London blickt auf Bern. «Die Schweiz will alle Beziehungen zur EU kappen, wenn Brüssel eine harte Einheitspolitik durchsetzt», titelt die Online-Ausgabe der «Daily Express». Die Schweiz, so heisst es, wehrt sich gegen einen von Brüssel verhängten «Handelskrieg».
«Im Wesentlichen hat die EU einen Handelskrieg mit der Schweiz begonnen», sagte Victoria Hewson vom britischen Think-Tank «Institute of Economic Affairs» (IEA) der Zeitung.
Luca Cirigliano, Zentralsekretär des Schweizerischen Geserkschaftsbundes (SGB), wird mit den Worten zitiert: «Die EU-Kommission spielt ein gefährliches Spiel, das eine neue Krise im Herzen eines der dynamischsten Wirtschaftsräume der EU auslösen könnte.»
Schweiz – die Generalprobe für Briten?
Die «Financial Times» fragt, ob London wie die Schweiz «Berned» wird, ein Wortspiel mit dem englischen «burned», verbrannt. Viele, so die Zeitung, sehen den Zank zwischen der Schweiz und EU als «Generalprobe für einen britischen No-Deal Brexit».
So hat die EU die Schweiz bereits von der EU-Gesetzgebung über Stromnetze und Netzwerk-Codes ausgeschlossen. Dies, obwohl der Schritt nach hinten losgehen könnte. Die Schweiz ist eine Drehscheibe für die Verteilung von EU-Strom. Zehn Prozent davon fliessen über 40 Anschlussstellen auf Schweizer Gebiet.
Zudem hat Bern, als Reaktion auf Brüssels harte Haltung, per 1. Juli den Handel mit Schweizer Aktien auf EU-Handelsplattformen verboten. Auch Schweizer Blue Chips sind damit Kollateralschäden in einer sich verschlechternden Handelssituation.
Schweiz erleide gleiches Schicksal wie Theresa May
Die Schweiz, wird den britischen Lesern erklärt, sei stolz auf ihre hohen Löhne und guten Arbeitspraktiken. Sie habe per Referendum beschlossen, der EU und dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) nicht beizutreten und sich auch nicht dem Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu unterwerfen.
Als Gegenleistung für Personenfreizügigkeit habe Brüssel einer Reihe von 70 massgeschneiderten Deals zugestimmt. Doch EU-Unternehmen drängen auf Änderungen. Sie wollen der Schweiz die achttägige Nachfrist nicht einräumen, die bei der Anstellung von ausländischen Arbeitnehmern sicherstellen soll, dass Inlandsgehälter nicht unterschritten werden.
Obwohl die Schweizer Regierung einem Abkommen zugestimmt habe, das eine EuGH-Regelung zulässt, sei das vom Parlament und den Kantonen abgelehnt worden. Bern habe, schreibt «Daily Express», das «gleiche Schicksal wie die Austrittsvereinbarung von Theresa May erlitten», der aus dem Amt geschassten britischen Premierministerin.
Gewerkschafter warnt vor «Swissexit»
«Es war uns immer klar, dass wir als eines der Länder mit den höchsten Löhnen und Lebenshaltungskosten der Welt eine Art Schutz für Schweizer Arbeitnehmer vor Sozial- und Lohndumping brauchen», erklärt SGB-Gewerkschafter Cirigliano. «Indem wir die EU-Arbeitnehmer hier vor Ausbeutung schützen, schützen wir unseren gesamten Arbeitsmarkt.»
Das sei durch ein direktes demokratisches Referendum bestätigt worden und die EU-Kommission sei zwei Jahrzehntelang mit den Schweizer Gesetzen einverstanden gewesen. Cirigliano: «Die Kommission scheint die Besonderheiten der schweizerischen direkten Demokratie nicht zu verstehen.»
Der Gewerkschaftsboss warnt, dass «Drohungen und illegale Sanktionen nur ein Ergebnis haben: Die Wähler werden immer skeptischer und das schlimmste Szenario könnte ein ‹Swissexit› im nächsten Jahr sein», wenn die Schweiz über die Abschaffung der bilateralen Abkommen mit der EU abstimme. Die Schweiz sei eine pro-europäische Kraft, wünsche aber auch eine «soziale EU, die nationale Besonderheiten respektiert».
Schweizer sollen Briten «inspirieren»
«Die Schweiz kann sich für die Übernahme von EU-Gesetzen entscheiden, ist derzeit aber nicht dazu verpflichtet – und das ist der Punkt», sagt die IEA-Ökonomin Hewson. Jetzt setze Brüssel auf «politische Drucktaktiken».
Die EU nutze Finanzdienstleistungen und Energiedrohungen, um die Schraube anzuziehen. Hewson: «Das ist völlig politisch und wir sollten uns davon inspirieren lassen, wie sich die Schweizer für sich selbst einsetzen.»
Wenn sich die Schweizer wehren oder die EU sogar in die Enge treiben, dann sei dies «ein Schlag ins Auge der Kommission». Die Schweizer Haltung, sagt Hewson, würde damit die gesamte EU-Strategie zur Erweiterung und Erhaltung des Binnenmarkts behindern. (kes)