Als Russland über die Ukraine herfiel, waren sich – mit Ausnahme der SVP – alle Parteien einig: Der Bundesrat muss die Sanktionen des Westens gegen Moskau sofort mittragen. In einem Moment, in dem die Regierung zauderte, war diese Geschlossenheit entscheidend. Ein halbes Jahr später ist diese Einigkeit bereits wieder dahin: Um die Frage, wie der Bund autoritäre Staaten samt Erfüllungsgehilfen sanktionieren soll, wird heftig gerungen.
Ohne Putins Angriffskrieg wäre die Debatte kaum in Gang gekommen. Aber auch das Verhältnis zu China dürfte den Bund früher oder später vor heikle Entscheide stellen. Peking jedoch spielt in einer anderen Gewichtsklasse – und ist der Schweiz mit einem Freihandelsabkommen innig verbunden.
«Die Regierung drückt sich seit Jahren um eine klare Positionierung, während unsere europäischen Partner gezielt Sanktionen gegen Funktionäre verhängt haben», kritisiert SP-Nationalrat Fabian Molina (32, ZH). «Dabei wäre es doch eigentlich logisch, dass auch die Schweiz reagiert, wenn Menschenrechte oder das Völkerrecht brutal verletzt werden.»
Nur: Ergreift Bern Massnahmen gegen Chinas Beamte, die beispielsweise in die Unterdrückung der Uiguren verstrickt sind, ist aus Peking mit heftigen Reaktionen zu rechnen.
Unangenehme Entscheidungen
Eine Mehrheit im Nationalrat lässt sich davon nicht mehr abschrecken: In der Sommersession verankerten SP, Grüne, GLP und Mitte im Embargogesetz die Möglichkeit, dass der Bundesrat Strafmassnahmen gegen Staaten, Einzelpersonen und Unternehmen verhängen kann, die Menschenrechte verletzen oder das Völkerrecht brechen. Bislang darf die Schweiz lediglich Sanktionen der Uno oder der Europäischen Union übernehmen.
Das Embargogesetz sei nur ein kleiner Schritt, sagt Mitte-Präsident Gerhard Pfister (59, ZG). «Grundsätzlich müssen wir uns bewusst werden, dass wir nun in einer Zeit leben, die unserem Land Entscheidungen aufzwingt, die nicht immer angenehm sind. Das zeigt sich im Ukraine-Krieg und in zunehmendem Masse auch im Umgang mit China.»
Vor diesem Hintergrund wirkt das Embargogesetz dann doch nicht mehr so klein, die Fassung des Nationalrats markiert eine Zäsur in der traditionell äusserst zurückhaltenden Schweizer Sanktionspolitik.
Ob sie Bestand hat, ist eine andere Frage: Das Stöckli könnte die umfassende Lösung bald wieder kippen. Ab kommender Woche beraten dessen Aussenpolitiker (APK) über das Gesetz, im Herbst soll die kleine Kammer entscheiden.
SiK hat Bedenken
Die Sicherheitspolitische Kommission (SiK) des Ständerats, dominiert von FDP und SVP, setzt schon mal den Ton. In einem Schreiben an die Kollegen der APK, das dem SonntagsBlick vorliegt, warnen sie vor dem Vorschlag des Nationalrates.
Man habe mit Sorge zur Kenntnis genommen, dass der Nationalrat beim Embargogesetz eine gewichtige Änderung vorgenommen habe, schreibt die SiK. «Diese Änderung, sofern sie von beiden Räten beschlossen würde, hätte Auswirkungen namentlich auch auf die Neutralität der Schweiz», heisst es weiter. Die SiK will ihre Bedenken in einem Mitbericht zu Papier bringen.
Dazu sagt Thierry Burkart (46), Präsident des Freisinns: «Die FDP wird im Ständerat Kurs halten. Die Fassung des Nationalrats geht bei den eigenständigen Zwangsmassnahmen viel zu weit und würde den Bundesrat aussenpolitisch unnötig unter Druck setzen.» Eine derart radikale Änderung der Sanktionspolitik wäre falsch und würde die Regierung praktisch permanent vor die Entscheidung stellen, Sanktionen zu ergreifen, fährt der Aargauer Ständerat fort.
Pfister ist optimistisch
Wie so oft, werden die Stimmen der Mitte den Ausschlag geben. Tragen ihre Ständeräte die ambitionierte Stossrichtung des Nationalrats mit?
Manche in der Fraktion haben da ihre Zweifel. Mitte-Ständerätin Andrea Gmür-Schönenberger (58, LU) warnt vor Schnellschüssen. «Es ist angezeigt, kühlen Kopf zu bewahren. Ich möchte zuerst die Auswirkungen auf die Neutralität genau abgeklärt haben, bevor wir einen definitiven Entscheid fällen.» Das EDA lege bald seinen Bericht zur Neutralität vor. Daher sei es sinnvoll, das Embargogesetz und den Neutralitätsbericht gemeinsam zu behandeln und dann einen Beschluss zu fassen.
Parteichef Pfister zeigt sich optimistisch. «Ich bin zuversichtlich, dass der Ständerat den Vorschlag des Nationalrats mitträgt und damit den Herausforderungen durch den Ukraine-Krieg ebenfalls Rechnung trägt.»
Die kommenden Wochen werden die Entscheidung bringen.