Krankenkassenprämien sinken
CVP-Pfister und SP-Levrat streiten trotzdem

Die Krankenkassenprämien steigen nächstes Jahr nur moderat. Trotzdem ist die Prämienlast für viele zu hoch – da sind sich die Parteichefs Christian Levrat (SP) und Gerhard Pfister (CVP) einig. Doch beide kochen nach eigenem Rezept und machen mit Volksinitiativen Druck.
Publiziert: 24.09.2019 um 23:06 Uhr
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Aktualisiert: 03.10.2019 um 08:22 Uhr
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CVP-Präsident Gerhard Pfister (l.) und SP-Chef Christian Levrat streiten sich um die Gesundheitspolitik.
Foto: Peter Gerber
Ruedi Studer

Schweizerinnen und Schweizer fühlen sich von Krankenkassenprämien erdrückt. Dass SP-Gesundheitsminister Alain Berset (47) gestern für 2020 eine moderate Prämienerhöhung von durchschnittlich nur 0,2 Prozent angekündigt hat, tröstet da kaum. Denn mit rund 315 Franken pro Monat belasten die Prämien das Portemonnaie weiterhin stark.

Zudem sind die Unterschiede zwischen den Kantonen gross: Am meisten freuen dürfen sich die Luzerner, deren Belastung um 1,5 Prozent sinkt. Am stärksten leiden müssen die Neuenburger. Sie bezahlen 2,9 Prozent mehr.

Die moderate Prämienerhöhung führt Berset vor allem auf Sparmassnahmen zurück. Durch tiefere Medikamentenpreise wurde seit 2012 eine Milliarde Franken eingespart. Der neue Tarmed-Tarif (Tarif für ambulante ärztliche Leistungen) brachte 2018 weitere 500 Millionen Franken. 

Doch Berset hob auch den Warnfinger: «Wir müssen weiterhin wachsam sein.» Die steigende Lebenserwartung wie auch die medizinisch-technologische Entwicklung verteuern das Gesundheitswesen weiter. Für Berset ist klar: «Es braucht jedes Jahr neue Massnahmen!» 

SP und CVP machen mit Volksinitiativen Druck

Das sehen auch SP und CVP so – beide Parteien machen mit Volksinitiativen Druck auf die Gesundheitskosten. BLICK traf die Parteichefs Christian Levrat (49, SP) und Gerhard Pfister (56, CVP) im Bundeshaus zum Gespräch. 

BLICK: Ihre beiden Parteien liefern sich mit Gesundheitsinitiativen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Wer hat nun die Nase vorn?
Gerhard Pfister: Wir stehen nach elf Monaten bei 95'000 Unterschriften und bringen die Initiative auch zusammen.
Christian Levrat: Ihr habt für Unterschriften bezahlt! Wir haben nach sechs Monaten bereits etwas mehr als 100'000 Unterschriften zusammen. Bei uns stehen die Leute Schlange.
Pfister: Das machen andere Parteien auch. Wir sind in der Westschweiz nun einmal keine grosse Partei, und wir wollen, dass auch die Romands unsere Initiative unterschreiben können. Was sie übrigens sehr gern tun.

Doch das SP-Rezept mit einer Prämienobergrenze von zehn Prozent schmeckt den Leuten offenbar besser.
Pfister: Was die SP vorschlägt, ist etwa dasselbe, als würde man den Klimawandel bekämpfen, indem man das Thermometer bei einer gewissen Temperatur skaliert. Ihre Initiative bekämpft nicht die Ursachen, sondern pumpt noch weitere Milliarden ins System. Unsere Initiative hingegen legt ein Preisschild fest, das die Entwicklung unserer Löhne im Auge behält. Das ist der richtige Weg.
Levrat: Bei der Einführung des Krankenversicherungsgesetzes war eine maximale Prämienbelastung von acht Prozent das Ziel. Jetzt sind es durchschnittlich 14 Prozent. Da ist etwas massiv aus dem Ruder gelaufen! 40 Prozent der Haushalte zahlen mehr Prämien als Steuern, deshalb müssen wir den Mittelstand bei den Prämien entlasten. Unsere Initiative kostet etwa drei Milliarden Franken – und dieses Geld ist beim Bund vorhanden.
Pfister: Die drei Milliarden zahlt nicht der Bund, sondern der Steuerzahler. Es macht keinen Sinn, den Mittelstand bei den Prämien zu entlasten und bei den Steuern wieder zu belasten.
Levrat: Wir wollen doch keine höhere Belastung. Wir können zum Beispiel auf die Abschaffung der Stempelsteuer verzichten, die den Bund zwei Milliarden kostet.
Pfister: Eine Prämienobergrenze ist unnötig. Was die SP will, haben wir nämlich bereits mit der Prämienverbilligung. 
Levrat: Die Prämienverbilligung hilft den Schwächsten unserer Gesellschaft. Es fehlt aber die Entlastung des unteren Mittelstands. Jener also, die knapp nicht von einer Verbilligung profitieren. 

Das haben Sie mit dem Bundesgerichtsurteil im Fall Luzern erreicht. Viele Kantone haben die Prämienverbilligung daraufhin aufgestockt. 
Levrat: Dank uns haben 250'000 Familien mehr Prämienverbilligung erhalten. Doch das reicht nicht. 
Pfister: Die Kantone müssen hier zu Recht korrigieren. Doch wir müssen auch bei den Kosten ansetzen. Im Gesundheitswesen lassen sich rund 6 Milliarden Franken einsparen, ohne dass die Qualität der Leistungen leidet.

Nennen Sie konkrete Beispiele.
Pfister: Bei den Medikamenten lässt sich noch sehr viel einsparen.
Levrat: Einverstanden! Doch als wir Parallelimporte zulassen wollten, ist Ihr Vorgänger Christophe Darbellay zu Novartis gekrochen und hat hoch und heilig versprochen, die Interessen der Pharma zu verteidigen. Das wäre der Durchbruch für tiefere Preise gewesen.
Pfister: Bei den Medikamenten wurde bisher rund 1 Milliarde Franken eingespart – mithilfe der Pharma. Wir müssen aber nicht nur bei den Preisen, sondern auch bei der Verschwendung ansetzen: Tausende Medikamente landen im Abfall, weil die Packungen zu gross sind. Aber auch die Arzttarife müssen weiter angepasst werden.
Levrat: Die Initiative stellt zwar die richtige Frage. Das Problem ist aber: Sie ist eine Black Box! Wir wissen nicht, was sie will. Führt sie zu Rationierungen? Wird ab November nicht mehr operiert, wenn es zu viele Operationen gegeben hat?
Pfister: Rationierungen sind kein Thema! Ebenso wenig ein Zweiklassensystem. 
Levrat: Es wäre klüger gewesen, Sie hätten konkrete Forderungen und Massnahmen in Ihrer Initiative festgeschrieben. Jetzt ist sie derart vage: Entweder ist sie ein leeres Versprechen oder ein Blankocheck, der die Bevölkerung teuer zu stehen kommt.
Pfister: Wir erteilen doch keinen Blankocheck. Wir legen nur fest, wann der Bundesrat handeln muss. Es gibt einen Expertenbericht mit einem bunten Strauss an kostendämpfenden Massnahmen, der liegt längst auf dem Tisch. Jetzt braucht es den Druck durch das Volk und die Verfassung, damit diese vom Parlament auch umgesetzt werden.

Herr Levrat, Ihre Initiative zielt auf Umverteilung statt Sparen. Wo würden Sie den Sparhebel denn ansetzen?
Levrat: Bei den Medikamentenpreisen, insbesondere den Generika, aber auch bei den Ärztelöhnen. Der grösste Brocken betrifft aber die Planung und Steuerung im Gesundheitsbereich. 

Sie wollen also Spitäler schliessen!
Levrat: Nicht nur. Es geht auch darum, ob wirklich jede Privatklinik anerkannt werden muss. Oder ob in jedem Spital die teuersten Geräte stehen müssen. Das sollen die Kantone entscheiden.
Pfister: Im Gesundheitswesen sind die Kantone Teil des Problems. So gefährden sie die jetzt aufgegleiste einheitliche Spitalfinanzierung, indem sie auch gleich die Pflegekosten in die Vorlage packen wollen und das Fuder damit überladen. Es braucht deshalb mehr Steuerung durch den Bund. 
Levrat: Wenn wir im Parlament etwas bewegen wollen, intervenieren Dutzende von Gesundheitslobbyisten. Die Gesundheitskommissionen werden kolonisiert von Krankenkassen- und Verbandsvertretern, die muss man dort hinauswerfen. In diese Richtung zielt übrigens ein Vorstoss von CVP-Ständerat Beat Rieder.
Pfister: Ich sitze selber in der Gesundheitskommission und erlebe die versuchte Einflussnahme der Lobbyisten. Das geht weit über das Milizsystem hinaus. Mit unserer Initiative können wir die Akteure im Gesundheitswesen dazu bringen, ihre Verantwortung für die Kostenentwicklung zu übernehmen. 

Das grosse Problem ist doch, dass das Parlament durch die unterschiedlichsten Interessen in der Gesundheitspolitik sowieso blockiert ist.
Levrat: Ja, aber nach dem 20. Oktober haben wir ein neues Parlament. Die CVP-Initiative bietet uns die Möglichkeit, dass wir die verschiedenen Sparmöglichkeiten im Sinn eines Gegenvorschlags angehen können.

Ein Gegenvorschlag? Ein CVP-SP-Gesundheitspakt wie bei der Rentenreform?
Levrat: Von rechts kommt bestimmt keine Lösung.
Pfister: Wir sind tatsächlich die beiden einzigen Parteien, die sich mit der Gesundheitsproblematik ernsthaft auseinandersetzen. Ich sehe weder von der FDP noch der SVP irgendeinen brauchbaren Vorschlag.

Doch, sie wollen das Grundversicherungsobligatorium abschaffen oder zumindest einschränken.
Pfister: Eben, kein brauchbarer Vorschlag! Wer das Obligatorium abschaffen will, verletzt das Grundprinzip der Solidarität. Damit geht man ins tiefe Mittelalter zurück. In der kommenden Legislatur wird – dank beiden Initiativen – das für die Bevölkerung dringendste Problem endlich angegangen. Wenn das Parlament nicht handelt, wird das Volk beide Initiativen annehmen.

Dabei braucht es Ihre Initiativen doch gar nicht mehr. Die Prämien steigen nächstes Jahr nur um 0,2 Prozent, der Turnaround ist geschafft.
Levrat: Der Turnaround ist noch lange nicht geschafft! Real dürfte es dieses Jahr gar keine Erhöhung geben, haben die Kassen doch genügend Reserven auf der hohen Kante, die längst an die Versicherten zurückfliessen müssten. 
Pfister: Die moderate Erhöhung hat auch mit dem Druck zu tun, den unsere beiden Initiativen ausgelöst haben. Die Krankenkassen fürchten sich davor, vor den Wahlen weiter Öl ins Feuer zu giessen. Ob es sich tatsächlich um einen Turnaround handelt, können wir erst in zwei, drei Jahren beurteilen. Klar ist aber: Die Prämienbelastung des Mittelstands hat ein nicht mehr ertragbares Mass erreicht. Wenn wir jetzt nichts unternehmen, wird die Einheitskasse mehrheitsfähig.

Christian Levrat will einen Prämiendeckel

Christian Levrat (49) verlangt mit seiner Initiative einen Prämiendeckel. Kein Haushalt soll mehr als 10 Prozent des Einkommens für die Krankenkassen-Prämien ausgeben. Levrat ist seit 2008 SP-Chef. Der Freiburger politisiert seit 2003 im Bundeshaus – zuerst als Nationalrat, seit 2012 als Ständerat. Beruflich war Levrat etwa für die Schweizerische Flüchtlingshilfe sowie für die Gewerkschaft tätig. Er lebt in Vuadens FR, ist verheiratet und hat drei Kinder.

Christian Levrat (49) verlangt mit seiner Initiative einen Prämiendeckel. Kein Haushalt soll mehr als 10 Prozent des Einkommens für die Krankenkassen-Prämien ausgeben. Levrat ist seit 2008 SP-Chef. Der Freiburger politisiert seit 2003 im Bundeshaus – zuerst als Nationalrat, seit 2012 als Ständerat. Beruflich war Levrat etwa für die Schweizerische Flüchtlingshilfe sowie für die Gewerkschaft tätig. Er lebt in Vuadens FR, ist verheiratet und hat drei Kinder.

Pfister will die Kostenbremse

Gerhard Pfister (56) verlangt mit seiner Initiative die Einführung einer Kostenbremse: Steigen die Gesundheitskosten stärker als die Löhne, müssen Bund und Kantone eingreifen, um die Kosten zu dämpfen. Pfister lebt in Oberägeri ZG und ist verhei­ratet. Er studierte Literatur und Philosophie und führte nach dem Tod seines Vaters dessen Schulinternat bis zur Schliessung im Jahr 2008 weiter. Seit 2003 sitzt Pfister im Nationalrat, seit 2016 ist er CVP-Präsident.

Gerhard Pfister (56) verlangt mit seiner Initiative die Einführung einer Kostenbremse: Steigen die Gesundheitskosten stärker als die Löhne, müssen Bund und Kantone eingreifen, um die Kosten zu dämpfen. Pfister lebt in Oberägeri ZG und ist verhei­ratet. Er studierte Literatur und Philosophie und führte nach dem Tod seines Vaters dessen Schulinternat bis zur Schliessung im Jahr 2008 weiter. Seit 2003 sitzt Pfister im Nationalrat, seit 2016 ist er CVP-Präsident.

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