Sein Vater hat es ihm schon vorgelebt: Hardy Jäggi (50) aus Recherswil SO ist Gemeindepräsident aus Leidenschaft. «Ich habe es in den letzten acht Jahren noch nie bereut, das Amt angenommen zu haben, auch wenn es immer wieder anstrengende Zeiten gab», sagt der Kommunikationsfachmann. «Ohne Idealismus geht es nicht.» Aber er erlebe viel Wertschätzung: «Ich werde gelobt, und das motiviert.»
Doch Jäggi musste Abstriche machen. Vor rund drei Jahren wählte er die Selbständigkeit, «nur so kann ich mit rund 40 Stellenprozent für die Gemeinde da sein», sagt der SP-Mann. «Das Amt so nebenbei auszuüben, ist unmöglich.»
Daran scheiterte Beat Steinmann aus Reiden LU. Ihm wurden die Arbeitsbelastung als Gemeindepräsident und sein 80-Prozent-Pensum in der Privatwirtschaft zu viel. Wegen Schlafstörungen und gesundheitlicher Probleme trat der FDP-Mann von allen Ämtern zurück (BLICK berichtete).
In der Zwickmühle zwischen Beruf und Milizsystem
«Der Fall in Reiden zeigt, wie anspruchsvoll und komplex das Amt ist», sagt Hannes Germann vom Schweizerischen Gemeindeverband. «Darum muss jeder für sich eine Lösung finden: Liegt es drin? Will ich im Beruf reduzieren?» Der Schaffhauser SVP-Politiker und Ständerat appelliert an die Arbeitgeber: «Die Bürgernähe und das Milizsystem zeichnen die Schweiz aus, Unternehmen sollen sich auch daran beteiligen!»
Die geeigneten Leute seien im Beruf stark gefordert, betont Andreas Müller, Vizedirektor der Denkfabrik Avenir Suisse. «Zeitmangel ist eines der grossen Probleme bei der Rekrutierung von Milizpolitikern in Gemeinden.» Müller warnt: «Wenn die Entwicklung so weitergeht, haben wir in 15 Jahren ernsthafte Probleme mit dem Milizsystem.»
Avenir Suisse schlägt einen allgemeinen Bürgerdienst anstelle der Wehrpflicht vor. «Die Bürger könnten frei zwischen Militär und vielen anderen verschiedenen zivilen Aktivitäten wählen.»
Hannes Germann ortet an einem anderen Ort brachliegendes Potenzial. «Wir müssen das Reservoir an Frauen ausschöpfen», sagt er. «Und auch bei den Frühpensionierten hat es viele fähige Leute. Ihr Wissen ist gefragt!»
Und Jäggi? Der verlässt abends das Gemeindehaus und spaziert durchs Dorfzentrum von Recherswil. 40 Jahre lang habe man an dessen neuem Gesicht gearbeitet. «Jetzt haben wir einen Gestaltungsplan, mit dem alle zufrieden sind. Darauf bin ich stolz.»