BLICK: Herr Grossen, Ende August werden Sie als Landei aus dem Berner Oberland Präsident der modernen, progressiven und urbanen GLP. Wie wollen ausgerechnet Sie die Partei zurück auf die Erfolgsstrasse führen?
Jürg Grossen: Vom Denken her bin ich nicht nur Oberländer, sondern auch Europäer und Kosmopolit. Wir vertreten ein progressiv-liberales Gedankengut. Das können wir nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land abholen. Gerade in ländlichen Gebieten müssen wir noch stärker Fuss fassen und wachsen.
Um das Amt des Parteipräsidenten reisst sich heute fast niemand mehr – in allen Parteien. Weshalb machen Sie es trotzdem?
Ich war schon grünliberal, bevor es die Grünliberalen in Bern gab. Das ist für mich eine Herzensgeschichte. Ich lebe die Energiewende und will dieses Gedankengut weiterverbreiten.
Ihre erste wichtige Amtshandlung als Präsident ist die Bundesratswahl im September. Muss nun zwingend ein Tessiner in den Bundesrat?
Nein, überhaupt nicht zwingend. Das Tessin ist eine wichtige Minorität, die sicherlich ab und zu einen Anspruch hat. Aber andere Gegenden der Schweiz hatten auch schon lange keinen Bundesrat mehr, gewisse Kantone noch gar nie. Mir wäre es wichtiger, dass wir wieder drei Frauen in der Regierung haben. Also lieber eine Frau als einen Tessiner.
Wieso unbedingt eine Frau?
Frauen machen eine sehr nachhaltige und genauso gute Politik wie Männer. Aus diesem Grund hätte ich am liebsten vier Bundesrätinnen – aber mindestens drei. Zwei sind definitiv zu wenig. In meiner Firma und in der Partei habe ich stets die Erfahrung gemacht, dass mit einer guten Vertretung von Frauen die Resultate besser werden.
Wie erklären Sie sich dies?
Männerdominierte Gremien sind oft gefangen in gewissen Denkmustern. Frauen bringen neue Ansätze und Gesichtspunkte hinein. Ausgeglichene Teams sind sehr befruchtend, was zu besseren Lösungen führt. Und das hat auch der Bundesrat nötig.
Sie übernehmen die Partei an einem Tiefpunkt. Ein Wahlsieg 2019 wird für Sie damit einfacher. Was ist Ihre Zielsetzung?
Ich bin ein ehrgeiziger Mensch. Natürlich will ich wachsen und die Fünf-Prozent-Hürde wieder überspringen. Im Vergleich zum Wähleranteil sind wir im Nationalrat untervertreten. Es müssten mindestens zwei bis drei Sitze mehr sein, das setze ich mir daher auch zum Ziel.
In welchen Kantonen liegen Sitzgewinne drin?
In den Kantonen Luzern, St. Gallen, Thurgau, Zürich und allenfalls auch Bern. Der Erfolg hängt von unserem Wähleranteil und auch von Listenverbindungen ab.
Legen Sie sich wieder mit allen ins Bett, wenn es sich politisch rechnet?
Unser Wahlsystem ist unfair und benachteiligt kleine Parteien. Das können wir nur mit Listenverbindungen ausgleichen. Die SVP ist für uns rechnerisch tabu. Listenverbindungen mit SP und Grünen wie auch mit bürgerlichen Parteien werden wir auch in Zukunft eingehen.
In der Waadt hat die GLP bei den Regierungsratswahlen aber ein Päckli mit der SVP gemacht.
Bei Majorzwahlen sind die Voraussetzungen anders. Um einen Regierungs- oder Ständeratssitz zu ergattern, müssen wir alle möglichen Allianzen eingehen – auch mit Parteien, die teilweise andere Werte vertreten als wir.
Das ist doch scheinheilig.
Nein, sonst hat man als Kleinpartei überhaupt keine Chance.
Für viele ist das Profil der GLP unscharf: Mal links, mal rechts, mal beides. Mit welchen Themen wollen Sie in Zukunft beim Volk punkten?
Die Vereinbarung von Umwelt und Wirtschaft wird bei uns ein Kern bleiben. Für mich ist diesbezüglich auch klar: Ich möchte die GLP stärker zur KMU-Partei machen. KMU sind wie wir auf Nachhaltigkeit ausgerichtet, auf den sorgsamen Umgang mit natürlichen Ressourcen und Steuergeld etwa. Aber auch gesellschaftspolitische Themen wie die Ehe für alle sind für uns von grosser Bedeutung. Und natürlich der Erhalt der bilateralen Verträge.