Rücktritt als EU-Chefunterhändlerin
Livia Leu wird neue Botschafterin in Berlin

Staatssekretärin Livia Leu trete nach Abschluss der Sondierungsgespräche mit der EU ab, das bestätigt der Bundesrat. Leu wechselt als Botschafterin nach Berlin. Die EU will die Verhandlungen weiterhin im Sommer 2024 beenden.
Publiziert: 09.05.2023 um 21:58 Uhr
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Aktualisiert: 10.05.2023 um 12:55 Uhr
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Livia Leu wechselt als Botschafterin nach Berlin.
Foto: keystone-sda.ch

Livia Leu (62) hat genug. Nach drei Jahren als Chefin des Staatssekretariats im Aussendepartement wechselt sie als Botschafterin nach Berlin, das bestätigt der Bundesrat in einer Mitteilung. Am Dienstagabend hatte bereits der «Tages-Anzeiger» darüber berichtet.

Leu verhandelt seit Oktober 2020 mit der Europäischen Union über ein mögliches Rahmenabkommen. Als dieses scheiterte, bereitete Leu die Stossrichtung eines neuen Verhandlungspakets mit der EU vor. Leu habe «wesentlich dazu beigetragen, dass die Gespräche zwischen der Schweiz und der EU neu aufgegleist werden konnten», heisst es in der Mitteilung.

Das komplizierte EU-Dossier verlasse Leu «auf eigenen Wunsch», heisst es in einer Mitteilung. Schon länger wird berichtet, dass Leu und Aussenminister Ignazio Cassis (62) nicht immer gleicher Meinung gewesen seien, was die Ausrichtung der Aussenpolitik anging, berichtet der «Tagesanzeiger».

Findungskommission für Nachfolge

Leu wird bis Ende August als Staatssekretärin weiterarbeiten, die Gespräche werden durch den Wechsel nicht beeinträchtigt, verspricht der Bundesrat. Dieser will schon bis Ende Juni über die Eckwerte eines Verhandlungsmandats mit der EU befinden. Für die Nachfolge setzt er eine Findungskommission ein.

Dass es auf diesem Posten zu Wechseln kommt, ist nicht aussergewöhnlich: Leus Nachfolgerin oder Nachfolger wird bereits die sechste Person in den letzten zehn Jahren sein, die das EU-Dossier verantworten wird. Vor Leu hatten schon Roberto Balzaretti (58), Yves Rossier (62), Jacques de Watteville (72) und Pascale Baeriswyl (55) den Posten des Chefunterhändlers respektive der Chefunterhändlerin mit der EU inne.

EU will Verhandlungen weiterhin im Sommer 2024 beenden

Die EU-Kommission hat den Rücktritt zur Kenntnis genommen. Das sagte ein EU-Kommissionssprecher am Mittwoch in Brüssel. Auf die Frage eines Journalisten, ob dieser Wechsel sich nicht ungünstig auf die laufenden Sondierungsgespräche auswirken könnte, meinte der Sprecher, es sei am Bundesrat zu entscheiden, wer für die Schweiz die Gespräche führen solle.

Zudem habe man noch etwas Zeit, da Leu bis Ende August noch im Amt bleibe, meinte er weiter und verwies auf die nächste Sondierungsrunde am 30. Mai.

«Unser Ziel bleibt jedoch dasselbe», sagte der Kommissionssprecher weiter. Die EU wolle die Sondierungsgespräche so schnell als möglich beenden und mit den Verhandlungen beginnen. Bis im Sommer 2024 wolle man dann diese abgeschlossen haben. «Wir machen alles, um den Prozess bis dann zu beenden», sagte er.

Gemischte Reaktion

Überrascht gezeigt vom Rücktritt von Livia Leu hat sich am Mittwoch der Präsident der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates, Franz Grüter (59, SVP). Grüter zollte der Staatssekretärin grossen Respekt für ihre Arbeit.
«Bei näherem Betrachten ist jetzt aber der richtige Zeitpunkt für einen Rücktritt, wenn Frau Leu gehen will», so Grüter. Jetzt beginne nämlich möglicherweise eine neue schwierige Etappe für das EU-Dossier mit dem Start der eigentlichen Verhandlungen.

Der Druck auf dem Verhandlungsmandat werde aber auch für eine neue Unterhändlerin oder einen neuen Unterhändler riesig bleiben. Die Verhandlungen würden seiner Meinung nach «sicher nicht schnell vorankommen». Er habe grossen Respekt vor der Arbeit von Leu und ihrer realistischen Einschätzung. Sie habe nämlich früh gemerkt, dass ein Rahmenabkommen bei einer Volksabstimmung nicht erfolgreich sein werde.

«PR-Offensive löst sich in Luft auf»

Für SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann (50) kommt der Rücktritt zur Unzeit. Nordmann kritisiert das Aussendepartement scharf. «Die PR-Offensive des Aussendepartements der vergangenen Wochen, wonach Fortschritte bei den Verhandlungen erreicht worden sind, löst sich damit in Luft auf», sagte Nordmann.

Der Rücktritt von Leu sei ein grosser Misserfolg für das EDA. «Immer wenn man bei den Verhandlungen mit der EU nahe an einem möglichen Ergebnis ist, wird der Chefunterhändler oder die Chefunterhändlerin ausgewechselt», kritisierte Nordmann. Damit komme man nie zu einem Ergebnis.

«Politisch heikel»

Für den Präsidenten der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats, Pirmin Bischof (64) kommt der Rücktritt von Leu überraschend und zu einem heiklen Zeitpunkt. Es handle sich um einen Karriereentscheid der Staatssekretärin.

«Der Zeitpunkt des Rücktritts ist politisch heikel», sagte Bischof. Leu habe noch eine letzte Runde von Sondierungsgesprächen mit der EU vor sich und allfällige Verhandlungen würden dann nach ihrem Wechsel stattfinden. Bischof bezeichnete Leu als eine hartnäckige Diplomatin - und genau das brauche es auf diesem Posten.

Für Leu persönlich sei der Zeitpunkt verständlich. Sie sei jetzt 62 Jahre alt und habe den sehr anstrengenden Job drei Jahre lang gemacht. «Ich kann mir vorstellen, dass für sie jetzt der richtige Moment für einen Karrierewechsel gekommen ist.», so Bischof. Der Botschafterposten in Berlin sei zudem ein sehr attraktiver Posten. Wer die Leu-Nachfolge antreten werde, wisse er nicht. Er oder sie würde aber grosse Schuhe brauchen.

(bro/SDA)


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