisiert, setzt sich damit grossen Risiken aus. Sagen die Bürger Nein zur Vorlage, würde dies im Umkehrschluss bedeuten: Die Bürger akzeptieren bewusst, dass internationale Abkommen Vorrang vor Schweizer Gesetzen haben können.
Die SVP hätte es – wie auch gerade bei der Anpassung an das verschärfte EU-Waffenrecht – künftig viel schwerer, gegen Brüsseler Vorgaben zu poltern. Die Mehrheit der Stimmbürger habe ja die Selbstbestimmungs-Initiative abgelehnt, würde es in solchen Fällen heissen.
In einem Punkt hat die SVP also recht: Der Schweiz steht tatsächlich eine bedeutende Abstimmung bevor!
Kommentar von Politik-Reporter Marcel Odermatt
Wer diese Woche die Debatte im Nationalrat verfolgt hat und der SVP oder ihren Gegnern glaubt, für den ist klar: Der Schweiz steht ein ultimativer Schicksals-Urnengang bevor – die sogenannte Selbstbestimmungs-Initiative der Rechtspartei.
Das Anliegen fragt, vereinfacht gesagt, was in der Schweiz höher gewichtet werden soll: Landes- oder Völkerrecht?
Im Interview mit SonntagsBlick legt Magdalena Martullo-Blocher jetzt noch ein Scheit drauf: «Die Selbstbestimmungs-Initiative ist wichtiger als die Wahlen.»
Für die SVP, die in jüngster Zeit den Stimmenzuwachs ihrer Organisation über alles stellte, wäre das eine Zäsur. Für die SVP-Vizepräsidentin, im Hauptberuf Firmenchefin der Ems-Chemie, geht es offenbar um alles: Ein Sieg muss her, sonst droht der Schweiz, wie wir sie kennen, der Untergang!
Eine Partei, die den Volkswillen ständig zur einzigen Wahrheit hochstilisiert, setzt sich damit grossen Risiken aus. Sagen die Bürger Nein zur Vorlage, würde dies im Umkehrschluss bedeuten: Die Bürger akzeptieren bewusst, dass internationale Abkommen Vorrang vor Schweizer Gesetzen haben können.
Die SVP hätte es – wie auch gerade bei der Anpassung an das verschärfte EU-Waffenrecht – künftig viel schwerer, gegen Brüsseler Vorgaben zu poltern. Die Mehrheit der Stimmbürger habe ja die Selbstbestimmungs-Initiative abgelehnt, würde es in solchen Fällen heissen.
In einem Punkt hat die SVP also recht: Der Schweiz steht tatsächlich eine bedeutende Abstimmung bevor!
Wie meinen Sie das?
Der Betrieb im Bundeshaus ist ineffizient und zu wenig auf die wirklichen Probleme und gute Lösungen ausgerichtet. Die Berufspolitiker inszenieren sich selbst. Das Volk wählt uns aber, damit wir uns für die Schweiz einsetzen und gute Ergebnisse erzielen. Das ist unser Auftrag!