Magdalena Martullo-Blocher im grossen BLICK-Interview
«Alles, was die Linken fordern, lebe ich schon lange»

Magdalena Martullo-Blocher ist eine Ausnahmeerscheinung. Die Unternehmerin wird als nächste SVP-Bundesrätin herumgereicht – auch wenn sie das Amt angeblich gar nicht will. Zuvor muss sie aber die Wiederwahl ins Parlament schaffen.
Publiziert: 17.06.2019 um 22:53 Uhr
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Aktualisiert: 18.06.2019 um 09:12 Uhr
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Sie ist erfolgreiche Unternehmerin, einflussreiche Nationalrätin, Ehefrau und Mutter. «Eine Frau soll gar nichts müssen», sagt Vorzeigefrau Magdalena Martullo-Blocher.
Foto: Daniel Kellenberger
Sermîn Faki

14. Juni. Im ganzen Land gehen Hunderttausende Frauen für mehr Gleichberechtigung auf die Strasse. Magdalena Martullo-Blocher (49) hat «Besseres zu tun».

Am Samstag, dem Tag nach dem Frauenstreik, findet bei der Ems-Chemie der Tag der offenen Tür statt. Erstmals wieder nach zwölf Jahren. Die Unternehmerin erwartet mehr als 10'000 Gäste auf dem Firmengelände in Domat/Ems GR. Zuvor muss das Festzelt für 2500 Personen ebenso kontrolliert werden wie die Ausstellung der Ems-Produkte und das Fundbüro auf dem riesigen Areal. Chefinnensache.

So eilt Martullo von der Session in Bern nach Graubünden und gibt letzte Anweisungen: «Das Schild muss höher.» – «Die Schwelle muss weg.» – «Hier müssen morgen mindestens sechs Leute stehen.» Die Mitarbeiter nicken und notieren. Es wird noch ziemlich viel Arbeit auf sie zukommen. «Wenn wir etwas machen, dann richtig», sagt Martullo.

Eine Frau steht ihre Frau. Wie hält sie es mit dem Feminismus? «Kurz nachdem ich Ems übernommen hatte, habe ich die Lohngleichheit bei uns überprüft. Und stellte fest: Wir haben Lohngleichheit. Als Unternehmerin und Mutter lebe ich doch das alles, was die Linken fordern, schon lange.»

BLICK: Frau Martullo, arbeiten bei Ihnen viele Frauen?
Magdalena Martullo-Blocher: Wir sind ein sehr technischer Betrieb, deshalb haben wir mehr Männer als Frauen. Am meisten Frauen, auch in höheren Positionen, beschäftigen wir in China und Amerika. In Brasilien haben wir zum Beispiel eine Geschäftsführerin.

Frauen tun sich schwer mit technischen Berufen. Wie kann man das ändern?
Ich bin dagegen, Frauen in technische Berufe zu zwingen. Frauen sollten gar nichts müssen. Auch wenn sich eine Frau dafür entscheidet, Hausfrau und Mutter zu sein, soll das anerkannt werden.

Martullo aber lebt das Gegenteil des traditionellen Familienmodells – und ist selbst ein bisschen erstaunt darüber: «Ich hätte nie gedacht, dass mein Mann mal zu den Kindern schaut, und hatte am Anfang eher Zweifel.»

Mehr als die Tochter

Magdalena Martullo-Blocher (50) verdiente sich ihre Sporen zunächst in der Wirtschaft. Nach dem Wirtschaftsstudium an der HSG war sie Produktmanagerin bei Johnson & Johnson, später Marketingleiterin bei Rivella. 2001 trat sie in die Ems-Gruppe ihres Vaters Christoph Blocher (79) ein. Als dieser 2003 in den Bundesrat gewählt wurde, übernahm sie hochschwanger die Leitung des Chemiekonzerns. 2015 wurde sie als Zürcherin für die SVP Graubünden in den Nationalrat gewählt.

Martullo-Blocher lebt mit ihrem Mann Roberto Martullo (58) und den drei gemeinsamen Kindern in Meilen ZH.

Magdalena Martullo-Blocher.
Thomas Meier

Magdalena Martullo-Blocher (50) verdiente sich ihre Sporen zunächst in der Wirtschaft. Nach dem Wirtschaftsstudium an der HSG war sie Produktmanagerin bei Johnson & Johnson, später Marketingleiterin bei Rivella. 2001 trat sie in die Ems-Gruppe ihres Vaters Christoph Blocher (79) ein. Als dieser 2003 in den Bundesrat gewählt wurde, übernahm sie hochschwanger die Leitung des Chemiekonzerns. 2015 wurde sie als Zürcherin für die SVP Graubünden in den Nationalrat gewählt.

Martullo-Blocher lebt mit ihrem Mann Roberto Martullo (58) und den drei gemeinsamen Kindern in Meilen ZH.

Warum? Dachten Sie, er kann das nicht?
Nein. Aber ich habe mich gefragt, wie das unsere Beziehung verändert. Da gab es schon Ängste: Erfüllt ihn das? Werden wir wegen der Kindererziehung diskutieren? Immerhin habe ich ein Stück Kontrolle abgegeben. Heute kann ich sagen: Es klappt gut.

Und Ihr Mann ist zufrieden?
Ja, er ist ja noch politisch aktiv und engagiert sich in der Gemeinde: Zurzeit trainiert er die Fussballmannschaft unserer jüngsten Tochter für das Grümpelturnier.

Bei Blochers gilt das Leistungsprinzip. Vater Christoph (78) erkor die älteste Tochter zur Stammhalterin – als Chefin der Ems-Gruppe, als Politikerin, als künftige Matriarchin der Familie. Sie hat ihn nicht enttäuscht.

Die Ems ist unter ihrer Führung noch erfolgreicher als zuvor. Auch in der Politik ist die resolute HSG-Absolventin angekommen. Tonangebend in der SVP-Fraktion mit einem Sitz in der einflussreichen Wirtschaftskommission des Nationalrats. Letztlich glaubt kaum jemand, dass diese Frau in den nächsten Jahren nicht in den Bundesrat einziehen wird – und damit die Schmach des aus diesem Amt gejagten Vaters tilgen wird.

Die SVP rechnet fest mit Ihnen als nächste Bundesrätin.
Ach was! (Lacht) Ich bin Unternehmerin und möchte das Unternehmen nicht abgeben. Leider ist der Bundesrat sehr administrativ organisiert und hat wenig Zeit, strategisch zu wirken. Die SVP hat aber viele gute Kandidaten.

Bundesrat oder nicht – zuerst muss sie es noch mal ins Parlament schaffen. Schon vor vier Jahren konnte Martullo ihren Sitz nur knapp erobern. Und aktuell verliert die SVP Wähler. Sie muss also zittern. «Politik ist immer auch Glück», gibt sie sich pragmatisch. «Aber ja: Graubünden hat wenige Sitze, das wird schwierig – vor allem, wenn sich alle Parteien gegen uns verbünden. Aber ich habe immer gewusst, dass ich nur für vier Jahre gewählt bin und mich beweisen muss.»

Es sieht nach einem engen Rennen aus zwischen Ihnen und Heinz Brand. Was ist Ihre Strategie – eine Kandidatur für den Ständerat?
Bezüglich Ständerat geben wir im Sommer mehr bekannt. Für den Nationalrat hat die SVP Graubünden viele starke Kandidaten, so zum Beispiel auch den kantonalen Bauernverbandspräsidenten. Als Bergkanton ist Graubünden auf eine gute Vertretung in Bern angewiesen.

Brand spricht astreines Bündnerdeutsch, Sie hingegen breiten Zürcher Dialekt.
Den sind die Bündner ja vom Tourismus her gewohnt (lacht verschmitzt). Ich glaube, sie haben sich bei mir dran gewöhnt. Wichtiger ist für sie, was ich für sie erreiche in Bezug auf Wasserkraft, Gewerbe, Landwirtschaft …

Zum Tag der offenen Tür kommen schliesslich mehr als 13'000 Leute. Über ein Jahr wurde geplant, organisiert, gebaut. Riesenrad, Hüpfburgen, Gratisbratwurst – man mag sich gar nicht vorstellen, was das kostet. Einen sechsstelligen Betrag, sagt Martullo. «Wir sind gern grosszügig bei solchen Anlässen. «Wir», das sind die Grossaktionäre: sie und Schwester Rahel Blocher (42). Familie. Da versteht es sich von selbst, dass auch Christoph Blocher, der ehemalige Patron, dem Fest seine Aufwartung macht. Ebenso wie Martullos Ehemann Roberto und die drei Kinder.

Manch einer munkelt, dass das teure Fest nicht ohne Grund im Wahljahr stattfindet. Wie sich Martullo derzeit überhaupt sehr grosszügig zeige im Kanton – und sich «in Bern unten» für jede Subvention starkmacht, von welcher Graubünden profitiert.

Sie haben sich kürzlich im Nationalrat für mehr Geld zugunsten von Schweiz Tourismus eingesetzt. Ist das einfach nur ein Wahlkampfvehikel?
Nein. Der internationale Tourismusmarkt ist härter geworden. Immer mehr Destinationen werben um Gäste. Die Schweiz muss gut verkauft werden, gerade weil wir nicht günstig sind. Solche Werbung kostet Geld, aber sie bringt auch etwas. In Graubünden hängt jeder zweite Arbeitsplatz am Tourismus – ich setze mich in Bern dafür ein.

Besonders im Wahljahr ...
Ich politisiere nicht nur im Wahljahr. Ich habe mich die vergangenen vier Jahre für Graubünden eingesetzt – im Tourismus etwa gegen die Online-Knebelverträge und den tieferen Mehrwertsteuersatz. Die Bündner schätzen das.

Sie werden auch die «Tour de Grison» schätzen, die Martullo im Sommer macht: Sie ist an Dutzenden Anlässen im ganzen Kanton präsent, wird an Buurezmorge teilnehmen und sich an Dorffesten sehen lassen. Und dort über die grossen Themen reden – die Zuwanderung und den Kampf gegen das «EU-Diktat». Auch wenn sie da hundertprozentig auf Parteilinie liegt, scheint ihr Zugang pragmatischer zu sein.

Beim Rahmenabkommen läuft die Zeit davon. Bis heute hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker der Schweiz Zeit gegeben, die offenen Fragen beim Rahmenabkommen zu klären.
Herr Juncker gibt uns eine Woche Zeit, das ist einfach nicht seriös! Schliesslich geht es hier um weitreichende Probleme. Die kann man nicht so schnell regeln. Ausserdem ist er nicht bereit, am Vertragstext etwas zu ändern. Das wäre aber nötig. Juncker will nur ein bisschen Kosmetik machen. Das reicht nicht.

Und wenn es die vom Bundesrat angestrebten Änderungen beim Lohnschutz, den Staatsbeihilfen und der Unionsbürgerrichtlinie gibt: Können Sie dann zustimmen?
Nein. Das sind ja nur drei Probleme mit der Übernahme von EU-Recht. Wir wollen aber auch sonst nicht einfach EU-Recht übernehmen müssen. Man muss sich das mal vorstellen: Damit wir mit der EU Handel treiben können, sollen wir ihre Gesetzgebung bei uns übernehmen. Wo gibt es denn so was? Nirgends. Wir wollen hier entscheiden. Mit dem EU-Diktat ist das nicht mehr möglich.

Die Wirtschaft befürchtet, dass ein Nein uns längerfristig den Zugang zum EU-Markt kosten wird. Als Export-Unternehmerin können Sie daran doch kein Interesse haben.
Unsere Kunden in der EU interessiert es doch nicht, ob wir die gleichen Gesetze haben. Im Gegenteil, Sie finden es gut, wenn wir bessere Rahmenbedingungen haben. Weil wir damit schneller, flexibler und innovativer sind. Darum kaufen sie unsere Produkte.

Martullo-Blocher ist überzeugt: Für den Export braucht die Schweiz das Rahmenabkommen nicht. «Sondern nur das Freihandelsabkommen von 1972. Auf das massive Regelwerk der EU können wir verzichten – das macht uns nur noch teurer. Die Personenfreizügigkeit setzt unsere Leute unter Lohndruck. Besonders Ältere finden keine Stelle mehr.» Dafür will die Frau der Wirtschaft weiterhin in Bern präsent sein – und wird im Wahlkampf alles geben.

Was, wenn es nicht reicht und Sie abgewählt werden?
Ich bin keine Berufspolitikerin, sondern Unternehmerin. Sollte ich nicht gewählt werden, setze ich mich in der freien Zeit auf meine Terrasse in der Lenzerheide, geniesse die Bergsicht und lerne Handorgel spielen. Das ist auch schön.

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