«Ich kann nicht mehr so leben, wie ein normaler Mensch»
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Isabell hofft auf Spenderlunge:«Ich kann nicht mehr so leben, wie ein normaler Mensch»

Isabell Felder (21) braucht eine Spenderlunge
«Ich will wieder richtig durchatmen können»

Zäher Schleim macht ihre Lunge krank: Isabell Felder leidet an zystischer Fibrose. Bereits vier Mal kollabierte die Lunge der erst 21-Jährigen. Von einer Transplantation erhofft sie sich Besserung. Doch noch muss sie warten.
Publiziert: 21.03.2019 um 23:26 Uhr
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Aktualisiert: 22.03.2019 um 17:02 Uhr
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Isabelle Felder (21) leidet an der Stoffwechselkrankheit zystische Fibrose. Sie ist deshalb auf eine neue Lunge angewiesen.
Foto: Peter Gerber
Joel Probst

Seit über einem Jahr kann Isabell Felder nicht mehr arbeiten. Treppensteigen kann sie nur noch mit einer Sauerstoffmaske. Ihre Wohnung verlässt sie selten: Ihr fehlt die Kraft, um nach draussen zu gehen. Und das mit erst 21 Jahren.

«Ich fühle mich eingeengt, wie in einem Gefängnis», sagt sie. Die junge Frau leidet an zystischer Fibrose, einer genetisch bedingten Stoffwechselerkrankung. Ihre Körperzellen produzieren einen zähen Schleim, der sich in ihrer Lunge ansammelt. Der Schleim greift das Organ an und öffnet Tür und Tor für Bakterien und Viren.

Lebensgefährliche Krankheit

Seit Anfang Jahr steht Felder auf der Warteliste für eine neue Lunge. Es geht nicht mehr ohne, entschieden die Ärzte. Die Wartezeit beträgt durchschnittlich 200 Tage. Und die Zeit drängt, auf Dauer ist zystische Fibrose lebensgefährlich.

Bereits jetzt erbringt Felders Lunge nur noch 25 Prozent ihrer ursprünglichen Leistung. Und der Gesundheitszustand der Frau verschlechtert sich rapide. Vier Mal ist ihre Lunge bereits wie aus dem Nichts kollabiert. Unerträgliche Schmerzen und Atemnot waren die Folge. «Und es könnte jeden Moment wieder passieren.»

Monatelang im Spital

Monate verbrachte Felder deshalb schon im Spital. Und rund drei Stunden täglich muss sie Medikamente inhalieren – alles, von Kochsalzwasser bis hin zu Antibiotika. «Das mobilisiert den Schleim, damit ich ihn besser heraushusten kann.»

Doch viel nützen die Medikamente nicht mehr: Sie atmet schwer und hustet immer wieder. Ihre Stimme klingt heiser.

Seit über einem Jahr bezieht sie IV-Rente. Nach ihrer Lehre als Detailhandelsassistentin war Schluss: Ans Arbeiten war nicht mehr zu denken. Das kratzt am Ego der jungen Frau. Sie schätzt ihre Selbständigkeit, zog schon mit 17 daheim aus. «Ich wollte meinen Lebensunterhalt selber finanzieren.»

Organspende-Initiative wird heute eingereicht

Heute wird in Bern die Organspende-Initiative eingereicht. Sie will in der Verfassung die sogenannte Widerspruchslösung verankern. Diese sieht vor, dass jemand explizit Nein sagen muss, wenn er nicht will, dass seine Organe nach dem Tod gespendet werden. Der Bund müsste dafür ein Register schaffen. Heute ist es gerade umgekehrt: Es braucht ein explizites Ja. Die Widerspruchslösung heisst aber nicht, dass man automatisch zum Spender wird, wenn man nicht registriert ist. Wie beim heutigen System hätten auch künftig Angehörige ein Mitspracherecht.

Heute wird in Bern die Organspende-Initiative eingereicht. Sie will in der Verfassung die sogenannte Widerspruchslösung verankern. Diese sieht vor, dass jemand explizit Nein sagen muss, wenn er nicht will, dass seine Organe nach dem Tod gespendet werden. Der Bund müsste dafür ein Register schaffen. Heute ist es gerade umgekehrt: Es braucht ein explizites Ja. Die Widerspruchslösung heisst aber nicht, dass man automatisch zum Spender wird, wenn man nicht registriert ist. Wie beim heutigen System hätten auch künftig Angehörige ein Mitspracherecht.

«Eine neue Lunge wird mein ganzes Leben verändern»

Nun braucht sie für alles Mögliche Hilfe. Auch im Haushalt: «Ich kann körperlich nicht mehr. Weder einkaufen noch putzen oder den Abfall runterbringen.» Deshalb zog vor kurzem ihre Schwester bei ihr ein. Sie unterstützt Felder tatkräftig.

Jetzt hofft Felder, dass das nicht mehr lange nötig sein wird. Sie kann es kaum erwarten, bis es mit der Transplantation so weit ist: «Eine neue Lunge wird mein ganzes Leben verändern.»

«Diese Lösung kann Leben retten»

Flavia Wasserfallen (40), SP-Nationalrätin , Kanton Bern

Jede Woche stirbt in der Schweiz im Schnitt ein Mensch, weil das passende Organ nicht rechtzeitig gefunden werden konnte. 1400 Personen warten auf ein Organ. Möchten Sie Ihre Organe spenden? Stellen Sie sich diese Frage und treffen Sie Ihren persönlichen Entscheid. Denn zu viele tun das nicht. Häufig wissen Angehörige nicht, ob die verstorbene Person für eine Organspende bereit gewesen wäre. Hier setzt die Organspende-Initiative an. Wir sollen uns mit dieser Frage auseinandersetzen und den Willen festhalten, falls wir keine Organspende wollen. So funktioniert die vermutete Zustimmung, die sich schon in vielen Ländern Europas bewährt. Sofern die verstorbene Person zu Lebzeiten nicht widersprochen hat oder die Angehörigen über die ablehnende Haltung informiert sind, wird von der Spendebereitschaft ausgegangen. Diese Lösung kann Leben retten und respektiert gleichzeitig den persönlichen Willen. Meine Zustimmung zur Organspende habe ich schon lange gegeben. Die Zustimmung zur Initiative gebe ich heute!

Flavia Wasserfallen (40), SP-Nationalrätin , Kanton Bern

Jede Woche stirbt in der Schweiz im Schnitt ein Mensch, weil das passende Organ nicht rechtzeitig gefunden werden konnte. 1400 Personen warten auf ein Organ. Möchten Sie Ihre Organe spenden? Stellen Sie sich diese Frage und treffen Sie Ihren persönlichen Entscheid. Denn zu viele tun das nicht. Häufig wissen Angehörige nicht, ob die verstorbene Person für eine Organspende bereit gewesen wäre. Hier setzt die Organspende-Initiative an. Wir sollen uns mit dieser Frage auseinandersetzen und den Willen festhalten, falls wir keine Organspende wollen. So funktioniert die vermutete Zustimmung, die sich schon in vielen Ländern Europas bewährt. Sofern die verstorbene Person zu Lebzeiten nicht widersprochen hat oder die Angehörigen über die ablehnende Haltung informiert sind, wird von der Spendebereitschaft ausgegangen. Diese Lösung kann Leben retten und respektiert gleichzeitig den persönlichen Willen. Meine Zustimmung zur Organspende habe ich schon lange gegeben. Die Zustimmung zur Initiative gebe ich heute!

Die Zeit nach der Transplantation wird allerdings nochmals anstrengend sein: Rund ein Jahr lang dauert die Genesung nach der Operation. Und auch nachher wird sie weiterhin auf Medikamente angewiesen bleiben.

«Das Schönste wird sein, wieder richtig durchatmen zu können»

Doch das macht ihr nichts aus: «Das Schönste wird sein, wieder richtig durchatmen zu können. Das konnte ich schon lange nicht mehr.» Felder lächelt: «Ich möchte wieder arbeiten, wieder auf meinen eigenen Beinen stehen und nicht mehr auf alle anderen angewiesen sein. Ich wünsche mir, endlich altersgerecht leben zu können. Ich will in den Ausgang gehen statt jeden Abend früh ins Bett, weil ich nicht mehr mag.»

Obwohl sie sich schon jetzt riesig auf ihre neue Lunge freut, bleibt sie beim Thema Organspende-Initiative wortkarg. Die 21-Jährige will niemandem ihre Meinung aufdrängen oder auf Mitleid machen. Sie sagt nur so viel: «Man muss dankbar sein, wenn ein Spender seine Organe hierlässt und sie nicht mit in den Himmel nimmt.»

«Initiative schafft mehr Probleme, als sie löst»

François-Xaver Putallaz (62), Philosophie-Professor Uni Freiburg und Präsident der Bioethik-Kommission der Schweizer Bischofskonferenz

Ich bin für die Organspende und habe auch einen Spenderausweis. Aber ich bin überzeugt: Die Initiative schafft mehr Probleme, als sie löst. Fakt ist: In den Kantonen, die früher die Widerspruchslösung kannten, hat die Rechtsänderung nichts an der Spenderquote geändert. Denn auch bei diesem System haben die Angehörigen – wenn sich der Verstorbene zu Lebzeiten nicht explizit dagegen ausgesprochen hat – noch ein Mitspracherecht und können eine Organspende verhindern. Man muss deshalb beim medizinischen Personal ansetzen und dieses besser sensibilisieren. Das Beispiel Spanien zeigt, dass das viel effektiver ist. Hinzu kommt: Eine Organspende ist ein Geschenk, gewährt aus Selbstlosigkeit. Es ist absurd, jemanden zu einem Geschenk zu «zwingen». Der Geist der Initiative ist egoistisch, nach dem Motto: Ändern wir das Gesetz, dann müssen wir nicht aus Liebe etwas von uns selbst geben. Die Initiative nötigt jeden Bürger, über das Spenden seiner Organe zu entscheiden. Dieser vom Bund ausgeübte Druck verstösst gegen das Persönlichkeitsrecht.

François-Xaver Putallaz (62), Philosophie-Professor Uni Freiburg und Präsident der Bioethik-Kommission der Schweizer Bischofskonferenz

Ich bin für die Organspende und habe auch einen Spenderausweis. Aber ich bin überzeugt: Die Initiative schafft mehr Probleme, als sie löst. Fakt ist: In den Kantonen, die früher die Widerspruchslösung kannten, hat die Rechtsänderung nichts an der Spenderquote geändert. Denn auch bei diesem System haben die Angehörigen – wenn sich der Verstorbene zu Lebzeiten nicht explizit dagegen ausgesprochen hat – noch ein Mitspracherecht und können eine Organspende verhindern. Man muss deshalb beim medizinischen Personal ansetzen und dieses besser sensibilisieren. Das Beispiel Spanien zeigt, dass das viel effektiver ist. Hinzu kommt: Eine Organspende ist ein Geschenk, gewährt aus Selbstlosigkeit. Es ist absurd, jemanden zu einem Geschenk zu «zwingen». Der Geist der Initiative ist egoistisch, nach dem Motto: Ändern wir das Gesetz, dann müssen wir nicht aus Liebe etwas von uns selbst geben. Die Initiative nötigt jeden Bürger, über das Spenden seiner Organe zu entscheiden. Dieser vom Bund ausgeübte Druck verstösst gegen das Persönlichkeitsrecht.

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