Jeden Samstag Corona-Demos
Wie umgehen mit den Skeptikern?

Jeder Kanton verfährt mit Corona-Skeptikern anders, wie sich am Samstag zeigte. Derweil stellt sich die Frage: Gehen Polizei und Politik bei linken Demonstranten repressiver vor?
Publiziert: 16.05.2021 um 10:25 Uhr
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Aktualisiert: 16.05.2021 um 13:14 Uhr
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Kein Durchkommen für Corona-Skeptiker: Die Polizei riegelte den Bundesplatz ab.
Tobias Marti

Die Protestler gegen die Corona-Massnahmen beglücken mittlerweile jeden Samstag eine andere Stadt mit ihrer Anwesenheit. Vergangene Woche waren sie in Aarau, was nicht ganz ohne Rabatz ablief. Abgesehen davon, dass sie in der Regel auf Bewilligungen und Schutzkonzepte verzichten, ging es in Aarau auch sonst einen Zacken ruppiger zur Sache als bisher. Selbst ernannte «Rebellen» attackierten Polizisten mit Fäusten und Kopfstössen, es kam sogar zu einer gewaltsamen «Gefangenenbefreiung». Die Polizei stand mehrheitlich Spalier.

Gestern Samstag waren sich die Corona-Skeptiker dann aber uneinig, wohin ihre Reise gehen soll. Seit der Bundesrat am Mittwoch die nächsten Lockerungen ankündigte, wird es für sie noch schwieriger, ihre Demonstrationen zu rechtfertigen. Die Protestler stritten sich gestern vor allem aber um den Ort ihres Stelldicheins. Nach einem Katz-und-Maus-Spielchen – um in erster Linie die Polizei, aber auch allfällige Gegendemonstranten und die Medien zu verwirren – entschieden sie sich für Bern und Urnäsch AR. Doch es waren vor allem die eigenen Leute, die bald einmal nicht mehr wussten, wohin sie reisen sollten. Auf den einschlägigen Plattformen in den neuen Medien war das Durcheinander perfekt. Am Ende blieb die Mehrheit wohl einfach zu Hause.

Ein paar Hundert statt 50'000 «Rebellen»

Von der prophezeiten «grossen Corona-Kundgebung» mit bis zu «50'000 Teilnehmern», wie sogar die sonst unaufgeregte «NZZ» schrieb, war in Bern nichts zu sehen. Sicherheitsdirektor Reto Nause (49, Die Mitte) hielt Wort und empfing die paar Hundert Demonstranten mit einem Grossaufgebot. Der Bundesplatz war abgeriegelt, jede Ansammlung wurde von der Polizei gesprengt, sie wies 170 Leute weg.

In Urnäsch dagegen zogen mehrere Hundert Leute samt einigen Treichlern ihre Runden durchs Dorf. Trotz fehlender Masken liessen die Behörden sie gewähren.

Die Bilder zeigten einmal mehr: Jeder Kanton geht anders mit den Protesten um. Am Ende entscheiden oft die Einsatzleiter vor Ort. «Wenn sich genügend Leute versammeln, haben sie eine gewisse Macht. Dort kann der Staat nur beschränkt eingreifen», sagte der Aargauer Polizeidirektor Dieter Egli (51, SP) der «Aargauer Zeitung».

Zürcher Polizei kennt kein Pardon

Was in Aarau geschah, ist demoerprobten Kantonen wie Bern und Zürich schon länger bewusst. Entsprechend strikt ist deren Regime. Während Bern am 1.Mai eine Ausnahme machte und eine unbewilligte Demo duldete, blieb Zürich bisher knüppelhart. Buchstäblich. Bei einer Feministinnen-Demo vor zwei Monaten ging die Polizei mit harten Bandagen gegen Aktivistinnen vor, inklusive Schockbildern des repressiv-brutalen Vorgehens. Am 1. Mai kesselte die Zürcher Polizei Hunderte Linksautonome ein, sogar Journalisten wurden angezeigt. «Das Polizeiaufgebot am feministischen Kampftag und am 1.Mai war völlig unverhältnismässig», kritisiert Annika Lutzke (18), Sprecherin des Klimastreik-Komitees.

Diesen Freitag ruft nun auch die Klimajugend zum Protest auf. In mehreren Städten planen sie Aktionen und Demonstrationen. Das Schlimmste sei, dass Corona-Protestler ungehindert demonstrieren könnten, obwohl sie sich nicht an die Schutzmassnahmen hielten und sich Personen mit rechtsextremer und antisemitischer Haltung an den Demos aufhielten, sagt Lutzke. Gleichzeitig würden Demos mit Schutzkonzept von der Polizei niedergeschlagen und Teilnehmerinnen grundlos verhaftet.

Warum diese ungleichen Ellen? Eigentlich gibt es eine nationale Covid-Verordnung. Der Bund hat für «Kundgebungen» die Personenbeschränkung längst aufgehoben, weil er die verfassungsrechtlich geschützte Meinungsäusserungsfreiheit höher gewichtet. Nur wird diese Regel nicht überall umgesetzt. «Es gelten die kantonalen Vorgaben und damit die Personenbeschränkung auf 100 Personen bis Ende Monat», sagt etwa Andreas Melchior (57), Sprecher der Zürcher Regierung.

«Keine Gesinnungspolizei»

Dem Vorwurf, dass gegen linke Kundgebungen repressiver vorgegangen werde, widerspricht derweil Fredy Fässler (62, SP) vehement. Der Präsident der kantonalen Sicherheitsdirektoren und St.Galler Sicherheitsdirektor: «Wir haben keine Gesinnungspolizei, welche zwischen Links- und Rechtsdemos unterscheidet und unterschiedliche Ellen anwendet.»

Vielmehr spiele die Einschätzung der Gewaltbereitschaft eine Rolle. Bei Demos in Zürich und Bern komme es häufig zu Sachbeschädigungen und zu Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen, erklärt Fässler. Die Corona-Demos seien zwar illegal, aber in der Regel nicht gewalttätig. Fässler: «Sie hätten nur mit unverhältnismässigen Mitteln aufgelöst werden können.» In Aarau hat die Polizei derweil nach der Skeptiker-Demo festgestellt, «dass Eltern mit Kindern an Brennpunkten erschienen sind». Auch seien viele ältere und verletzliche Teilnehmende an vorderster Front anzutreffen gewesen.

Nun gesellt sich ab Freitag auch die Klimajugend zum Demovolk. Bei 100 Personen läge die Grenze, aber längst lernte die Jugend: Ab einer gewissen Masse kann man ungehindert demonstrieren. Oder wie Annika Lutzke es ausdrückt: «Ja, für uns ist das eine Option.»

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