Kritik an Bundesanwaltschaft
Mängel bei Terrorismus-Bekämpfung

Die islamistischen Messerattacken in Morges und Lugano haben die Aufsicht über die Bundesanwaltschaft aufgeschreckt. Sie haben das Vorgehen der Behörden unter die Lupe genommen – und üben Kritik.
Publiziert: 07.03.2023 um 14:20 Uhr
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Aktualisiert: 07.03.2023 um 14:21 Uhr
Bei einem Attentat in einem Einkaufszentrum in Lugano hatte eine Frau im November 2020 Kunden angegriffen. Eine Frau wurde schwer verletzt.

Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen hat vor und nach den Messerattacken in Morges VD und Lugano TI im Herbst 2020 nicht optimal funktioniert. Die Aufsichtskommission über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) hat mehrere Mängel festgestellt und fordert Massnahmen.

Das ist einem am Dienstag veröffentlichten Inspektionsbericht zu entnehmen. Diesen hatte die AB-BA Ende Dezember 2021 angekündigt. In Morges hatte ein islamistischer Attentäter im Herbst 2020 einen 29-jährigen Mann in einem Kebab-Restaurant angegriffen und nur wenige Monate später hatte in Lugano eine Frau in einem Einkaufszentrum zwei Kundinnen mit einem Messer verletzt, eine davon schwer.

Trotz Gefahr auf freiem Fuss

Beim Fall in Morges bemängelt die Aufsichtsbehörde unter anderem «das Ausbleiben einer Reaktion der Bundesanwaltschaft, nachdem die Waadtländer Behörden verschiedene Verstösse gegen die auferlegten Ersatzmassnahmen gemeldet hatten». Der mutmassliche Täter war bereits vor der Messerattacke wegen dschihadistischer Umtriebe im Visier. Trotzdem wurde er aus dem Gefängnis entlassen, was in der Öffentlichkeit für einige Empörung sorgte.

Ausserdem widersprachen sich die Darstellungen. Es gab Quellen, die sagten, dass die Bundesanwaltschaft beantragt habe, den Mann in einer psychiatrischen Einrichtung zu internieren. Das Waadtländer Sicherheitsdepartement hingegen liess verlauten, dass keine kantonale Behörde einen Entscheid der Bundesanwaltschaft erhalten habe, der eine solche Internierung anordnete.

Der Waadtländer Staatsrat wies auf «systemische Mängel im Bereich terroristische Straftaten bei der Bundesanwaltschaft» hin. Zudem richteten die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) Fragen an die Aufsichtsbehörde.

Behörden müssen Zusammenarbeit verbessern

Die AB-BA kam während ihrer Inspektion zum Schluss, dass die mit zahlreichen Ersatzmassnahmen verbundene Entlassung des Beschuldigten aus der Untersuchungshaft vertretbar war. Trotzdem empfiehlt sie eine «Optimierung der Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaften von Bund und Kantonen im Bereich der Terrorismusbekämpfung».

Nach Einschätzung der AB-BA hätte beim Täter von Morges eine eingehende Gefährlichkeitsbeurteilung durchgeführt werden müssen. Künftig solle dies über eine Koordinationsstelle laufen, die alle beteiligten Behörden einbezieht.

Kritik an Bundesanwaltschaft

Im Fall der Messerattacke in Lugano hatte die Bundesanwaltschaft ein früheres Strafverfahren gegen die Beschuldigte mit einer Nichtanhandnahmeverfügung erledigt. Die AB-BA ist der Auffassung, dass diese Verfügung nicht ohne weiteres zu rechtfertigen war. Es wäre «notwendig gewesen, den Sachverhalt zu klären und eine eingehende rechtliche Würdigung vorzunehmen», heisst es im Inspektionsbericht. Künftig sollten Nichtanhandnahmeverfügungen in solchen Fällen deshalb nicht mehr ohne Zustellungsvermerk, Begründung oder Rechtsmittelbelehrung erlassen werden.

Um die Gefährlichkeitsbeurteilung von Beschuldigten zu verbessern, empfiehlt die AB-BA zudem, dass Staatsanwältinnen und Staatsanwälte des Bundes, die im Bereich terroristischer Straftaten eingesetzt werden, Grundkenntnisse in forensischer Psychiatrie erwerben. Wenn Zweifel bestehen, ob Untersuchungshaft beantragt werden soll und kein psychiatrisches Gutachten vorliegt, empfiehlt die AB-BA, die Gefährlichkeit von Beschuldigten unter Beizug einer forensischen Psychiaterin oder eines forensischen Psychiaters zu beurteilen.

Auch Kommunikation wird bemängelt

Mängel ortete die AB-BA in beiden Fällen auch bezüglich Definition und Einhaltung der Abläufe, insbesondere in Bezug auf die Kommunikation der Verfahrensleitung. Im Fall von Morges wurden die Waadtländer Behörden aus Sicht der Aufsicht «nicht genügend in die Kommunikation einbezogen». In beiden Fällen erfolgte die Information von Medien und Öffentlichkeit nicht durch die Bundesanwaltschaft, sondern durch die kantonalen Behörden und das Bundesamt für Polizei Fedpol.

Die Empfehlungen der AB-BA werden von der Bundesanwaltschaft begrüsst und befinden sich in Umsetzung, wie es in einer Mitteilung heisst. Die beiden Fälle in Morges und Lugano ereigneten sich noch in der Amtszeit des ehemaligen Bundesanwalts Michael Lauber. Seit Januar 2022 steht Stefan Blättler der Bundesanwaltschaft vor. (SDA)

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