Am 3. Januar, am 16. Juli und am 1. November wurde Geschichte geschrieben: An diesen Tagen griffen Frauen nach der Macht. Als Sprecherin des Repräsentantenhauses machte US-Demokratin Nancy Pelosi ihrem Präsidenten Feuer unterm Hintern, die deutsche Ex-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen wurde zur EU-Chefin und Christine Lagarde übernahm die Leitung der Europäischen Zentralbank.
2019 war das Jahr der Frauen. Mit Beharrlichkeit haben sie sich weltweit Toppositionen erkämpft. Nun sitzen sie an zentralen Schaltstellen der Politik. Sie haben Netzwerke geknüpft, sich gegen die Vorherrschaft der Männer gewehrt und gefordert, was ihnen zusteht: gleiche Löhne, gleiche Karrierechancen – und dass ihnen bitte keiner mehr an den Hintern greift.
Dem Frauenstreik am 14. Juni in der Schweiz folgten Taten und eine breite Unterstützung der Bevölkerung. Seit der Wahl am 20. Oktober sind mehr Frauen im Parlament als je zuvor. Auch im Bundesrat geben sie den Ton an. Viola Amherd räumt beim VBS auf, Karin Keller-Sutter ist heimliche Leaderin im Europa-Dossier, Simonetta Sommaruga übernimmt 2020 das Amt der Bundespräsidentin.
Noch ein Beispiel ist die Klimabewegung. Sie wird weltweit von jungen Frauen dominiert. Sogar China hat seine eigene Greta. Eine banale Erklärung: Frauen kümmern sich gern. Zum Beispiel um die Erhaltung der Umwelt. Weniger banal: Frauen haben keine Lust mehr, in der zweiten Reihe zu stehen. Warum sollten sie dort bleiben?
Die Frauen haben begriffen, dass sie alles werden können: Kanzlerin, EU-Chefin, Bundespräsidentin. In Israel zeigt Haifas Bürgermeisterin, wie man eine Koalition mit Ultraorthodoxen und Muslimen führt. In Finnland ist die Regierung seit Dezember weiblich – allen fünf Parteien der Regierungskoalition stehen Frauen vor. Dabei ist es völlig unerheblich, ob all diese Frauen glühende Feministinnen sind.
Ruth Bader Ginsburg, Ikone des US Supreme Courts, wurde immer wieder gefragt, wie viele Frauen am Obersten Gerichtshof denn «genug» wären. Ihre Antwort: «Neun.» Schliesslich habe es da auch schon neun Männer gegeben – «und niemand hat das je infrage gestellt».
Ein Titelbild der linken deutschen Tageszeitung «Taz» zeigte im Juli die drei CDU-Mitglieder Angela Merkel, Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer fröhlich vereint. Jahrelang hatten sie einander den Rücken gestärkt. Nun stehen sie an der Spitze Deutschlands, der EU und der stärksten Partei im Bundestag. Die «Taz» schrieb dazu: «So haben wir uns das Ende des Patriarchats aber nicht vorgestellt» – ironischer Hinweis darauf, dass weibliche Macht sogar eine konservative Partei durchdringen kann.
Eine US-Präsidentin gabs noch nie. Wird aber eigentlich höchste Zeit. Den Wahltag am 3. November 2020 sollten wir deshalb im Auge behalten. Er könnte wieder ein historisches Datum werden.