Am vergangenen Donnerstag ist es endlich so weit. Seit 2017 tüfteln National- und Ständerat an einem Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative. Doch weil sich die beiden Räte nicht auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen können, kommt es zur Einigungskonferenz. Die nationalrätliche Variante sieht vor, dass Schweizer Unternehmen haften, wenn sie im Ausland Menschenrechte verletzen. Die ständerätliche Variante geht weniger weit und will lediglich eine Berichterstattungspflicht.
Alle Parteien wissen: Die Abstimmung bei der Einigungskonferenz dürfte knapp ausfallen. Jede Stimme zählt, besonders im bürgerlichen Lager. Das bringt FDP und CVP in eine Zwickmühle.
Denn Vertreter beider Parteien waren in der Rechtskommission federführend an der Ausarbeitung des nationalrätlichen Gegenvorschlags beteiligt. Bei FDP waren das Christa Markwalder (44) und Giovanni Merlini (58), bei CVP Karl Vogler (64) und Viola Amherd (57). Das bürgerliche Engagement für einen griffigen Gegenvorschlag begründet sich mit der Angst vor einem Volks-Ja. Und damit, dass selbst die Wirtschaft im Bezug auf die Initiative gespalten ist – so sprechen sich Migros und Ikea dafür aus, während Economiesuisse dagegen hält.
Die Wahlen verändern die Ausgangslage
Doch die Parteispitzen von FDP und CVP wissen auch: Die Mitglieder der Rechtskommission, welche die Vorlage entscheidend geprägt haben, vertreten in der eigenen Partei eine Minderheit.
Einerseits, weil von den vier Politikern aus dem progressiven Lager nur noch Markwalder im Parlament ist – Amherd wurde 2018 in den Bundesrat gewählt; Merlini und Vogler sind bei den Wahlen 2019 nicht mehr angetreten. Andererseits, weil der Ständerat nach einer Intervention von FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter (56) im letzten Jahr einen Gegenvorschlag eingebracht hat, mit dem der wirtschaftsfreundliche Flügel von FDP und CVP gut leben kann.
Machtpolitik setzt sich durch
Am Donnerstag stellt sich für FDP und CVP also die Frage, was ihnen wichtiger ist: die Meinungsverschiedenheiten in der eigenen Partei wiedergeben, indem sie Vertreter beider Lager an die Einigungskonferenz schicken oder kein Risiko eingehen und sicherstellen, dass der ständerätliche Vorschlag durchkommt.
Am Ende fackeln beide Parteien nicht lange: die FDP verwehrt Wortführerin Christa Markwalder die Teilnahme an der Einigungskonferenz, während die CVP statt dem Genfer Vincent Maitre (39) die konservativeren Walliser Sidney Kamerzin (45) und Matthias Bregy (41) hinschickt.
Zwei Stimmen haben gefehlt
Und so kommt es, wie es kommen musste: Mit 15 zu 11 Stimmen votierten die Parlamentarier der Rechtskommissionen knapp für den ständerätlichen Gegenvorschlag. Hätten an der Einigungskonferenz nur zwei Delegierte anders gestimmt, wäre die Ausgangslage heute eine andere. Denn der Stichentscheid der Präsidentin, SP-Nationalrätin Laurence Fehlmann Rielle, wäre ziemlich sicher für die griffigere, nationalrätliche Variante ausgefallen.
So aber ziehen die Initianten ihre Initiative nicht zurück. Die Vorlage kommt entweder mit dem indirekten Gegenvorschlag des Ständerats oder aber «nackt» an die Urne – je nachdem, wie sich das Parlament kommende Woche entscheidet.
Viel Herzblut investiert
Bei den Verlierern ist die Enttäuschung gross. Nicht so sehr über das Resultat an sich, als über die Tatsache, dass man nach drei Jahren mit leeren Händen dasteht. Der Grünliberale Beat Flach (55), der ebenfalls stark in die Ausarbeitung des nationalrätlichen Gegenvorschlags involviert war, stört sich insbesondere am Verhalten der Christdemokraten: «Die CVP hat sich während der Ausarbeitung des Gegenvorschlags stets für eine verantwortungsabhängige Unternehmenshaftung ausgesprochen. Wenn man das von Anfang an nicht gewollt hätte, hätten wir uns drei Jahre Arbeit und viel Herzblut sparen können.»
SP-Nationalrätin Min Li Marti (46) sieht das Problem in der «Unbeweglichkeit» des Ständerats, der auf den nationalrätlichen Vorschlag noch nicht einmal eintreten mochte – nur um in letzter Sekunde auf den Gegenvorschlag des Bundesrates aufzuspringen. «Der Ständerat kann nicht damit umgehen, wenn aus dem Nationalrat eine gute Lösung kommt.» Marti fügt an: «Ich weiss nicht, ob das ein Status-Problem ist.»
Keine Kompromissbereitschaft
Eine ganz andere Sicht der Dinge vertritt CVP-Ständerat Beat Rieder (57), einer der treibenden Kräfte hinter dem ständerätlichen Gegenvorschlag. «Als der Ständerat die Variante des Nationalrats abgelehnt haben, war unsere Botschaft klar: Wir können keinen Gegenvorschlag akzeptieren, der die Initiative bereits umsetzt und unsere Unternehmungen einem weltweit einmaligen Haftungsrisiko aussetzt», sagt er. «Doch die Initianten haben jeglichen Kompromissvorschlag abgelehnt und den Nationalrat so auf Linie gebracht.»
Auch innerhalb der CVP sei eine Mehrheit stets gegen neue Haftungsnormen mit unkontrollierbaren Folgen für die Schweiz gewesen, so Rieder weiter. Von daher könne von einem Kurswechsel keine Rede sein. Rieders Bilanz: «Die Initianten haben hoch gepokert – und verloren.»