Leuenberger bedauert Lösegeld-Aussage
Formulierung «ungeschickt»

Alt Bundesrat Moritz Leuenberger wirft der Regierung vor, beim Thema Lösegeld-Zahlungen zu lügen. Ein Geständnis, das schwere Folgen haben könnte.
Publiziert: 08.02.2021 um 22:38 Uhr
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Aktualisiert: 09.02.2021 um 07:26 Uhr
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Mehrfach musste der Bundesrat Schweizer Geiseln befreien – so etwa 2003 aus den Fängen von algerischen Islamisten. Im Bild, die damalige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey (2. v. l.).
Foto: Keystone
Lea Hartmann und Pascal Tischhauser

Die offizielle Position unseres Landes ist klar: «Die Schweiz bezahlt kein Lösegeld.» So steht das sogar auf der Website des Aussendepartements (EDA). Doch das ist eine Lüge, wie alt Bundesrat Moritz Leuenberger (74) sagt. Im Interview mit der «NZZ am Sonntag» macht er öffentlich: «Kommt eine Geisel frei, ist wohl meist bezahlt worden.» Die Regierung sage die Unwahrheit, um Nachahmer und weitere Geiselnahmen zu verhindern. «Erklärt man dieses Verhalten der Öffentlichkeit, wird dies als legitime Lüge akzeptiert.»

Die Aussage des SPlers mag Kenner aber kaum überraschen, denn viele sind davon ausgegangen, dass Geld fliesst – wenn angeblich auch oft über einen Drittstaat.

Gefährdung von Schweizern in Kauf genommen

Doch mit dieser Aussage dürfte Leuenberger ein Geheimnis aus dem Bundesrat ausgeplaudert haben – und solche Amtsgeheimnisverletzungen sind eine Straftat. Jurist und Aargauer FDP-Ständerat Thierry Burkart (45) sagt: «Ich finde es verwerflich, dass ein ehemaliger Bundesrat billigend in Kauf nimmt, dass Schweizer Bürger im Ausland gefährdet werden. Einerseits bringt Herr Leuenberger so Touristen, andererseits aber auch Mitarbeiter von Hilfswerken in Gefahr.»

Für Burkart muss die Äusserung aber auch juristische Konsequenzen haben: «Die Strafverfolgungsbehörden müssen meiner Ansicht nach prüfen, ob hier eine Amtsgeheimnisverletzung vorliegt. Nötigenfalls muss sie bei den zuständigen Parlamentskommissionen die Aufhebung der Immunität beantragen.»

Vertrauenswürdigkeit der Schweiz gefährdet

Auch auf dem diplomatischen Parkett sorgt es für grosse Irritation, dass ein ehemaliges Regierungsmitglied den Bund der Lüge bezichtigt. «Falls man gezahlt und dies danach bestritten hat, ist es absolut verboten, das je zuzugeben. Auch 20 Jahre später», sagt ein ehemaliger Botschafter, der sich nur anonym äussern will. «Denn falls man lügt, lügt man aus Staatsräson.» Und dieses Staatsinteresse stehe ausnahmslos immer vor dem moralischen Bedürfnis, «irgendwann aus moralischen Gründen die Wahrheit zu sagen».

Für den Ex-Botschafter schadet die Aussage der Vertrauenswürdigkeit unseres Landes. Die Schweiz könne in Zukunft das Vertrauen wichtiger Partner verlieren, wenn sie sich nicht an Abmachungen hält, warnt der Diplomat.

Schweiz kämpfte gegen Lösegeldzahlungen

Die früheren Aussenminister Micheline Calmy-Rey (75, SP) und Didier Burkhalter (60, FDP) wollen sich nicht zur Aussage Leuenbergers äussern. Burkhalter betont aber, dass er sich selbst immer vehement gegen Lösegeldzahlungen ausgesprochen habe.

Sein Ziel war es stets zu verhindern, dass Geiselnahmen für Terrororganisationen zur Finanzierungsquelle werden.

Der Sturm der Entrüstung, den Leuenberger ausgelöst hat, überrascht den alt Bundesrat offensichtlich. Er «bedaure» seine Aussage, sagte er am Montag gegenüber dem «Tages-Anzeiger». «Die heftigen Reaktionen führe ich auf die Zusammenfassung auf der Frontseite der ‹NZZ am Sonntag› zurück und auf eine Formulierung in der schriftlichen Fassung.» Diese habe er zwar abgesegnet. Im Rückblick aber halte er sie für «ungeschickt».

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