Juncker besucht die Schweiz
Der teuerste Staatsbesuch aller Zeiten

Vor dem Besuch des EU-Kommissionspräsidenten entbrennt ein Streit um die Kohäsionsmilliarde.
Publiziert: 12.11.2017 um 00:52 Uhr
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Aktualisiert: 22.10.2022 um 11:48 Uhr
Jean-Claude Juncker und Bundespräsidentin Doris Leuthard in Brüssel.
Foto: Reuters
Simon Marti und Sermîn Faki

Die Kohäsionsmilliarde war das letzte Pfand der Schweizer im bilateralen Poker mit Brüssel. So jedenfalls sah es der Bundesrat noch im Sommer und bremste den damaligen Aussenminister Didier Burkhalter (57), der die Summe ohne Gegenleistung zahlen wollte.

Nächste Woche soll das Geld gesprochen werden

Nun spielt der Bund seinen Trumpf doch aus. Kommende Woche, so heisst es in Bern, soll das Geld vom Bundesrat gesprochen werden. Ist es nur Zufall, dass Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (62) kurz darauf, am 23. November, der Schweiz einen Besuch abstattet?

Das glaubt kaum jemand. Doris Leuthard (54) wolle zum Ende ihres Präsidialjahres noch ein neues Abkommen mit der EU unterzeichnen, die Kohäsionsmilliarde diene dabei als Schmiermittel, wie böse Zungen behaupten. Nicht einmal mehr von einer Verknüpfung mit besserem Marktzugang für Schweizer Banken oder einem Entgegenkommen der EU in Sachen Rahmenabkommen ist die Rede.

Die Vermutung sorgt im Parlament für Unmut – von rechts bis links: «Frau Leuthard will Juncker offenbar unbedingt empfangen. Und schon stellt man vorschnell mehr als eine Milliarde in Aussicht», sagt der Präsident der Aussenpolitischen Kommission, SVP-Nationalrat Roland Büchel (52, SG).

«Es braucht keine Zahlungen, damit die Verhandlungen fortgesetzt werden können.»

Ähnlich sieht es FDP-Aussenpolitiker Damian Müller (33, LU). «Dass der Bundesrat den Kommissionspräsidenten mit der Aussicht auf eine weitere Kohäsionsmilliarde ködert, macht keinen Sinn», so der FDP-Ständerat. Er kritisiert, «dass weder die Kommissionen noch das Parlament» über den Inhalt der Verhandlungen und deren Konsequenzen informiert seien. «So dürfen wir nicht ein Pfand aus der Hand geben.»
Entscheidend sei, dass die Schweiz alle offenen Punkte in Sachen Finanzdienstleistungen mit der EU regelt sowie aktuelle und künftige Handelshemmnisse aus dem Weg räumt. Gemäss Bundesrat stünde die Schweiz mit Brüssel wieder in einem ordentlichen Dialog. Müller: «Es braucht keine Zahlungen, damit die Verhandlungen fortgesetzt werden können.»

Die Kritik von links zielt auf etwas anderes. «Eine Verknüpfung der Kohäsionsmilliarde mit anderen Dossiers ist unsinnig», sagt SP-Nationalrat Eric Nussbaumer (57). Doch das gewählte Vorgehen erwecke diesen Eindruck. «Wenn der Bundesrat den Betrag so kurz vor dem Juncker-Besuch spricht, sieht es genau danach aus», ärgert sich der Baselbieter.

Wie das Geld verteilt werden soll ist noch nicht bekannt

Selbst in Leuthards Partei ist man skeptisch: «Der Bundesrat soll bei seinen Zusagen beachten, dass die Kohäsionsmilliarde noch durchs Parlament muss. Und ich bin mir nicht sicher, dass sich dafür eine Mehrheit findet», sagt CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (53, BL).

Wie genau die rund 1,3 Milliarden Franken verteilt werden würden, steht noch nicht fest. So sollen etwa 200 Millionen in Berufsbildungsprojekte gehen.

Weitere 200 Millionen könnten in den Migrationsbereich fliessen, um Ländern wie Polen und Ungarn das Resettlement-Programm der EU schmackhaft zu machen. Ob die Osteuropäer daran interessiert sind, ist jedoch äusserst fraglich. SVP-Nationalrat Büchel stand in den vergangenen Monaten in Kontakt mit Politikern in der Region. Sein Fazit: «Der politische Wille, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, ist schlicht nicht vorhanden.»

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