Immer weniger Schweizer melden sich freiwillig für Medikamententests – Ausländer springen ein
250 Euro locken Italiener als Versuchskaninchen ins Tessin

Die einzige Schweizer Klinik für Medikamenten-Ersttests liegt an der Südgrenze in Mendrisio TI. Über 90 Prozent ihrer «gesunden Freiwilligen» rekrutiert sie in Italien. Grund dafür ist auch das Wohlstandsgefälle.
Publiziert: 18.02.2018 um 23:29 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 21:00 Uhr
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Rund 200 Grenzgänger kamen 2017 aus Italien, um in der Schweiz bei medizinischen Versuchsstudien mitzumachen.
Foto: Remy Steinegger
Andrea Willimann

Die Cross Research SA in Arzo/Mendrisio TI ist die einzige bekannte Versuchsklinik in der Schweiz, die regelmässig medizinische Phase-I-Tests durchführt. Mit diesen Tests lassen Pharma- und Medizinalartikel-Hersteller die Verträglichkeit und Sicherheit ihrer Neuheiten an gesunden Menschen prüfen. In Phase II wird dann eine wirksame und sichere Dosis bestimmt.

Das Risiko für die Probanden wird so gut wie möglich abgeschätzt und streng überwacht. Doch absolute Sicherheit, dass es nicht zu unerwünschten Reaktionen, Nebenwirkungen oder gar Schäden kommt, gibt es nicht. Die Freiwilligen nehmen dies in Kauf: Immerhin gibt es in Arzo dafür durchschnittlich 250 Euro pro Tag!

Zahl der «Vorkoster» schwankt

250 Euro – nicht 290 Franken. Denn immer weniger Schweizer sind zu solchen Tests bereit. Die Ausländerquote der Probanden im Tessin ist innerhalb weniger Jahre von 60 auf über 90 Prozent gestiegen. 250 Euro sind nun mal viel Geld für Menschen in der Lombardei, wo das monatliche Einkommen im Schnitt 2000 Euro beträgt und viele gar keine Arbeit haben. 

2017 liessen sich 198 Italiener auf medizinische Versuche im Tessin ein. 2016 waren sogar 346 Probanden im Einsatz, ein Jahr zuvor 211. Die norditalienische Zeitung «Corriere di Como» rapportiert die Zahlen regelmässig und nennt die Test-Grenzgänger abschätzig «Vorkoster».

Auch der Präsident der Tessiner Ethikkommission, Giovan Maria Zanini (58), führt ein Register zu den Probanden, um Missbräuche zu verhindern. «Seit dem Jahr 2000 wissen wir genau, wer wie lange und wie oft im Einsatz war», sagt er. Zanini weiss: Die Altersspanne reicht von 20 bis 40, viele «Probanden» sind Studierende, fast die Hälfte weiblich.

Mehr Freiwillige im Ausland als im Tessin 

Zanini verteidigt die Rekrutierung im Ausland. Dass Cross Research 90 Prozent ihrer Freiwilligen in der Lombardei fischt, habe mit der grösseren Auswahl zu tun: «In der Grossregion Mailand finden sich nun mal mehr Freiwillige als im Tessin mit seinen rund 350'000 Einwohnern», so Zanini.

Bezahlt würden die Testpersonen nur nach Aufwand, sagt Zanini. «Das Risiko spielt beim Entgelt nie eine Rolle.» Was die Klinik bestätigt: «Die Kompensationen für Teilnehmer beziehen sich nur auf die Zeit, die sie in die Studie investieren», so Riccardo Assandri von Cross Research. Tatsächlich weibelt die Klinik vor allem mit moralischen Motiven und wirbt auf ihrer Webseite nur zurückhaltend – mit einem Gratisgesundheitscheck, nicht aber mit Geld.

Nötig sind auch immer neue Probanden. Denn laut Assandri geht eine Studie im Schnitt über drei Monate, sodass 80 Prozent nur bei einer Studie pro Jahr mitmachten. Drei pro Jahr seien in der Schweiz maximal erlaubt, die aber nur 0,5 bis ein Prozent auf sich nähmen. 

In der Grenzregion Basel gibt es keinen Test-Tourismus

Wie das in anderen Grenzgebieten gehandhabt wird, ist nicht klar, denn es gibt kein nationales Probanden-Register. Dabei ist ja vor allem Basel ein grosser Pharmastandort. Doch Marco Schärer (60), Vizepräsident und Sprecher der Ethikkommission Nordwest-Zentralschweiz, sagt: Das Phänomen der billigen ausländischen Versuchskaninchen bestehe rund um Basel nicht, obschon hier 80 Prozent der Tests der Nordwestschweiz stattfänden. Das Wohlstandsgefälle zu den umliegenden Ländern sei wohl zu gering.

Und mit ganz seltenen Ausnahmen gebe es hier keine Phase-I-Tests. Schärer betont: «Wenn wir trotzdem beobachten würden, dass bei der Rekrutierung die Kaufkraft und der Beschäftigungsgrad eine Rolle spielten, so wäre das Entgelt aus ethischen Überlegungen anzupassen, um Missbrauch zu verhindern.»

Initiative will Tierversuche in der Schweiz verbieten

Tier- und Menschenversuche sollen in der Schweiz verboten werden. Das fordert die «Tierversuchsverbots-Initiative», für die seit genau vier Monaten Unterschriften gesammelt werden. Bis jetzt sind bescheidene 8782 Signaturen zusammengekommen. Nötig sind 100'000. «Das launige Wetter hat uns den Start nicht gerade einfach gemacht», räumt Irene Varga (58), Co-Chefin des Initiativkomitees ein. Der Januar sei besser gewesen. «Wir sind zuversichtlich.» Sie rechnet damit, dass dank der Abgas-Affen von VW das Interesse an der Initiative wachsen wird.

In der Schweiz ist die Zahl der Tierversuche in den 90er-Jahren stark gesunken. Mittlerweile hat sie sich bei etwas über 600'000 pro Jahr eingependelt, die meisten Versuche werden an Mäusen gemacht. Unterschieden wird zwischen den Schweregraden 0 (keine Belastung für das Tier) bis 3 (schwere Belastung). 2016 waren rund 40 Prozent der durchgeführten Tierversuche als Schweregrad 0 eingestuft. 2,6 Prozent entsprachen dem höchsten Schweregrad.

Neben den Univer­sitätskantonen ist es vor allem die Pharmaindustrie, die in der Schweiz auf Tierversuche setzt. Für sie wäre die Annahme der Tierversuchsverbots-Initiative eine Katastrophe, die Forschung würde aus der Schweiz verbannt. «Die Ausformulierung ist sehr extrem und würde nicht nur für die pharmazeutische Industrie, sondern vor allem auch für die universitäre Forschung in der Schweiz schwere negative Konsequenzen ­haben», sagt Satoshi Sugimoto, Sprecher von Novartis.

Tier- und Menschenversuche sollen in der Schweiz verboten werden. Das fordert die «Tierversuchsverbots-Initiative», für die seit genau vier Monaten Unterschriften gesammelt werden. Bis jetzt sind bescheidene 8782 Signaturen zusammengekommen. Nötig sind 100'000. «Das launige Wetter hat uns den Start nicht gerade einfach gemacht», räumt Irene Varga (58), Co-Chefin des Initiativkomitees ein. Der Januar sei besser gewesen. «Wir sind zuversichtlich.» Sie rechnet damit, dass dank der Abgas-Affen von VW das Interesse an der Initiative wachsen wird.

In der Schweiz ist die Zahl der Tierversuche in den 90er-Jahren stark gesunken. Mittlerweile hat sie sich bei etwas über 600'000 pro Jahr eingependelt, die meisten Versuche werden an Mäusen gemacht. Unterschieden wird zwischen den Schweregraden 0 (keine Belastung für das Tier) bis 3 (schwere Belastung). 2016 waren rund 40 Prozent der durchgeführten Tierversuche als Schweregrad 0 eingestuft. 2,6 Prozent entsprachen dem höchsten Schweregrad.

Neben den Univer­sitätskantonen ist es vor allem die Pharmaindustrie, die in der Schweiz auf Tierversuche setzt. Für sie wäre die Annahme der Tierversuchsverbots-Initiative eine Katastrophe, die Forschung würde aus der Schweiz verbannt. «Die Ausformulierung ist sehr extrem und würde nicht nur für die pharmazeutische Industrie, sondern vor allem auch für die universitäre Forschung in der Schweiz schwere negative Konsequenzen ­haben», sagt Satoshi Sugimoto, Sprecher von Novartis.

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