Der Bundesrat traf sich wegen des Einmarsches Russlands in die Ukraine heute zur Krisensitzung. Bisher hat sich die Reaktion der Schweizer Regierung darauf beschränkt, die russische Invasion in einem schriftlichen Statement zu verurteilen. Einen Entscheid zu Sanktionen hat der Bundesrat gestern vertagt. Handelt die Landesregierung jetzt?
Der Druck auf den Bundesrat ist gross. Zeigten sich die Bürgerlichen auf Anfrage von Blick am Vormittag mehrheitlich noch zurückhaltend, fordern inzwischen auch Mitte und FDP, dass die Schweiz Sanktionen gegen Russland ergreift.
Auch FDP und Mitte für Sanktionen
«Die internationale Gemeinschaft ist gefordert, der russischen Aggression entschieden entgegenzutreten und die krude Machtpolitik Putins in die Schranken zu weisen», teilt FDP-Präsident Thierry Burkart auf Twitter mit. Die Schweiz solle sich auf internationaler Ebene für die Deeskalation und eine friedliche Lösung einsetzen. Sie müsse aber auch die Sanktionen ihrer wichtigsten Handelspartner mittragen. «Das entschiedene Entgegentreten gegen einen Rechtsbrecher hat hier Vorrang vor kurzfristigen wirtschaftlichen Überlegungen.»
Die heutige Situation sei nicht vergleichbar mit 2014 bei der Annexion der Krim, sagt FDP-Nationalrätin Christa Markwalder (46) – denn nun handle es sich um einen einseitig erklärten Krieg Russlands gegenüber der Ukraine. «Persönlich bin ich entsetzt, dass ein offener Krieg in Europa im 21. Jahrhundert möglich sein kann – und das unter absolut absurden Vorwänden.»
«Putin führt einen Angriffskrieg»
«Die Schweiz darf nicht der europäische Businesshub für Russlands Krieg werden», sagt auch Mitte-Präsident Gerhard Pfister (59). Wichtig sei, dass die Sanktionen die russische Elite treffen, welche Putin finanzierten, teilt die Partei in einem Communiqué mit. Auch die GLP spricht sich dafür aus, dass sich die Schweiz den Sanktionen der EU anschliesst.
Die Linken haben bereits am Vormittag eine unmittelbare Reaktion auf die russische Invasion gefordert. «Putin führt einen Angriffskrieg und zerstört den Frieden in Europa. Der Bundesrat muss klar Stellung beziehen und sämtliche Sanktionen, welche die EU nun beschliesst, ohne Einschränkungen übernehmen», sagt SP-Nationalrat Fabian Molina (31). «Alles andere würde bedeuten, dass die Schweiz einen offenen Krieg mitten in Europa toleriert. Und dann gute Nacht!»
«Was muss noch passieren, dass der Bundesrat handelt?»
«Was muss noch passieren, dass der Bundesrat handelt?», fragt Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan (41). Das bisherige Zögern des Bundesrats sei enttäuschend. «Der Schweiz darf nicht vorgeworfen werden, dass sie ihre wirtschaftlichen Interessen über jene der Menschen stellt, die vom Krieg betroffen sind.» Das Argument, dass Sanktionen nicht mit der Neutralität der Schweiz vereinbar seien, lässt sie nicht gelten. «Für den Frieden braucht es den Druck.»
Diese Haltung vertritt auch SP-Nationalrat Jon Pult (37). «Putin führt Krieg gegen die Ukraine und verstösst gegen die Uno-Charta. Gegenüber solchen Völkerrechtsbrüchen gibt es keine Neutralität», teilte er via Twitter mit. Das Zögern des Bundesrats sei «inakzeptabel».
SVP sieht Glaubwürdigkeit in Gefahr
Als einzige Partei gegen Sanktionen spricht sich die SVP aus. So sagt Parteipräsident Marco Chiesa (47): «Um einen Teil der Lösung zu werden, darf die neutrale Schweiz keine Sanktionen der EU übernehmen», findet der Tessiner Ständerat. Sonst mache man sich unglaubwürdig. Vielmehr müsse die Schweiz aktiv die Guten Dienste anbieten.
Mitte-Aussenpolitikerin Elisabeth Schneider-Schneiter (58) ist überzeugt, dass die Schweiz hinter den Kulissen ihre Guten Dienste schon angeboten hat. Sie sprach sich am Morgen im Gespräch mit Blick gegen die Übernahme von Sanktionen aus. Ihrer Meinung nach sollte die Schweiz lediglich verhindern, dass Russland über die Schweiz die Sanktionen der anderen Staaten umgehen kann. Sonst würde die Schweiz ihre «Sonderstellung als neutrales Land verspielen», meinte sie.
Auch der Luzerner FDP-Ständerat Damian Müller (37) äusserte sich am Vormittag zurückhaltend. Der Bundesrat müsse jetzt abwägen, wie er zu einer Deeskalation beitragen könne. «Steht allenfalls noch eine Türe offen, um im Konflikt zu vermitteln? Falls ja, kann ich nachvollziehen, wenn man mit Sanktionen zuwartet.» Sollte keine diplomatische Lösung absehbar sein, müsse die Schweiz «harte Massnahmen ergreifen, damit die US-/EU-Sanktionen ihre volle Wirkung entfalten».