Krebserregende Atemgeräte
Zehntausende Patienten sind auf sich allein gestellt

Atemgeräte von Philips, die von Zehntausenden von Menschen in der Schweiz verwendet werden, enthalten einen krebserregenden Schaumstoff. Ärzte und Patientenstellen kritisieren, dass die Betroffenen nicht genügend informiert werden. Und eine Lösung ist nicht in Sicht.
Publiziert: 10.07.2021 um 13:19 Uhr
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Aktualisiert: 10.07.2021 um 13:35 Uhr
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Zehntausende Menschen leiden unter Schlafapnoe und benutzen deshalb Atemgeräte.
Foto: Getty Images
Adrien Schnarrenberger

Lieber aufhören, das Atemgerät zu benutzen und damit Schlafapnoe und noch ernstere Probleme riskieren? Oder es doch weiter brauchen, aber krebserregende Partikel einatmen? Vor dieser schwierigen Entscheidung stehen seit einigen Wochen Tausende Menschen in der Schweiz.

Der Ursprung des Problems geht auf einen Sicherheitshinweis zurück, der im April von Philips veröffentlicht und Ende Juni bestätigt wurde: Der für die Schalldämmung der «Respironics»-Geräte verwendete Polyurethan-Schaumstoff auf Polyesterbasis (PE-PUR) kann sich zersetzen und krebserregende Partikel freisetzen.

Diese Beatmungsgeräte werden verwendet, um Menschen mit Schlafapnoe zum Schlafen zu bringen. Nach Angaben der Lungenliga sind in der Schweiz davon etwa 150'000 Personen betroffen. Und 45'000 von ihnen benutzen die problematischen Philips-Modelle. Der Hersteller hat ein Behandlungs- und Supportzentrum für die Schweiz eingerichtet.

«Wir sind zutiefst schockiert»

Die Atemgeräte können also indirekt krebserregend wirken. Trotzdem hat sich nach den Recherchen von Blick niemand direkt an die betroffenen Patienten gewandt. Für den Dachverband der Schweizerischen Patientenstellen geht das gar nicht. «Wir sind zutiefst schockiert über diese Situation. Ein Patient mit einem Gerät, das seine Gesundheit potenziell ernsthaft gefährdet, wird sich selbst überlassen. Das sollten die Betroffenen nicht aus einem Zeitungsartikel erfahren», sagt Vizepräsident Simon Zurich.

Kritik kommt auch von den Fachleuten: Etwa Christophe von Garnier, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie und Leiter der entsprechenden Abteilung am Unispital in Lausanne (CHUV), sowie Raphael Heinzer, der das CHUV-Schlafzentrum leitet. «Als Philips am 14. Juni über das Problem informierte, kontaktierten wir das Unternehmen sofort. Und es bestätigte, dass mehrere zehntausend Geräte in der Schweiz betroffen seien», berichten die zwei Lungenspezialisten.

Sie informierten auch umgehend Pneumologen und Schlafmediziner, die diesen Gerätetyp in der Schweiz verschreiben, um auf diesem Weg möglichst viele Patienten zu erreichen. Eingesetzt werden solche Atemgeräte für Patienten mit Erkrankungen, die lebensgefährlich sein können. Umso mehr pochten von Garnier und Heinzer darauf, mehr Informationen über die unmittelbaren Risiken zu erhalten. Vergeblich: «Die Beurteilung der Risiken ist wichtig, um in jedem Fall die richtige Lösung zu finden. Doch trotz mehreren Telefonkonferenzen konnten uns weder die Vertreter von Philips noch von Swissmedic zufriedenstellende Informationen geben», kritisieren sie.

Monatelanges Warten

Swissmedic gibt den Schwarzen Peter an Philips weiter. «Es ist nicht dasselbe wie bei Medikamenten: Es liegt in der Verantwortung des Herstellers, die betroffenen Kunden zu kontaktieren», sagt Lukas Jaggi, Sprecher der Behörde, die für die Zulassung und Überwachung von Heilmitteln zuständig ist. Die Empfehlungen auf der Swissmedic-Website würden auf der Grundlage der von Philips erhaltenen Informationen «kontinuierlich» aktualisiert.

Das überzeugt die Waadtländer Professoren nicht. «Philips hat uns diese Woche mitgeteilt, dass der Austausch oder die Reparatur der Geräte Monate oder sogar mehr als ein Jahr dauern würde. Für uns ist das nicht akzeptabel.» Man brauche «so bald wie möglich» eine Risikobewertung, um die Patienten richtig beraten zu können. In der Zwischenzeit empfiehlt die Gesellschaft für Pneumologie, die Behandlung nicht eigenmächtig abzubrechen, sondern den Arzt zu kontaktieren.

Die vorherrschende Unklarheit ist für den Westschweizer Konsumentenschutz sehr irritierend. «In schwerwiegenden Fällen wie diesem sollte Swissmedic viel proaktiver sein und sich nicht hinter dem Hersteller verstecken. Wir versuchen, unseren Teil dazu beizutragen, aber es ist immer noch so, dass wir die Dinge selbst in die Hand nehmen müssen», sagt Yannis Papadaniel, Leiter der Gesundheitsabteilung. «Swissmedic ist sehr schnell darin, Daten von Herstellern zu übernehmen, um deren kommerziellen Interessen nicht zu sehr zu stören. Direkt mit den Akteuren will man aber scheinbar nicht zusammenarbeiten.»

Eile mit Weile

Der Dachverband der Patientenstellen fordert nun, «dass Swissmedic und Philips ihren gesetzlichen Verpflichtungen zur Gewährleistung der Patientensicherheit nachkommen.» Wie auch die Gesellschaft für Pneumologie verlangt er, die betroffenen Geräte durch gleichwertige Geräte einer anderen Marke zu ersetzen.

So einfach ist das allerdings nicht. In der Schweiz deckt Philips zwar nur etwa 30 Prozent des Marktes ab, doch die internationale Aufmerksamkeit hat die Nachfrage nach Geräten anderer Marken weltweit steigen lassen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Lagerbestände der Konkurrenten (einschliesslich Resmed, das den Schweizer Markt dominiert) in der Lage sein werden, diese plötzliche Verknappung auszugleichen, stellt der Konsumentenschutz fest.

1,2 Millionen «Respironics»-Geräte sind weltweit im Einsatz. Durch die Rückrufaktion musste Philips an der Börse Federn lassen.

Auf Nachfrage von Blick verweist das Unternehmen lediglich auf seine Sicherheitshinweise. Der Schweizer Kommunikationsdienst wiederum verweist auf Respironics, eine Tochtergesellschaft des niederländischen Konzerns, die ihrerseits an die Konzernleitung in Deutschland weiterleitet – die keine anderen Antworten hat, als die bereits auf der Webseite veröffentlichten.

Ohne Rahmenvertrag wird einiges schwieriger

Das Gesundheitswesen könnte einer der Bereiche sein, die vom Ende der Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der Europäischen Union betroffen sind. Bern und Brüssel schlossen ein Abkommen zur «gegenseitigen Anerkennung von Konformitätsbewertungen» (MRA), das 2002 in Kraft trat.

Dies bedeutet eine automatische Anerkennung von Medizinprodukten, da die EU-Medizinprodukte-Richtlinie in Schweizer Recht umgesetzt wurde. Bisher hatte die Schweiz auch Zugang zu Eudamed, einer europäischen Medizinprodukte-Datenbank zur Identifizierung und Rückverfolgung von Medizinprodukten. Mit dem Ende der Verhandlungen mit Brüssel wird die Schweiz künftig den Zugang dazu verlieren. «Swissmedic muss reagieren, indem sie Vorfälle im Zusammenhang mit Medizinprodukten zumindest europaweit auflistet und zentralisiert», sagt Yannis Papadaniel vom Westschweizer Konsumentenschutz.

Der Schweizerische Dachverband der Patientenstellen seinerseits ist «bestürzt darüber, dass sich die gleichen Probleme, die mit der Sicherheit von Medizinprodukten zusammenhängen, wiederholen». Für die Organisation zeigt dies, dass die Reformen des Parlamentes um diese Probleme zu lösen, «kosmetisch» waren.

Während die Pateienstellen die Möglichkeit straf- und/oder zivilrechtlicher Klagen prüft, um die Interessen der vom Philips-Gerätefall betroffenen Patienten zu verteidigen, würde der Konsumentenschutz die Möglichkeit einer Sammelklage im Falle von Verstössen begrüssen. «Das würde Druck auf die Hersteller ausüben und sie zwingen, früher und schneller zu reagieren», sagt Yannis Papadaniel.

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