IKRK-Chef Peter Maurer (60) kritisiert die europäische Flüchtlingspolitik
«Der Fokus auf Abwehr ist falsch»

Auf Einladung von Bundesrätin Simonetta Sommaruga (SP) trifft sich am Montag in Bern die Kontaktgruppe zentrales Mittelmeer. Im Interview mit SonntagsBlick kritisiert Peter Maurer, Chef des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), den Fokus der Gruppe auf repressive Massnahmen.
Publiziert: 12.11.2017 um 17:48 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 03:20 Uhr
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«Im Jemen erleben wir derzeit eine riesige humanitäre Kata­strophe»: Peter Maurer 2015 bei einem Besuch im Jemen.
Foto: MOHAMMED HUWAIS
Interview: Fabian Eberhard

Am Montag trifft sich in Bern die sogenannte Kontaktgruppe zentrales Mittelmeer. Dieser Zusammenschluss europäischer und afrikanischer Minister hat sich zum Ziel gesetzt, den Grenzschutz in Libyen zu verstärken, um Migranten von einer Reise übers Mittelmeer abzuhalten. In Bern will Bundesrätin Simonetta Sommaruga (57, SP) als Gastgeberin für einmal den Schutz der Flüchtlinge ins Zentrum stellen. Peter Maurer (60), Chef des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), begrüsst die Initiative, kritisiert aber zugleich den zu starken Fokus auf repressive Massnahmen.

BLICK: Das IKRK nimmt an der Mittelmeer-Konferenz in Bern teil. Mauert jetzt auch das Rote Kreuz an der Festung Europa mit?
Peter Maurer: Nein, das ist wohl das Letzte, was man uns vorwerfen kann. Bundesrätin Sommaruga hat angekündigt, dass sie in Bern vor allem über den Schutz der Migranten sprechen will. Darum geht es auch dem IKRK: Wir zielen auf eine Verbesserung der humanitären Situation entlang der Fluchtrouten.

Versucht sich Sommaruga nicht einfach als Wohltäterin zu inszenieren? Fakt ist doch: Der Mittelmeer-Gruppe geht es in erster Linie um die Migrationsabwehr.
Diesen Fokus finden wir falsch. Die Innenminister sind leider tatsächlich noch immer vor allem an der ­Migrationskontrolle inte­ressiert.

Etwa mittels Hilfeleistungen für die libysche Küstenwache, auch durch die Schweiz. Da werden ­Milizen aufgerüstet, die Flüchtlinge zum Teil mit Gewalt in Lager auf dem Festland zurückzwingen. Das kann doch nicht im Interesse des IKRK sein.
Natürlich nicht. Repressive Mittel allein verschlimmern das Problem. Die Lage in den libyschen Flüchtlingszentren ist prekär. Das IKRK hat kaum Zugang zu den Lagern. Das muss sich ändern.

Und durch das Treffen in Bern erhoffen Sie sich eine Verbesserung?
Zumindest einen Dialog ­darüber. Als humanitäre Bewegung sind wir daran interessiert, direkt mit den ­Innenministern zu reden – auch mit den afrikanischen. Denn sie sind es schlussendlich, die in ihren Ländern konkrete Fortschritte umsetzen können. Unsere Aufgabe in Bern wird es sein, auf Nachbesserungen der bisherigen Strategie der Mittelmeer-Gruppe zu pochen.

Bundesrätin Sommaruga hat die Erwartungen auf konkrete Massnahmen bereits gesenkt. Als Ergebnis strebt sie eine Deklaration zum Schutz der Migranten an. Braucht es angesichts des Elends nicht Taten statt Worte?
Wir müssen realistisch bleiben. Wichtig ist jetzt, einen Konsens zu erzielen. Dafür sind diplomatische Treffen da. Erst in einem zweiten Schritt können die afrikanischen Minister die gemeinsame Linie dann in ihren Ländern umsetzen.

Schiebt man das Problem so nicht einfach nach Afrika ab?
Das ist eine berechtigte Sorge. Es besteht die Gefahr, dass die Problematik in den Süden verlagert wird. Das müssen wir verhindern.

Wie?
Bundesrätin Simonetta Sommaruga hat Schritte angekündigt, um dem entgegenzuwirken. So hat sie zum Beispiel angeboten, dass die Schweiz schutzbedürftige Personen mittels sogenannter Resettlement-Programme direkt in die Schweiz holt.

Was bürgerliche Politiker bereits im Vorfeld des Treffens kritisiert haben. Ist es wirklich realistisch, Migranten direkt aus Afrika einfliegen zu lassen?
Ich würde das begrüssen, ja. Asylschutz in Drittländern ist ein international akzeptierter Ansatz, ein legitimer und solider Weg. Auch wenn Reset­tlement-Programme nicht alle Probleme lösen, können sie trotzdem helfen, den Migra­tionsdruck in Nordafrika zu dämpfen.

Als IKRK-Chef kämpfen sie auch an einem anderen Brennpunkt. Und das ist der kriegsgeschundene ­Jemen.
Dort erleben wir gerade eine riesige humanitäre Katastrophe. Die Lage ist dramatisch. Armut, Gewalt und eine Cholera-Epidemie historischen Ausmasses haben das Land fest im Griff.

Dazu kommt, dass Saudi-Arabien jetzt auch noch Flug- und Seehäfen blockiert – und damit ein ganzes Land in Geiselhaft nimmt. Die Uno warnte vergangene Woche vor einer riesigen Hungersnot «mit Millionen Opfern». Ein drastischer Appell.
Der leider zutrifft. Selbst wir als IKRK haben mittlerweile Schwierigkeiten, unsere humanitären Aktionen aufrechtzuerhalten. Zu vielen Orten haben wir überhaupt keinen Zugang mehr.

Was können Sie da überhaupt noch tun?
Uns bleibt vor allem der diplomatische Weg. Wir müssen mit allen Parteien verhandeln, um Verbesserungen zu erreichen. Nur ­eines ist nicht verhandelbar: die Respektierung des humanitären Völkerrechts. Dieses gilt für alle.

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