«Ich lebte daheim in ständiger Angst», erzählt die Seniorin Alice Büttiker* im Blick. Ihr Mann Heinz* wurde nicht nur aggressiv ihr gegenüber, sondern schlug auch zu. Der Grund dafür, dass er nach der Pensionierung plötzlich gewalttätig wurde, war eine Krankheit: frontotemporale Demenz. Sie verändert die Persönlichkeit, macht Betroffene reizbar und enthemmt sie. Am meisten habe sie getroffen, wie er sie betitelt habe, erzählt Büttiker. Einen «faulen Saucheib» schimpfte er sie beispielsweise.
Ihr Mann ist mittlerweile verstorben. Doch Büttiker ist nicht die einzige, welche Gewalt im Alter erlebt hat. Das Nationale Kompetenzzentrum Alter ohne Gewalt hat vergangenes Jahr rund 360 Fälle bearbeitet. Der Bund aber geht davon aus, dass 300'000 bis 500'000 ältere Menschen in der Schweiz jährlich von Misshandlung betroffen sind. Oft seien die Vorfälle auf eine Überforderung oder Überlastung von Angehörigen oder von Betreuungspersonal zurückzuführen.
Impulsprogramm für Sensibilisierung
Dagegen will das Parlament nun verstärkt vorgehen: Es fordert vom Bund ein Programm gegen Gewalt gegen alte Menschen. Das verlangte Impulsprogramm soll auf Sensibilisierung setzen, aber auch auf Ausbildung und leicht zugängliche Betreuungsangebote, um Angehörige zu entlasten.
Der Ständerat überwies dem Bundesrat am Dienstag mit 21 zu 19 Stimmen und mit zwei Enthaltungen eine Motion der ehemaligen Mitte-Nationalrätin Ida Glanzmann (LU). Die zuständige Kommission hatte die Motion mit Stichentscheid von Präsidentin Mathilde Crevoisier Crelier (SP/JU) zur Annahme empfohlen. Der Bund stehe in der Verantwortung, sagte Crevoisier Crelier im Rat.
Gewalt, Misshandlungen und Vernachlässigung im Alter seien ein Tabu, doppelte Maja Graf (Grüne/BL) nach. Überforderung und Überlastung von Fachleuten und pflegenden Angehörigen seien häufig der Grund. Das Impulsprogramm werde mit der Alterung der Bevölkerung und des Mangels an Pflegefachleuten umso wichtiger.
Minderheitssprecher Jakob Stark (SVP/TG) verwies auf die subsidiäre Zuständigkeit des Bundes: «Im Lead sind die Kantone.» Etliche private Organisationen seien im Bereich Gewalt im Alter tätig. Das Thema sollte zudem in den Programmen gegen häusliche Gewalt aufgegriffen und alle Betroffenen von Gewalt berücksichtigt werden.
Kantone sollen mitzahlen
Vorarbeiten am Impulsprogramm hatten Bund und Kantone bereits geleistet, die Arbeit dann aber unterbrochen. Laut den Befürwortern wurde von jährlichen Kosten von 500'000 bis einer Million Franken ausgegangen.
Die Regierung habe die Arbeiten dann aber nicht weiterverfolgt, weil sich die Kantone nicht an den Kosten beteiligen wollten, sagte Sozialministerin Elisabeth Baume-Schneider. Im Rat wurde denn auch gefordert, dass sich die Kantone an den Kosten des solcher Programme beteiligen müssten. (SDA/lha)
* Namen geändert