Herr Frischknecht, Sie haben Ihren Hof vor 48 Jahren auf Bio umgestellt – zu einer Zeit, als es noch gar keine Biolabels gab. Wieso?
Ernst Frischknecht: Ich stand damals kurz vor der Meisterprüfung als Landwirt und war fasziniert von der Chemisierung der Landwirtschaft. Sie müssen sich vorstellen: Wir hatten als Kinder gejätet, bis uns fast der Rücken auseinanderfiel. Dann kommt dieses Mittel, das man gegen Unkraut spritzen kann – das war der Himmel auf Erden. Doch als ich genauer studierte, wie die Mittel wirken, bin ich erschrocken.
Warum?
Frischknecht: Es war die Zeit, als man Pestizide nicht länger aufs Blatt spritzte, sondern Mittel entwickelte, die in die Saftbahn der Pflanze eindringen. Das heisst, jede Zelle der Pflanze ist vom Gift besetzt. Da gibts kein Abwaschen mehr! Als ich mir vorgestellt habe, was das bewirkt, dachte ich an die Atombombe von Hiroshima und Nagasaki. Die hat bis ins Erbgut hinein alles verändert. Bei den Pestiziden ist es ähnlich: Viele Schäden werden erst über längere Zeit hinweg sichtbar.
Pestizide, die wie Atombomben wirken: Da sind Sie wohl anderer Ansicht, Herr Buri.
Andreas Buri: Ich kann diesen krassen Vergleich gar nicht teilen. Nehmen wir Unkrautvernichter, sogenannte Herbizide: Diese wirken nur gegen bestimmte Pflanzen, die absterben und im Boden abgebaut werden. Davon landet nichts in den Nahrungsmitteln. Und Mittel gegen Pilzbefall werden von der Pflanze selber meist innerhalb von drei Wochen bereits abgebaut.
Frischknecht: Das Problem ist eben: Die Mittel bauen sich nicht nur ab, sondern sie gehen neue Verbindungen ein und werden unter Umständen gefährlich. Oft entdeckt man das aber erst Jahre später. Fakt ist: Pestizide töten. Und sie töten nicht nur das, was sie töten sollen.
Die Frage, wie schädlich die Mittel sind, ist umstritten. Wie stehen Sie dazu, Herr Buri?
Buri: Ich stütze mich auf die Zulassungsbehörden. Wenn die Forscher einen Wirkstoff zulassen, ist er für eine gewisse Zeit einsetzbar und unbedenklich – davon gehe ich aus. Überprüfen kann ich es nicht, das stimmt. Aber es ist dasselbe, wie wenn ein Arzt ein Medikament mit Nebenwirkungen verschreibt. Da ist auch nicht der Arzt der Dumme, sondern die Pharmafirmen stehen in der Pflicht. Es ist nicht fair, wenn man mit dem Finger auf die Bauern zeigt. Wenn schon, müsste man auf die Hersteller zeigen.
Frischknecht: Genau hier müssten die Bauern aber schlauer werden. Sie müssten merken, dass in der Gesetzgebung die chemische Industrie ein riesiges Gewicht hat. Nenn mir ein einziges Pestizid der letzten 20 Jahre, das nicht verboten worden ist.
Buri: Das ist nun mal der Lauf der Dinge. Wie viele Produkte verschwinden vom Markt, weil man merkt: Sie sind nicht mehr «State of the Art»? In ein Auto, das man vor 40 Jahren gebaut hat, sitzt heute auch niemand mehr rein.
Frischknecht: Von dem Auto vor 40 Jahren hast du nichts im Blut! Aber wenn man Glyphosat im Urin der Menschen nachweisen kann, ist das etwas anderes.
Buri: Einverstanden. Aber gerade beim Glyphosat muss man schauen: Kommt das von einem Schweizer Produkt? Ich bin überzeugt, das ist nicht der Fall. Hierzulande ist es verboten, erntereife Kulturen mit Glyphosat zu bespritzen, während es im Ausland gang und gäbe ist. Von daher ist sonnenklar, dass dort Rückstände von Glyphosat in den Nahrungsmitteln zu finden sind. Dies kritisieren wir ebenfalls. Das ist das eine.
Und das andere?
Buri: Die Frage ist: Ist Glyphosat im Urin ein Problem? Ich will das auch nicht – aber dass es krank macht, ist nicht erwiesen. Dasselbe gilt für Chlorothalonil. Das ist ein Debakel, was da läuft. Das Mittel zu verbieten, ist vorauseilender Gehorsam einzelner Beamter. Es ist überhaupt nicht erwiesen, dass das Mittel krebserregend ist.
Frischknecht: Vorauseilender Gehorsam ist, das Mittel überhaupt erst einzusetzen! Wenn man dem Boden und der Umwelt Sorge trägt, sind keine Pestizide nötig. Weder solche, die in der bio-logischen Landwirtschaft erlaubt sind, noch synthetische.
Buri: Klar kann man ohne Pestizide bauern, das hat man vor hundert Jahren auch gemacht. Ich fürchte mich auch nicht vor der Trinkwasser- und der Pestizid-Initiative …
... die beide ein Verbot von Pestiziden fordern.
Buri: Was mir aber Angst macht, ist, dass sich die Leute der Konsequenzen nicht bewusst sind.
Inwiefern?
Buri: Ein Pestizidverbot hätte einen totalen Umbau unserer Landwirtschaft zur Folge: weniger einheimische Lebensmittel, weniger Verarbeitungsbetriebe, weniger Arbeitsplätze. Gleichzeitig müssten wir mehr Nahrungsmittel aus dem Ausland importieren. Wobei wir keinerlei Kontrolle haben, wie diese produziert werden. Würde man bei den Importen dieselben Massstäbe anlegen wie bei der Schweizer Produktion, hiesse das: keine Zitrusfrüchte mehr im Laden zum Beispiel.
Heute gibt es aber auch Bioorangen und Biozitronen.
Buri: Ja, aber schauen Sie sich mal an, wie die produziert werden! Kommt hinzu: Wenn wir eine pestizidfreie Landwirtschaft wollen, dürfen die Biobauern die Hälfte ihrer Mittel auch nicht mehr benutzen. Ich weiss, du kommst ganz ohne Pestizide aus, Ernst. Aber auf die allermeisten Biobauern trifft das nicht zu. Wenn ich ein Beispiel geben darf …
Bitte.
Buri: Dort, wo mein Bauernhof steht, bauert einer der grössten Hersteller von Biogemüse in der Schweiz. Der fährt zwei der grössten Spritzen im Kanton Zürich. Das sind alles legale Mittel, die eingesetzt werden, das ist nicht der Punkt. Aber er spritzt sehr viel. Das ist die Realität, und die kennen viele Leute nicht, die von Bio reden. Wir Nicht-Biobauern werden an diesem verklärten Bio-Ideal gemessen.
Frischknecht: Da gehe ich mit dir einig: Was heute unter Bio läuft, hat teils wenig mit Bio zu tun. Von einem schweizweiten Pestizidverbot würden aber auch die konventionellen Bauern profitieren. Gar keine Pestizide heisst: gleich lange Spiesse für alle.
Buri: Die Folge wäre, dass es im Laden am nächsten Tag kein Biogemüse mehr gibt.
Frischknecht: Ach was. Wir Bauern sind doch fähig, selber zu denken und herauszufinden, wie es ohne Gift geht. Ich habe jetzt 48 Jahre lang Kartoffeln für den Markt produziert, ohne ein einziges Gramm Kupfer.
Buri: Das glaube ich dir sofort. Aber komm mal zu uns ins Zürcher Weinland, das funktioniert dort nicht. Bei uns gibt es viel mehr Krankheits- und Schädlingsdruck.
Frischknecht: Pestizidfrei zu produzieren, geht im grossen Stil genau gleich wie im kleinen. Natürlich geht ein solcher Umbau nicht von einem Jahr aufs andere. Aber wenn man Geduld hat und ausprobiert, funktioniert das. Ich habe es ja selber so gemacht.
Der Bundesrat warnt auch deswegen vor der Pestizid-Initiative, weil ein Importverbot pestizidbelasteter Lebensmittel gegen die Regeln der Welthandelsorganisation verstossen würde.
Frischknecht: Da müssen wir halt etwas Selbstvertrauen haben. Wenn die Schweiz vorangeht und zeigt, dass eine Landwirtschaft ohne Pestizide möglich ist und sich die Natur erholen kann, werden auch andere Staaten ihre Haltung überdenken.
Oder die Schweiz muss zurückkrebsen.
Frischknecht: Wer immer nur abnickt, was von oben kommt, kann nichts bewirken. Langfristig hilft uns gegen das Biodiversitäts-Sterben und jene Krankheiten, die von Pestiziden verursacht werden, nur eine biologische Landwirtschaft. Man muss risikobehaftete Forschung dann eingehen, wenn man im Überschuss lebt. Also jetzt.
Andreas Buri (55) führt in Ossingen im Zürcher Weinland zusammen mit seiner Frau und seinen zwei Kindern einen Betrieb mit 60 Milchkühen und baut nebst dem Futter für die Kühe Gerste, Weizen und Reben an.Ein wichtiges Standbein für den Betrieb ist zudem die Direktvermarktung über den Hofladen. Er ist Vize-Präsident des Zürcher Bauernverbands und innerhalb des Verbands Präsident der Kommission für Ökologie und Kontrolle. Buri produziert nach den Vorgaben von IP Suisse, kennt den Namen jeder seiner Kühe und setzt auch mal Homöopathie ein, um seine Tiere zu behandeln.
Andreas Buri (55) führt in Ossingen im Zürcher Weinland zusammen mit seiner Frau und seinen zwei Kindern einen Betrieb mit 60 Milchkühen und baut nebst dem Futter für die Kühe Gerste, Weizen und Reben an.Ein wichtiges Standbein für den Betrieb ist zudem die Direktvermarktung über den Hofladen. Er ist Vize-Präsident des Zürcher Bauernverbands und innerhalb des Verbands Präsident der Kommission für Ökologie und Kontrolle. Buri produziert nach den Vorgaben von IP Suisse, kennt den Namen jeder seiner Kühe und setzt auch mal Homöopathie ein, um seine Tiere zu behandeln.
Ernst Frischknecht (81) ist Biobauer und Öko-Pionier. 1972 stellte er seinen Hof auf biologische Landwirtschaft um – wofür er von seinen Berufskollegen belächelt wurde. Das hielt ihn nicht davon ab, seine Erkenntnisse in Politik und Forschung einzubringen. Von 1992 bis 2001 war er Stiftungsrat im Fibl, dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau; von 2002 bis 2008 in der begleitenden Expertengruppe im Agroscope-Standort Reckenholz, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung. Er ist verheiratet, hat 5 Söhne und lebt in Tann im Zürcher Oberland. Kürzlich ist über ihn eine Biografie erschienen: «Damit wir auch in Zukunft eine Zukunft haben. Ernst Frischknecht – der Bio-Pionier» von Christine Loriol, Verlag Elfundzehn.
Ernst Frischknecht (81) ist Biobauer und Öko-Pionier. 1972 stellte er seinen Hof auf biologische Landwirtschaft um – wofür er von seinen Berufskollegen belächelt wurde. Das hielt ihn nicht davon ab, seine Erkenntnisse in Politik und Forschung einzubringen. Von 1992 bis 2001 war er Stiftungsrat im Fibl, dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau; von 2002 bis 2008 in der begleitenden Expertengruppe im Agroscope-Standort Reckenholz, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung. Er ist verheiratet, hat 5 Söhne und lebt in Tann im Zürcher Oberland. Kürzlich ist über ihn eine Biografie erschienen: «Damit wir auch in Zukunft eine Zukunft haben. Ernst Frischknecht – der Bio-Pionier» von Christine Loriol, Verlag Elfundzehn.