Im Aargau haben Frauen in der Politik geringere Chancen
Der Testosteron-Kanton

Im Aargau ist die Regierung seit Sonntag wieder ganz in Männerhand. Das gleiche Bild im Ständerat. Nicht nur SP-Politikerin Yvonne Feri fragt sich: «Was ist in unserem Kanton los?»
Publiziert: 25.11.2019 um 17:45 Uhr
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Aktualisiert: 18.10.2020 um 10:47 Uhr
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Thierry Burkart (FDP, l.) und Hansjörg Knecht (SVP), vertreten den Aargau neu im Ständerat.
Foto: Keystone
Lea Hartmann

2019 – das Frauenjahr? Nicht im Aargau. 1594 Stimmen fehlten SP-Kandidatin Yvonne Feri (53) gestern für den Einzug in den Aargauer Regierungsrat. Jubeln konnte stattdessen Jean-Pierre Gallati (53), Präsident der kantonalen SVP-Fraktion.

Damit wird der Aargau – wieder – zur Männerbastion. 113 Regierungsrätinnen und -regierungsräte standen dem Kanton in seiner über 200-jährigen Geschichte bereits vor. Gerade einmal drei davon waren Frauen. Die letzte weibliche Vertreterin in der Regierung, Franziska Roth (55), war lediglich zwei Jahre im Amt. Diesen Sommer war sie von der SVP kaltgestellt worden – woran sie nicht unschuldig war. Ihre Amtsführung hatte zu heftiger Kritik geführt.

«Das ist unverständlich!»

Und auch bei den Ständeratswahlen, die gestern in die zweite Runde gegangen waren, zogen die Frauen den Kürzeren. Marianne Binder-Keller (CVP, 61) und Ruth Müri (Grüne, 49) hatten gegen die Favoriten Thierry Burkart (FDP, 44) und Hansjörg Knecht (SVP, 59) keine Chance. Während schweizweit so viele Frauen wie noch nie ins Stöckli einziehen, dreht der Aargau die Uhr zurück. Nach acht Jahren, in denen Pascale Bruderer im Stöckli (42) politisierte, ist seine Vertretung wieder rein männlich.

Aargauer Politikerinnen bedauern das Ergebnis. Je weiter links, desto grösser der Unmut über die Männerwahl. «Das ist unverständlich!», sagt eine sichtlich aufgebrachte Yvonne Feri. Und fügt ratlos an: «Ich frage mich wirklich, was in unserem Kanton los ist.»

Männerwahl ein «grosser Wermutstropfen»

Die Aargauer Nationalrätin und gescheiterte Regierungsratskandidatin betont, dass es ihr nicht in erster Linie um ihre persönliche Niederlage geht. «Gerade im Jahr des Frauenstreiks, der auch im Aargau sehr erfolgreich war, kann ich das Ergebnis einfach nicht nachvollziehen.» Und sie sei mit dem Unverständnis nicht allein. «Ich habe nach dem Wahlergebnis gestern unzählige Nachrichten von Frauen und Männern bekommen. Sie schreiben mir, dass sie sich überhaupt nicht vertreten fühlen.»

Grünen-Nationalrätin Irène Kälin (32) spricht von einem «grossen Wermutstropfen», den die reine Männerwahl darstelle. «Es ist nicht das Bild des Aargaus, das unserem vielfältigen Kanton gerecht wird.»

Haben es Frauen im Aargau schwerer?

Der vergangene Wahlsonntag lässt den Eindruck aufkommen, dass im Aargau die Hürden in der Politik für Frauen besonders hoch sind. CVP-Nationalrätin Marianne Binder-Keller (61) glaubt zwar: «Frauen haben es im Aargau nicht a priori schwerer.» Schliesslich sei die Hälfte der Aargauer Delegation in Bern – National- und Ständeräte zusammen – neu weiblich.

Doch im Kanton ist man – oder eben frau – sich einig, dass sich die Stärke der SVP auswirkt: Im Nationalrat und auch im Grossen Rat ist die SVP seit rund zwei Jahrzehnten klar die stärkste Kraft. «Die Bürgerlichen müssen sich überlegen, ob es nicht an der Zeit ist, eine aktivere Frauenförderungspolitik zu führen», meint Kälin. Und SP-Kollegin Feri stellt fest: «Die SVP hat immer Mühe mit Frauenkandidaturen.»

Ein Vorwurf, den die frisch gewählte SVP-Nationalrätin Martina Bircher so nicht auf sich sitzen lässt. «Gestern sind zwar nur Männer gewählt worden. Bei der SVP sind auf den zweiten Blick aber die Frauen die stillen Siegerinnen.» So haben es erstmals zwei Aargauer SVP-Frauen in den Nationalrat geschafft.

«Frau sein allein ist kein politisches Programm»

Bircher räumt aber ein: «Statistisch gesehen sind Frauen in der Politik mehr im linken als im bürgerlichen Lager anzutreffen.» Und sogar sie sagt, gemischte Gremien seien grundsätzlich zu bevorzugen. Als Gemeinderätin von Aarburg erlebe sie das selbst. «Man führt doch etwas andere Diskussionen, wenn Frauen dabei sind.»

Dennoch geht bei den meisten Stimmbürgern Gesinnung vor Geschlecht. «Ich glaube, dass es unter Frauen viel Solidarität gab. Aber Frau sein allein ist kein politisches Programm», sagt CVP-Nationalrätin Binder. Sie ist optimistisch, dass die Männerbastion Aargau bald wieder gebrochen wird. In einem Jahr finden die Gesamterneuerungswahlen für den Regierungsrat statt.

Auf das Prinzip Hoffnung zu setzen, reicht SPlerin Feri nicht. Sie will die Sache selbst in die Hand nehmen. «Jetzt müssen die Frauen in die Hosen steigen!», sagt sie.

Im Kanton müsse ein Projekt à la «Helvetia ruft!» aufgezogen werden, um die Frauenvertretung im Aargau zu stärken. Die Aktion, ins Leben gerufen von einem überparteilichen Komitee, hatte mitgeholfen, den Frauenanteil auf den Listen für die Parlamentswahlen und unter den Gewählten zu steigern. Feri kündigt an: «Ich werde alles dafür geben, dass es mit der Männerbastion nächstes Jahr auch im Aargau endlich vorbei ist.»

Nur in zwei Kantonen sind Frauen in Überzahl

Der Kanton Aargau ist nicht die einzige Männerbastion. Auch die Regierungen in Luzern, Tessin, Graubünden und Appenzell-Ausserrhoden sind in reiner Männerhand. In sechs von 26 Kantonen ist weniger als ein Drittel der Sitze von Frauen besetzt. Demgegenüber gibt es nur drei Kantone, in denen die Männer in der Minderheit sind: Zürich, Waadt (je vier Frauen, drei Männer) und Thurgau (drei Frauen, zwei Männer). In Zürich und in der Waadt steht die Frauenmehrheit allerdings erst seit diesem Frühling – mit der Wahl von Natalie Rickli (SVP, 43) beziehungsweise Rebecca Ruiz (SP, 37).

Der Kanton Aargau ist nicht die einzige Männerbastion. Auch die Regierungen in Luzern, Tessin, Graubünden und Appenzell-Ausserrhoden sind in reiner Männerhand. In sechs von 26 Kantonen ist weniger als ein Drittel der Sitze von Frauen besetzt. Demgegenüber gibt es nur drei Kantone, in denen die Männer in der Minderheit sind: Zürich, Waadt (je vier Frauen, drei Männer) und Thurgau (drei Frauen, zwei Männer). In Zürich und in der Waadt steht die Frauenmehrheit allerdings erst seit diesem Frühling – mit der Wahl von Natalie Rickli (SVP, 43) beziehungsweise Rebecca Ruiz (SP, 37).

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