Sechs Tage sind vergangen, seit an der Grenze zu Gaza die Gewalt eskalierte. Der israelische Botschafter Jacob Keidar (61) empfängt den SonntagsBlick zum Gespräch in Bern. Der Ton des Diplomaten ist bedächtig, die Botschaft entschlossen. Sei es mit Blick auf die Palästinenser, sei es an die Adresse des Irans, dessen Streitkräfte nun an Israels nördlicher Grenze stehen.
Vergangene Woche beschoss der Iran die Golanhöhen, am Montag starben am Grenzzaun zwischen Gaza und Israel Dutzende Menschen bei den Protesten gegen die Verlegung der amerikanischen Botschaft nach Jerusalem. Wie gefährlich schätzen Sie die Situation ein?
Jacob Keidar: Es ist eine angespannte Zeit. Im Norden von Israel, in Syrien, steht der Iran, im Süden haben wir den Gazastreifen mit der Hamas. Grundsätzlich ist es immer gefährlich in unserer Region. Ich sage immer, politisch korrekt, wir haben herausfordernde Nachbarn.
Inwiefern?
Weil der Krieg in Syrien einen gefährlichen Feind an unsere Grenzen rückt: den Iran. Teheran hat seit Jahren Terroristen unterstützt, nun aber stehen seine Truppen direkt an Israels Grenzen. Das können wir nicht tolerieren.
US-Präsident Trump ist aus dem Nuklearabkommen mit dem Iran ausgestiegen, die Europäer möchten daran festhalten. Die Haltung Trumps dürfte Sie gefreut haben.
Man darf den Iran nicht einfach nur im Zusammenhang mit diesem Abkommen betrachten. Iran ist ein terroristischer, ein gewalttätiger Staat. Er ist in jeden Konflikt im Nahen Osten verwickelt. Die EU sollte sich das Verhalten Teherans genau anschauen: Iran hat die Welt mit seinem Atomprogramm getäuscht. Ich hoffe, dass die Europäer das realisieren.
Die Schweiz sollte demnach die Sanktionen mittragen?
Die Schweiz ist nicht Teil des Abkommens. Aber amerikanische Sanktionen betreffen jeden (lacht).
War der Umzug der amerikanischen Botschaft am Tag, an dem die Palästinenser ihrer Vertreibung im Jahr 1948 gedenken, wirklich nötig?
Es war eine grossartige und richtige Sache. Und es war das richtige Datum: das Jubiläum unserer Staatsgründung. Wir haben die Hamas informiert, wir haben Flugblätter über Gaza abgeworfen: Kommt nicht über die Grenze, wir werden das nicht zulassen.
Doch Sie haben gewusst, dass dies heftige Demonstrationen nach sich ziehen würde!
Die Hamas selbst hat inzwischen eingeräumt, dass 50 der 62 Toten Angehörige dieser Organisation waren. Wir hatten nie die Absicht, Menschen zu töten, die nicht involviert gewesen sind. Kinder wurden getötet. Das ist immer schrecklich, man muss hier der Hamas den Vorwurf machen.
Glauben Sie, dass die Bilder dieser Gewalt im Interesse Israels sind?
Das oberste Interesse der israelischen Armee ist es, unsere Bürger zu schützen. Ich war Soldat, meine Kinder waren in der Armee. Ich weiss: Das Letzte, was unsere Soldaten wollen, ist der Tod unschuldiger Menschen.
Wie haben die Jahrzehnte der Gewalt die israelische Gesellschaft verändert?
Wir wären gerne wie die Schweiz (lacht)! Aber im Mittleren Osten können Sie sich nicht verhalten, als ob Sie in den Alpen lebten.
Hierzulande gibt es Politiker, welche die Schweizer Botschaft ebenfalls von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen möchten. Begrüssen Sie das?
Jerusalem war immer die israelische Hauptstadt, seit 1948. Ich hoffe, dass bald weitere Länder ihre Botschaften verlegen. Das würde den Druck mindern, der über der Jerusalem-Frage schwebt.
Wäre eine Verlegung der Schweizer Botschaft ein besonderes Signal?
Wenn die Schweiz und andere Staaten dies täten, wäre das wundervoll. Wir würden das begrüssen.
Aber eine Teilung der Stadt wäre dann kaum noch möglich.
Eine Lösung für Jerusalem kann nur ein Teil sein einer umfassenden Regelung. Aber auch dann wohl nur als eine ungeteilte Stadt unter israelischer Regierung.
In Europa ist die überwiegende Mehrheit sehr kritisch gegenüber Donald Trump. In Israel sieht man das wohl anders?
Er ist ein grosser Freund Israels. Und seine Entscheidungen sind in unserem Sinne. Ich hoffe, dass er seine Ankündigungen wahr macht und einen neuen Friedensplan für die Israelis und Palästinenser vorlegt.
Ist das nicht etwas gar optimistisch?
Vor einigen Jahren war ich Teil der Verhandlungen mit den Palästinensern. Mein Gefühl sagt mir, der Frieden wird kommen.
Was macht Sie so sicher?
Die Menschen, denen ich begegnet bin. Wir können nicht ewig mit dieser Gewalt leben. Es war aber nicht Israel, das diese Gewalt losgetreten hat.
Man könnte sagen, die Gewalt begann vor 70 Jahren.
Man kann immer weiter in der Geschichte zurückgehen. Entscheidend für die aktuelle Situation war die Machtübernahme der Hamas in Gaza 2007. Seither haben sie alles probiert: Selbstmordattentäter, Raketen, Messerattacken. Sie wollen uns zerstören.
Entsprechend verhärtet zeigt sich die israelische Politik.
Vielleicht sind die Israelis realistischer geworden. Wir werden vielleicht morgen keinen Frieden haben. Es wird Jahre dauern. Bis dahin müssen wir hart sein.
Bundesrat Ignazio Cassis bezeichnete diese Woche das Uno-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) als Hindernis für den Frieden im Nahen Osten. Teilen Sie diese Einschätzung?
Wir begrüssen Herrn Cassis’ Position in Bezug auf die UNRWA. Diese Organisation bewahrt das palästinensische Flüchtlingsproblem, statt es zu lösen. Sie hält die Erzählung eines Rückkehrrechts aufrecht, der Staat Israel solle dagegen weichen. Es wäre besser, UNRWA würde eingestellt und die Gelder stattdessen dem Uno-Hilfswerk für Flüchtlinge zugeführt, das nach klaren Kriterien echte Flüchtlinge unterstützen kann.
Jacob Keidar wurde 1956 geboren. Nach dem Militärdienst und dem Studium der Internationalen Beziehungen an der Hebräischen Universität in Jerusalem trat er 1983 in den diplomatischen Dienst ein. Von 1997 bis 2001 war er Generalkonsul in Shanghai, anschliessend Direktor des Departements für die Koordina-tion multilateraler Friedensverhandlungen. In Bern amtet Keidar seit 2016 als Botschafter. Er ist verheiratet und Vater dreier erwachsener Kinder.
Jacob Keidar wurde 1956 geboren. Nach dem Militärdienst und dem Studium der Internationalen Beziehungen an der Hebräischen Universität in Jerusalem trat er 1983 in den diplomatischen Dienst ein. Von 1997 bis 2001 war er Generalkonsul in Shanghai, anschliessend Direktor des Departements für die Koordina-tion multilateraler Friedensverhandlungen. In Bern amtet Keidar seit 2016 als Botschafter. Er ist verheiratet und Vater dreier erwachsener Kinder.