Krankenschwester Irit Avisar will jetzt Patienten mit Gras behandeln
«Plötzlich hatte ich wieder ein Leben»

Sie behandelt sich selbst mit Cannabis – und will Patienten weltweit den Zugang zu medizinischem Gras erleichtern. Jetzt sprach die israelische Krankenschwester Irit Avisar in Zürich.
Publiziert: 07.02.2019 um 23:05 Uhr
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Aktualisiert: 26.06.2019 um 11:09 Uhr
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Hat sich selbst mit Cannabis behandelt: Die israelische Krankenschwester Irit Avisar ist MS-Patientin. Dank THC und CBS lebt sie symptomfrei, wie sie sagt.
Foto: Jessica Keller
Cinzia Venafro

Diese Frau hat eine Mission: «Ich will, dass kranke Menschen endlich unkompliziert an Cannabis kommen», sagt die israelische Krankenschwester Irit Avisar (49). «Denn Cannabis ist keine Droge – es ist ein Wunderkraut.»

Avisar muss es wissen: Die zweifache Mutter hat sich selbst mit medizinischem Cannabis behandelt. Vor zehn Jahren wurde bei der Krankenschwester aus Tel Aviv Multiple Sklerose (MS) diagnostiziert. Muskelspasmen und -verkrampfungen sowie schmerzhafte Blasenprobleme plagten sie. «Ich hatte höllische Schmerzen und fiel in ein Loch. Die konventionellen Medikamente halfen zwar bei den Symptomen von MS, die Nebenwirkungen waren aber so schlimm, dass sich das Ganze wieder aufwog.»

Doch dann entdeckte Avisar vor rund fünf Jahren medizinisches Cannabis. Ein Schlüsselmoment: «Das Cannabis linderte meine Schmerzen, ich konnte wieder normal gehen», sagt sie. «Und ich wurde auch wieder psychisch stark. Es hat mir wirklich das Leben gerettet.»

Krankenschwester kämpft gegen Vorurteile

Heute ist Avisar so stark, dass sie ihre Erfahrungen in die Welt hinausträgt: Sie gründete die Israel Medical Cannabis Nurses Association (IMCNA). Vor wenigen Tagen sprach die Krankenschwester am ersten Cannabis-Invest-Gipfel in Zürich – organisiert von der Handelskammer Schweiz-Israel.

«Wir Krankenschwestern sind am nächsten bei den Patienten. Darum müssen wir jetzt die Initiative ergreifen: Cannabis kann so viel Leid lindern», sagt sie. Avisar tourt mit ihrem Wissen um die Welt und gibt es gezielt an Krankenschwestern weiter.

«Wir müssen vor allem die Vorurteile mit Fakten bekämpfen», betont Avisar. Viele Ärzte hätten als Studenten mal gekifft. «Darum meinen sie, das medizinische Cannabis wirke gleich. Das ist ein Irrtum!»

Sie selbst konsumiert ein- bis viermal täglich eine Mischung aus THC- und CBD-haltigem Gras – und zwar als unbehandelte Blüte. In der Schweiz ist diese Form des medizinischen Cannabis – anders als in Israel – illegal. Nur CBD ist als Genussmittel zugelassen, weil es nicht psychoaktiv wirkt.

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«Die Kombination ist das Geheimnis!»

«Das Geheimnis ist, die beiden Stoffe zu kombinieren. Denn CBD hemmt die psychoaktive Wirkung von Kiffer-Gras, wie es die Menschen vom Schwarzmarkt her kennen», so Avisar. Sie inhaliert es mit einem Vaporizer, einem Gerät, das das rohe Kraut in Dampf verwandelt. Wegen der Zulassung als Betäubungsmittel hat Avisar zudem in Israel die Auswahl: Manche Sorten beruhigen, andere wecken auf. «Wenn ich faul sein darf, nehme ich logischerweise das beruhigende. Zum Arbeiten jenes, das mich antreibt.»

Avisars Erfahrung bestätigt Claude Vaney (65), ehemaliger Chefarzt Neurologie der Berner Klinik in Crans-Montana und Vorstandsmitglied der MS-Gesellschaft Schweiz: «Am besten wirken Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) in Kombination.» Besonders die schmerzstillende Wirkung hat er in mehreren Studien nachweisen können. Doch Vaney betont: «Auf den Verlauf von MS und die Anzahl Schübe hat Cannabis keinen Einfluss.»

Vaney kann seit 2014 seinen Patienten einen Cannabis-Mundspray verschreiben. Dieser enthält sowohl THC als auch CBD. Mit einem speziellen Rezept bekommen Patienten es in der Apotheke. Aber nur, wenn sie und der Arzt nachweisen, dass andere Medikamente nicht genügend wirken. Die gleiche Regelung gilt für Krebspatienten, die mit Cannabis die Nebenwirkungen einer Chemotherapie lindern wollen.

«Die Krankenkassen müssen bezahlen!»

Genau das sei das Problem, klagt die frühere Patientenschützerin Margrit Kessler (70): Für Ärzte und Patienten sei das Bewilligungsverfahren für medizinisches Cannabis viel zu kompliziert. Trotzdem: Laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) gingen in den letzten fünf Jahren rund 9000 Gesuche ein.

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Bisher kam das nicht in die Tüte:Darf in der Schweiz endlich gekifft werden?

Es sei «völlig unverständlich», so Kessler, dass medizinisches Cannabis vom Gesetz her nicht gleich wie Morphin behandelt werde. Morphin sei schliesslich auch nicht als Spassdroge auf dem Markt erhältlich. «Darum müssen wir einen klaren Unterschied zwischen der Verwendung von Cannabis für medizinische Zwecke und der in der Freizeit machen.» Am Investgipfel in Zürich betonte sie: «Nur so werden wir alle Politiker überzeugen können, dass die Legalisierung von medizinischem, standardisiertem Cannabis notwendig ist.»

«Man glaubt den Patienten nicht»

Zudem sei die Konsum-Genehmigung «de facto wertlos», wenn Krankenkassen medizinisches Cannabis nicht bezahlten. Patienten müssten zwischen 200 bis 2000 Franken pro Monat selbst berappen. «Viele Patienten besorgen sich deshalb verschiedene Cannabisformen aus medizinischen Gründen auf dem Schwarzmarkt.»

Für Kessler gehören Cannabisprodukte auf die Spezialitätenliste der Arzneimittel. «Sonst fehlt die rechtliche Grundlage, damit diese Substanzen von der Krankenkasse übernommen werden.»

Auch Marc Lutz (37) von der Schweizerischen Gesellschaft für Multiple Sklerose klagt: «Wir wissen, dass Cannabis bei vielen MS-Betroffenen einen positiven Effekt hat. Cannabis sehen wir in erster Linie als Medikament und nicht als Droge. Es ist ein Missstand, dass Betroffene zuerst beweisen müssen, dass ihnen nichts anderes besser gegen gewisse Symptome hilft. Hier muss ein Umdenken stattfinden.»

Bund will Cannabis-Verbot kippen

Cannabis ist in der Schweiz verboten – auch für die medizinische Anwendung. In seltenen Fällen und unter strengen Auflagen kann das Bundesamt für Gesundheit (BAG) jedoch eine Ausnahmebewilligung erteilen.

Anders ist das in mittlerweile einem Dutzend Länder weltweit – darunter Deutschland, Italien, Belgien, Portugal und Grossbritannien. Hier ist Cannabis für medizinische Anwendungen zugelassen.

Auch die Schweiz macht vorwärts. Das System der Ausnahmebewilligung sei «unbefriedigend», so das BAG. Daher prüft der Bundesrat derzeit Varianten, um Kranken den Zugang zu Medizinalcannabis zu erleichtern. Denkbar wäre, Cannabis gleich zu behandeln wie Methadon oder Morphin. Damit würde Cannabis zum «kontrollierten» Betäubungsmittel. Sermîn Faki

Cannabis ist in der Schweiz verboten – auch für die medizinische Anwendung. In seltenen Fällen und unter strengen Auflagen kann das Bundesamt für Gesundheit (BAG) jedoch eine Ausnahmebewilligung erteilen.

Anders ist das in mittlerweile einem Dutzend Länder weltweit – darunter Deutschland, Italien, Belgien, Portugal und Grossbritannien. Hier ist Cannabis für medizinische Anwendungen zugelassen.

Auch die Schweiz macht vorwärts. Das System der Ausnahmebewilligung sei «unbefriedigend», so das BAG. Daher prüft der Bundesrat derzeit Varianten, um Kranken den Zugang zu Medizinalcannabis zu erleichtern. Denkbar wäre, Cannabis gleich zu behandeln wie Methadon oder Morphin. Damit würde Cannabis zum «kontrollierten» Betäubungsmittel. Sermîn Faki

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