1740 Menschen mit laborbestätigter Corona-Infektion sind in der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein seit Anfang Pandemie gestorben. Fast 58 Prozent davon sind Männer. Das zeigen Zahlen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) von Anfang September. Diese Geschlechterunterschiede gibt es nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit – in den USA zum Beispiel sind ebenfalls rund 54 Prozent der Toten männlich.
Neben dem Alter und Vorerkrankungen hat also auch das Geschlecht einen Einfluss auf Corona. Nicht nur bei den Toten: Männer erkranken auch eher schwerer und müssen häufiger hospitalisiert werden.
Es sind wohl biologische Gründe
«Corona scheint für Männer gefährlicher zu sein als für Frauen», sagt Catherine Gebhard, Kardiologin am Unispital Zürich. Warum das der Fall ist, versucht sie nun herauszufinden. In einer vom Schweizer Nationalfonds unterstützten Studie nimmt sie die Geschlechterunterschiede bei Corona unter die Lupe. Dies mit Daten von Corona-Erkrankten verschiedener Schweizer Spitäler.
Gebhard vermutet biologische Gründe – und nicht (oder nicht nur) männliche Verhaltensweisen. Sie verweist auf das Beispiel China: «Anfangs wurde angenommen, dass Männer dort häufiger schwer erkranken, weil es mehr männliche Raucher gibt», so Gebhard. «Inzwischen weiss man aber, dass Rauchen nicht der einzige Grund für die Unterschiede sein kann.»
Gefährliches Testosteron
Männer haben öfters Risikofaktoren, die Corona gefährlicher machen, etwa Diabetes oder Bluthochdruck. Gebhard nimmt allerdings an, dass es für die Geschlechterunterschiede noch andere Gründe gibt. «Frauen haben eine stärkere Immunantwort und könnten dadurch das Virus besser abwehren», sagt sie.
Eine weitere Hypothese sind die Geschlechtshormone. Übeltäter könnte das männliche Testosteron sein. Denn das Virus gelangt über Proteine in die Zelle – Proteine, die eben dank Testosteron erhöht sind. Gebhard verweist auf eine italienische Studie mit Prostatakrebs-Patienten: Diese nahmen Medikamente, die Testosteron hemmten – und sie waren auch tatsächlich weniger durch Corona gefährdet. Diese Mechanismen, und welche Rolle das weibliche Hormon Östrogen spielt, will Gebhard in ihrer Studie nun untersuchen.
Für Männer gemachte Medizin
Erstaunlich seien die Geschlechterunterschiede nicht. Die Medizingeschichte sei voll von Beispielen, wie anders Frauen und Männer sind. «Ein Herzinfarkt bei Frauen äussert sich zum Beispiel oft anders als bei Männern», sagt sie. Doch die Behandlung sei lange ganz auf einen männlichen Prototyp ausgerichtet gewesen.
Auch bei Medikamenten spiele das Geschlecht eine Rolle: Frauen haben im Schnitt eineinhalbmal bis doppelt so oft unerwünschte Nebenwirkungen. Gebhard nennt Hydroxychloroquin als Beispiel, das Malaria-Medikament, das kurze Zeit als Hoffnungsträger bei der Behandlung von Corona-Kranken galt. «Man weiss, dass es Herzrhythmusstörungen auslösen kann, für die Frauen ohnehin schon das höhere Risiko haben», sagt sie. Doch in der Forschung käme dieser Aspekt meist zu kurz: Nebenwirkungen bei Frauen und Männern gleichermassen zu testen, mache eine Medikamentenstudie teurer und aufwendiger.
Im Lockdown infizierten sich mehr Frauen
In Gebhards Studie geht es aber nicht nur um die Toten und die Schwere der Erkrankung, sondern auch darum, wer sich eher infiziert. Hier sind die Daten weit weniger klar. Je nach Land schwankt das – auch in der Schweiz. Während die Schweiz im Lockdown war, schnellte der Prozentsatz der infizierten Frauen teilweise auf 60 Prozent hoch. Neben biologischen Daten fragt Gebhards Team daher auch das Verhalten ab. «Wir gehen davon aus, dass hier vor allem gesellschaftliche und soziokulturelle Einflüsse eine Rolle spielen», so Gebhard.
Soll heissen: Frauen waren eher diejenigen, die während des Lockdowns im Spital arbeiten gingen oder hinter der Kasse standen – also in den sogenannt «systemrelevanten» Berufen arbeiten. Dafür spricht auch: Seitdem die Corona-Massnahmen in der Schweiz gelockert worden sind, ist der Prozentsatz neuinfizierter Frauen zurückgegangen.