Schaffen wir das?, fragen sich die Deutschen seit Monaten. Gestern fand ein Teil von ihnen: Nein, wir wollen es erst gar nicht mehr.
Für Angela Merkel sind die Resultate der drei Landtagswahlen am Sonntag das bittere Urteil über ein halbes Jahr, in dem sie viel gewagt hat. Die Willkommenskultur ist umgeschlagen in eine Verdrusskultur, die nun ein offizielles Sprachrohr hat: die Alternative für Deutschland (AfD).
Als erste Partei rechts der CDU/CSU hat es die AfD geschafft, auf über 20 Prozent zu kommen. Sie sitzt nun in acht Landtagen in Ost und West. Es hilft nichts mehr, sie als politischen Arm der Pegida-Demonstrationen, als blosses Protestphänomen abzutun.
Mit ihren 24 Prozent in Sachsen-Anhalt zwingt sie die Konkurrenz zu Drei-Parteien-Koalitionen. Doch AfD-Chefin Frauke Petry lockt bereits: «Es gäbe eine bürgerliche Mehrheit. Das muss CDU und FDP zu denken geben.» Sprich: Wir wären für eine Koalition zu haben. Für manche in der CDU durchaus verlockend.
Was bedeutet das Resultat für Merkel? Ex-Kanzler Gerhard Schröder beschwor einst den Aufstand der Anständigen – ist es also zum Aufstand gegen die Anständige gekommen?
Ja – wenn man die Resultate der CDU ansieht: Ihre Partei hat überall verloren (siehe Grafik). In Baden-Württemberg sogar drastisch. Dort rutschte die CDU zum ersten Mal überhaupt von Platz eins auf Platz zwei. Und gleichzeitig hatte die AfD überall Erfolg mit einem klaren Anti-Merkel-Wahlkampf.
Und doch: Die zwei grössten CDU-Verlierer heissen Guido Wolf in Baden-Württemberg und Julia Klöckner in Rheinland-Pfalz. Beide machten aber – manchmal verschlüsselt, manchmal deutlich – Stimmung gegen Merkels Flüchtlingspolitik. Beide verspielten damit Siege, die ihnen vor Monaten noch praktisch auf sicher waren.
Vor allem Klöckner, ein Shootingstar der CDU, die schon als Merkel-Nachfolgerin gehandelt wurde, steht vor einem Scherbenhaufen. Geschlagen von der pfälzischen SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer – der die CDU tatsächlich vorgeworfen hatte, mit Multipler Sklerose und Rollstuhl auf Mitleid zu machen. Ein krasses Eigengoal.
Also: SPD-Dreyer stellt sich hinter Merkel und gewinnt, CDU-Klöckner distanziert sich und verliert. Die Kanzlerin registriert das genau.
Für die SPD ist die Bilanz katastrophal, trotz Rheinland-Pfalz-Erfolg. Auch Parteichef Sigmar Gabriel versuchte bisweilen, sich leise von der Flüchtlingspolitik zu distanzieren. Resultat: Die stolze Sozialdemokratie ist im Osten und Süden des Landes zur Kleinpartei geschrumpft, überholt von der einst verspotteten AfD.
In den neuen Bundesländern wird es darum wirklich schwierig für die Bundesregierung. Auch die Linkspartei, Nachfolgerin der einstigen DDR-Staatspartei, kann die typisch ostdeutschen Ressentiments nicht mehr auffangen.
Merkel muss sich für die nächsten Tage und Wochen warm anziehen. Bayerns CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer und andere Unionspolitiker werden versuchen, in der Flüchtlingspolitik den Rechtsschwenk durchzusetzen.
Aber erstens passiert der bereits: Merkel will mit einem Türkei-Pakt den Flüchtlingsstrom zum Erliegen bringen. Zweitens wird sie immer wieder klarmachen, dass die CDU besser gefahren wäre, wäre sie selbstbewusster hinter ihr gestanden.
Und drittens wissen alle: Es gibt keine Alternative zu ihr, nicht nur wegen Julia Klöckners Pleite. Die Kanzlerin will und muss die Koalition bis zur Bundestagswahl 2017 bringen.
Sie schafft das.