Interview mit Ex-UVEK-Generalsekretär Hans Werder zur Service-Public-Initiative
«Es bringt nichts, wenn wir uns gegen den Wandel stemmen»

Hans Werder, einst Generalsekretär im Verkehrsdepartement, warnt vor der Pro-Service-Public-Initiative: Bei einem Ja ginge Volksvermögen verloren.
Publiziert: 23.04.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 16:17 Uhr
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Service in Gefahr: Swisscom-Verwaltungsrat Hans Werder warnt: «Die Initianten wollen das Rad zurückdrehen.»
Foto: Peter Gerber
Interview: Matthias Halbeis

Herr Werder, Sie waren Generalsekretär im Verkehrsdepartment und haben massgeblich die Reform der Regiebetriebe SBB, Post und Swisscom geprägt. Die Absender der Servic-public-Initiative sagen, wer Ja stimmt, erhält die alten Zeiten zurück. Stimmt das?

Ja und Nein. Unter dem Deckmantel, etwas für den Service-public zu machen, wollen die Initianten tatsächlich das Rad zurückdrehen. Aber sie gefährden damit den Service-public, wie er heute ist. Zudem ist die Initiative sehr wolkig formuliert und die Befürworter versprechen immer wieder etwas anderes. Nur: Liest man den Initiativ-Text, findet sich kaum etwas davon.

Blenden wir zurück: Warum musste man die Service-public-Betriebe in den 90er-Jahren überhaupt neu ausrichten?

Die Betriebe gerieten in den 90er-Jahren in eine  Krise. Die SBB machte jedes Jahr grössere Defizite und wurde zu einem Haushaltrisiko für den Bund. Zu tragen hatten dies die Steuerzahler. Die damalige PTT konnte die Defizite der Post, die sich auf über 500 Millionen Franken pro Jahr beliefen, zwar intern decken. Aber dies nur, weil sie die Telefongespräche ins Ausland massiv verteuerte. Und schliesslich drohte der alten PTT, dass sie den technologischen Wandel verpasste.

Inwiefern?

Der Handlungsspielraum für die Betriebe war klein, sie waren  ja Teil der Bundesverwaltung – schwerfällige Gebilde. Bis zu einem unternehmerischen Entscheid verging viel Zeit. Ein Beispiel: Vor der Reform musste Verkehrsminister Moritz Leuenberger jede neue Briefmarke der PTT eigenhändig bewilligen. Der Service-public in der Schweiz war in einer Krise.

Wie reagierte der Bundesrat darauf und welche Strategie wählte man?

Er verselbständigte die Betriebe. Dafür brachte er eine PTT-Reform ins Parlament, mit der man zwei Unternehmen schuf – die Post und die Swisscom. Danach folgte die Bahnreform.

Was war die Lösung?

Man hat starke, finanziell gesunde Firmen geschaffen, die autonom überleben können und müssen. Heute setzt der Bund die Ziele, die Unternehmen müssen diese erreichen. Ein Beispiel: Bund und Kantone legen fest, ob es einen Stunden- oder Halbstundentakt braucht. Die SBB setzen das um. Damit ist ausgeschlossen, dass die Bundeskasse nachträglich für Defizite aufkommen muss. Geld erhalten die Unternehmen nur noch in klar definierten Fällen: Die Post etwa für die Zeitungsbeförderung oder die SBB für Angebote im Regionalverkehr oder für das Schienennetz.

Wie beurteilen Sie die Betriebe heute?

Die Leistungen sind insgesamt ausgebaut worden und sind auf dem neuesten technologischen Stand. Neue Angebote sind dazugekommen, andere sind verschwunden. Wir haben im internationalen Vergleich wohl einen der besten Service-public. Und: Der Steuerzahler erhält für den eingesetzten Betrag heute mehr als früher, zur Zeit der nachträglichen Defizitdeckung.

Trotz allem: Viele wünschen sich die Zeiten zurück, in denen es in fast jedem Dorf noch eine Post und einen bedienten Bahnhof gab und die Briefträger Zeit für einen Schwatz hatten.

Es bringt nichts, wenn wir uns gegen den Wandel stemmen. Nehmen Sie den Telegraf: Früher war er unverzichtbar, heute vermisst ihn niemand. Mit dem Fax sind wir schon fast so weit. Klar war es schön, als es nahezu überall Poststellen gab. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass die Zahl der Kunden stetig abgenommen hat. Heute schreiben immer mehr Leute  E-Mails statt Briefe und erledigen Zahlungen elektronisch statt persönlich am Schalter.

Was sagen Sie denjenigen, die ihre Poststelle vermissen und damit den Service-public schlechter finden?

Man muss die Dienstleistungen anschauen und nicht die Gebäude zählen. Die Post hat ihr Filialnetz zu Beginn wohl etwas zu forsch reduziert und sicher auch Leute vor den Kopf gestossen. Das ist aber erkannt und verbessert worden. Heute werden die Gemeinden angehört und einbezogen. Die Post kann aber auch neue Lösungen anbieten: Eröffnet man beispielsweise eine Agentur im Dorfladen, sichert man dessen Existenz und kann sogar die Öffnungszeiten ausweiten. Das Grundangebot der Post wird in der ganzen Schweiz zu den gleichen Preisen erbracht. Daran hat sich nichts geändert. Den Initianten sind die Gewinne der Service-public-Betriebe ein Dorn im Auge.

Können Sie uns erklären, warum diese für Sie als Swisscom-Verwaltungsrat notwendig sind?

Ein Unternehmen muss Gewinn machen, um in die Zukunft zu investieren und um Reserven für schlechte Zeiten zu haben. Swisscom investiert jährlich 1,7 Milliarden Franken in Ausbau und Modernisierung ihrer Netze. Hinzu kommt: Swisscom, die sich am Kapitalmarkt finanzieren muss, verfügt über gute Bewertungen, weil sie Gewinne macht und machen darf.

Was passiert, wenn das nicht mehr der Fall wäre?

Im Moment, in dem ihre Gewinne eingeschränkt würden, würde auch der Aktienkurs abstürzen und damit würde nicht nur die Swisscom an Wert verlieren, sondern auch das Volksvermögen, das darin steckt. Und dann erwarten wir ja auch, dass die Betriebe neue Angebote und Dienstleistungen entwickeln.

Inwiefern?

Es gibt zahlreiche Beispiele: Die Post bietet heute an, dass man per E-Mail benachrichtigt wird, wenn eine Paketsendung unterwegs ist. Ist man in den Ferien, kann man die Zustellung verschieben oder in Automaten umleiten, die 24 Stunden zugänglich sind. Post und Swisscom haben beide Produkte entwickelt, damit man mit dem Handy bezahlen kann. Oder die Swisscom verfügt über einen eigenen Cloud-Dienst, mit dem Firmen ihre Daten sicher in der Schweiz abspeichern können – etwas, worauf die Wirtschaft stärker denn je angewiesen ist. Alle diese Neuerungen wurden aus den Gewinnen der Betriebe finanziert.

Die Initianten wollen die Löhne der Chefs der Servic-public-Betriebe beschränken: Ist es wirklich notwendig, dass diese mehr als ein Bundesrat verdienen?

Bei den Löhnen von Spitzenmanagern in der Privatwirtschaft ist es zu Exzessen gekommen. Das Stimmvolk hat jedoch mit der Minder-Initiative Gegensteuer gegeben. Die Service-public-Unternehmen haben bei diesen Exzessen nicht mitgemacht. Swisscom als börsenkotierte Gesellschaft untersteht jedoch auch dem neuen Verfassungsartikel. An der letzten Generalversammlung der Swisscom mit über 1000 Teilnehmern – unter ihnen viele Kleinaktionäre – wurde schon zum zweiten Mal über die Vergütungen für Verwaltungsrat und Konzernleitungabgestimmt. 99 Prozent stimmten diesen Vergütungen zu. Der Bundesrat kann als Eigner zudem jederzeit Einfluss nehmen, wenn die drei Unternehmen überborden sollten. Ich sehe aber ein noch viel grösseres Problem.

Welches?

Die Initiative will nicht nur die Spitzenlöhne, sondern die Löhne aller Mitarbeitenden an die Bundesverwaltung angleichen. Das macht aber keinen Sinn. Es gibt  bei Post, SBB und Swisscom immer mehr Berufe, die keinen Bezug mehr zur Bundesverwaltung haben. Dazu kommt: Heute handeln die Unternehmen mit den Gewerkschaften Gesamtarbeitsverträge aus, für Umstrukturierungen gibt es Sozialpläne. All dies wäre in Frage gestellt. Kein Wunder, lehnen auch die Personalverbände die Initiative klar ab.

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