Wir erleben derzeit eine Welle von extremer Gewalt. Viele Attentate haben einen islamistischen Hintergrund. Ist Hass die Botschaft des Islam?
Nein. Aber Hass ist Teil unserer Kultur. Sehen Sie, die Prinzipien des Islam gehen zurück auf das 8. und 9. Jahrhundert. Damals waren Christen und Muslime Feinde. Es herrschte Krieg. Dieser Gegensatz ist in den Koran eingeflossen.
Auch in der Bibel gibt es Gewalt. Trotzdem gibt es kaum christlich motivierte Attentate.
Unser Glaube hat sich seit dem Mittelalter kaum verändert. Man hat einfach den Konflikt aus jener Zeit auf neue Konstellationen angewendet. Die Kreuzzüge, die Kolonialzeit – immer war Europa der Gegner. Dieses Muster machen sich nun auch die Extremisten zunutze.
Wie?
Sie sagen, ein echter Muslim dürfe mit einem Christen keine Freundschaft schliessen. Er müsse den Westen hassen. Diese Ideen sind in unseren Schriften enthalten. Und sie stimmten wohl für die Zeit, in der der Koran geschrieben wurde. Doch heute passen sie nicht mehr.
Wie war es möglich, dass dieser Konflikt die Jahrhunderte überdauerte?
Rückständige islamische Gelehrte haben die Muslime in die Irre geführt. Sie beziehen sich oft auf Sprüche des Propheten. Aber viele davon werden falsch gedeutet. Sie haben nur einen historischen Wert. Zudem haben die Gelehrten uns glauben gemacht, dass die Säulen des Islam darin bestünden, zu beten, zu fasten und nach Mekka zu pilgern. Das diente dem Machterhalt.
Sie sagen, der Islam wird politisch instrumentalisiert?
Sehr stark sogar. Beten, fasten, nach Mekka pilgern: Das gefällt den Diktatoren. Der Klerus hat uns verwandelt, von Menschen zu Schafen. Schafe sind einfach zu regieren. Deshalb haben Diktatoren in unserer Kultur ein so langes Leben.
All dies erklärt noch nicht die Attentate.
Viele Muslime glauben, Gott sei sehr schwer zufriedenzustellen. Dass er nur glücklich ist, wenn man sich in die Luft jagt. Der Grund dafür ist, dass die Gelehrten über Jahrhunderte tiefe Schuldgefühle in unsere Psyche bewirtschaftet haben.
Wie kann man das ändern?
Wir müssen uns von diesem Schuldgefühl befreien. Man muss den Leuten beibringen, dass es nicht so schwierig ist, gottgefällig zu leben. Im Grunde genommen geht es nur darum, anständig zu sein. Ich finde die zehn Gebote geben einem eine recht gute Richtschnur.
Sie plädieren für eine zeitgemässe Interpretation des Koran. Wie sieht Ihr Islam aus?
Am wichtigsten scheint mir: Nicht nur die, die an Mohammed glauben, sind Muslime. Jeder Mensch, der an Gott glaubt, ist ein Muslim. Es gibt christliche Muslime, mohammedanische Muslime und so weiter. Zweitens geht es im Islam nicht primär um das Gebet, das Fasten und das Pilgern. Im Vordergrund steht, an Gott zu glauben und gute Taten zu vollbringen.
Wie steht dieser Islam zu den Menschenrechten, der Gleichstellung der Frau, der Sexualität?
Gott hat nicht verlangt, dass wir seine Sklaven sind. Im Islam sollte es daher alle Freiheiten geben, die die Menschen verlangen. Dies lässt sich auch durch den Koran belegen. Nur Gott ist eins. Alles andere ist vielfältig.
Werden wir konkret: Hat ihr Gott ein Problem mit Homosexualität?
Er sagt zwar, dass es eine Sünde ist. Aber er gestattet der Gesellschaft nicht, sich in das private Verhältnis zweier Personen einzumischen. Er sagt: Haltet euch da raus, diese Sache geht nur mich und die Beteiligten etwas an. Die einzige Ausnahme ist, wenn die Homosexualität in der Öffentlichkeit ausgelebt wird. Da darf man sich einmischen.
In der Schweiz können Homosexuelle ihre Zuneigung öffentlich ausdrücken.
Sie verstehen mich falsch. Was Gott nicht will, ist, dass man in der Öffentlichkeit Sex hat.
Händchen halten ist also erlaubt?
Natürlich. Sofern es im Einklang mit dem Gesetz und der jeweiligen Tradition steht.
Wie steht es um Frauenrechte?
Frauen haben alle Rechte, die sie wollen.
Müssen sie einen Schleier tragen?
Nein. Dafür gibt es im Koran keine Grundlage. Der Koran hat nur festgelegt, was man minimal tragen sollte, wenn man das Haus verlässt. Was tragen Sie im Schwimmbad?
Eine Badehose.
Voilà. Das reicht schon. Frauen sollten zudem ihre Brüste bedecken. Aber das ist alles.
Zurück zum islamistischen Extremismus. Wie kann man Radikalisierung verhindern?
Es braucht natürlich Massnahmen, um die Sicherheit zu erhöhen. Aber das alleine reicht nicht. Wir müssen das Denken der Leute verändern. Sie müssen verstehen, dass Gott nicht glücklich ist, wenn sie sich in die Luft sprengen. Ich hoffe, dass meine Bücher gelesen werden.
Sie sind in Syrien aufgewachsen. Wie verfolgen Sie das dortige Geschehen?
Was passiert, ist unheimlich traurig.
Wie kann die Situation in Syrien aufgelöst werden?
Es geht einzig und allein um Assad. Tritt er heute zurück, kann die friedliche Lösung morgen beginnen. Geht er in zehn Jahren, wird es in zehn Jahren so weit sein.
Assad ist auf dem Vormarsch. Er wird nicht so schnell verschwinden.
Die USA und Russland wollen ja gar nicht, dass er abtritt.
Wann waren sie letztmals in der Heimat?
2012. Kurz nachdem die Revolution anfing. Heute lebe ich in Abu Dhabi. Ich fühle mich immer noch sehr stark mit Syrien verbunden.
Was glauben Sie, werden Sie es erleben, dass in Syrien Frieden herrscht?
Ich habe einen Traum. Ich will Mitglied jenes Komitees sein, das die neue syrische Verfassung schreibt. Denn ich weiss ganz genau, was in dieser Verfassung stehen muss.
Sagen Sie es mir?
Die Redefreiheit ist in Syrien unberührbar. Sie kann durch kein Gesetz eingeschränkt werden. Das wird der wichtigste Artikel der Verfassung.