Der Bundesrat übernimmt also. Vertreter der Landesregierung sollen bald direkt mit der Europäischen Union über das Rahmenabkommen verhandeln. Kommt es zu einem Treffen auf höchster Ebene mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dürften Bundespräsident Guy Parmelin (61, SVP) und Aussenminister Ignazio Cassis (59) die Gespräche gemeinsam bestreiten, heisst es in Bern.
Das bedeutet aber auch: Der Durchbruch in den Gesprächen zwischen Staatssekretärin Livia Leu Agosti und von der Leyens stellvertretender Kabinettschefin Stéphanie Riso ist ausgeblieben.
Wie gut informierte Quellen berichten, habe man sich in keinem der drei Streitpunkte substanziell aufeinander zubewegt: weder bei der Unionsbürgerrichtlinie (UBRL) noch beim Lohnschutz, noch den staatlichen Beihilfen.
Leu stiess auf taube Ohren
So versuchte Leu zu erreichen, dass explizit festgehalten würde, dass die Schweiz Bestimmungen der UBRL künftig nicht übernehmen müsse. Dies in der Furcht, EU-Bürger hätten hierzulande zu rasch Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe. Die EU scheint darauf nicht im Geringsten eingegangen zu sein, sagen Personen, die mit dem Dossier vertraut sind.
In diesem Fall aber stellt sich die Frage, was genau die Mitglieder der Landesregierung in Brüssel noch zu erreichen hoffen: Dass politische Gespräche auf einmal überbrücken, was zähe Verhandlungen nicht zu klären vermochten, scheint kaum plausibel. Zumal der Bundesrat im Sommer 2019 die EU wissen liess, dass er «das Verhandlungsergebnis des institutionellen Abkommens in weiten Teilen als im Interesse der Schweiz erachtet». Dieses Schreiben können auch zwei, drei oder fünf Bundesräte vereint nicht wegdiskutieren.
Ein Plan B ist gefragt, sollte das Rahmenabkommen nicht mehr zu retten sein. Dessen ist man sich im Aussendepartement durchaus bewusst. Bundesratsnahe Quellen berichten, Ignazio Cassis habe am Mittwoch erstmals eine mögliche Alternative präsentiert: die Aktualisierung des bestehenden Freihandelsvertrages von 1972. Der Vorschlag fand in der Landesregierung dem Vernehmen nach keine Gnade.
Kein Entgegenkommen
SP-Aussenpolitiker Eric Nussbaumer (60, BL) gehört in Bern zu den dezidierten Verteidigern des Rahmenvertrags. Als Präsident der parlamentarischen EU-Delegation und der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz (Nebs) kann er ziemlich genau einschätzen, was auf beiden Seiten des Verhandlungstisches vor sich geht. «Man darf wohl davon ausgehen, dass beide Seiten mehr oder weniger auf ihren Positionen beharrt haben», fasst Nussbaumer die jüngsten Gespräche zusammen.
Der EU könne man dies kaum vorwerfen, sagt er. «Der Bundesrat hatte bislang noch nicht einmal den Mut, offen von Verhandlungen zu sprechen. Stattdessen redete er immer von Klärungen.»
Anders als die vielen Skeptiker im Parlament sieht Nussbaumer aber in einem Gespräch zwischen von der Leyen und Vertretern der Landesregierung durchaus Chancen: «Auf dieser Ebene, glaube ich, ist eine Lösung noch immer möglich.» Sonst müsse der Bundesrat sofort einen Plan B präsentieren.
Doch auch für diesen gelte, dass er die offenen institutionellen Fragen höchstens um ein paar Jahre vertage. «Dann», so Nussbaumer, «beginnt das Spiel von vorne.»