«Machen Sie bloss nichts Weinerliches», sagt Doris Fiala (63), als BLICK sie in ihrem kleinen Studio in der Zürcher Innenstadt trifft. Die FDP-Politikerin will über den Tod ihres Mannes Jan Fiala (†70) reden. «Aber nicht, um das öffentlich zu verarbeiten», wie sie klarstellt. Sondern, weil sie eine Mission hat.
Fiala will die Patientenverfügung ins Bewusstsein rücken. «Über das eigene Sterben spricht niemand gern. Aber es ist wichtig.» Wenn aus dem Krebstod ihres Mannes noch irgendetwas «Gutes» werden könne, dann hierdurch.
«Es hat mich fertiggemacht»
Jan Fiala hatte eine Patientenverfügung. Drei Seiten lang, detailliert, notariell beglaubigt. «Schuld» daran war sein Schwiegervater. Durch dessen Schicksal erfuhr die Familie vor über 20 Jahren, was es bedeutet, dem medizinischen Fortschritt ausgeliefert zu sein. Eine Hirnblutung hatte den rüstigen Bergsteiger aus seinem Alltag gerissen und verursachte grössten motorischen Schaden und unerträgliche Schmerzen.
Während die Krankenschwestern der Familie signalisierten, dass es wohl langsam zu Ende gehe, gab ein junger Arzt nicht auf und probierte eine neue – und riskante – Methode an Fialas Vater aus. Gegen den Willen der Familie, wie Fiala sagt. Und es ging schief: Fialas Vater war fortan geistig und körperlich schwerstbehindert. Fünf Jahre «vegetierte» er «jämmerlichst» in einem Pflegeheim dahin, wie sie sagt. «Es hat mich fertiggemacht, meinen Vater so leiden zu sehen, er, der sich so sehr über die Bewegung und seine Berge definiert hatte.»
Für Doris Fiala und ihren Mann war danach klar: Das wollen wir uns und unserer Familie ersparen. So setzten sie schon vor vielen Jahren eine Patientenverfügung auf.
Plötzlich die Krebsdiagnose
Als Jan Fiala im Mai 2016 die Krebsdiagnose erhielt, hatten seine Frau und er gerade eine Wohnung in Samedan GR gekauft. Einmal im Engadin zu leben, dem sich beide so verbunden fühlten, war ihr Traum. Doch plötzlich hiess es: Glioblastom. Ein besonders aggressiver Tumor, der das Gehirn oder die Wirbelsäule befällt und rasend schnell wächst. Die meisten Patienten überleben trotz Operation und Bestrahlung meist weniger als zwölf Monate. Jan Fiala schaffte 43 – dank Spitzenmedizin und Lebenswillen.
«Er hat gekämpft», erinnert sich Doris Fiala in der Frühlingssonne. Habe Operation und Chemo auf sich genommen, nie geklagt, so gut wie möglich weitergelebt. «Ich habe ihn oft gefragt, ob wir nicht für eine Woche oder zwei ins Engadin fahren wollen. Doch er wollte unbedingt weiterarbeiten.» Lange ging das gut. Doris Fiala ist überzeugt: Ihr Mann – Sohn des einzigen Holocaustüberlebenden seiner Familie – hatte ein besonderes Überlebens-Gen.
Auch der Familie verordnete er eine gewisse Härte im Umgang mit der Krankheit. «Das war schwer, besonders für die Kinder. Aber so konnte er es besser durchstehen.» Seinen 70. Geburtstag und die Geburt des ersten Enkelkindes erleben. Immer im Wissen, dass, wenn es so weit sein würde, die Patientenverfügung dafür sorgt, dass sein Wille respektiert wird. Das Dokument hatte er drei Tage nach der Diagnose nochmals hervorgeholt, aktualisiert, erneut von einem Notar beglaubigen und allen Familienangehörigen unterzeichnen lassen.
Trotz Patientenverfügung gab es Streit
Ganz so einfach lief es dann aber doch nicht, als sich die Einweisung ins Spital im Herbst 2019 nicht mehr verhindern liess. «Ein Glioblastom ist ein Krebs, der sich nicht vollends entfernen lässt», erklärt Fiala. Wie aus einer Wurzel wachse der Tumor immer wieder nach, drücke aufs Gehirn und führe oft zu Lähmungen, Gleichgewichtsverlust, Sehbehinderungen. Bei Jan Fiala setzte er am Ende gar den Schluckmuskel ausser Kraft.
In den schwierigsten Stunden im Spital musste Fiala für ihren Mann mit den Ärzten ringen. Etwa darüber, ob eine Patientenverfügung nach zwei Jahren noch gültig ist. Und als er hohes Fieber bekam, darüber, ob Antibiotika verabreicht werden sollen. «Das hätte mein Mann gemäss Patientenverfügung nie gewollt – das Leiden als schwerster Pflegefall verlängern hätte nicht seinem Wunsch entsprochen.»
Arzt drohte mit der Kesb
Sogar die Kesb kam ins Spiel – wenn auch nur als Drohung. Als Fiala dem Arzt sagte, dass sie als Generalbevollmächtigte auch medizinisch für ihren Mann sprechen dürfe, bekam sie eine Antwort, die sie heute noch wütend macht: «Wissen Sie, was dieser mir da entgegnete? Die Kesb könnte auch überprüfen, ob der Bevollmächtigte urteilsfähig sei …»
Auch sechs Monate später kann sie es kaum fassen. «Ich dachte, ich höre nicht richtig!» Kurz nach den Wahlen im Oktober sei das gewesen. «Ich hab dann gekontert, dass ich die Schlagzeile im BLICK schon sehe: «Kesb soll Zurechnungsfähigkeit von bestgewählter FDP-Nationalrätin der Schweiz prüfen!» «Und dann habe ich gefragt, wem die Schlagzeile wohl mehr schade – mir oder dem Spital? Da war dann Ruhe.»
Ihre letzte politische Mission
Was Fiala heute noch erbittert: Sie könne sich zur Wehr setzen. «Was aber passiert mit jemandem, der das nicht kann und von der Situation völlig überfordert ist?» Es sollte niemand dafür kämpfen müssen, dass der Wille eines geliebten Menschen durchgesetzt wird.
Fiala hat daher eine Interessengemeinschaft zur Durchsetzung der Patientenverfügung gegründet. Diese will einerseits über die Notwendigkeit und den Sinn von Patientenverfügungen aufklären, aber auch die praktische Durchsetzung der Verfügung erleichtern. Dem wolle sie sich jetzt mit aller Kraft widmen. Aber nicht, um Wählerstimmen zu holen. «Bei den nächsten Wahlen werde ich nicht mehr antreten», stellt sie klar.
Gemeinsam mit ihrem Parteikollegen Marcel Dobler (39) hat Doris Fiala (63) die Interessengemeinschaft für die Durchsetzung der Patientenverfügung begründet. Ziel ist, das Thema bekannter zu machen und Probleme, wie sie Fiala am eigenen Leib erfahren hat, zu lösen. «Wir wollen niemanden an den Pranger stellen», sagt sie. «Sondern gemeinsam mit allen für bessere Lösungen sorgen und einen anderen Umgang mit dem Sterben initiieren.» Die Corona-Krise habe aufgezeigt, dass sich jeder mit ethischen Fragen befassen müsse.
Dass Dobler an Bord ist, ist kein Zufall. Der FDP-Nationalrat ist ebenfalls engagiert und stellt unter www.e-vorsorgeauftrag.ch kostenlos Mustervorlagen zur Verfügung.
Die IG soll jedem offenstehen. Viele namhafte Persönlichkeiten sind schon an Bord. Darunter Politiker aus mehreren Parteien, Wirtschaftsführer wie Swisslife-Verwaltungsratspräsident Rolf Dörig (62) und Gregor Zünd (59), Chef des Unispitals Zürich.
Gemeinsam mit ihrem Parteikollegen Marcel Dobler (39) hat Doris Fiala (63) die Interessengemeinschaft für die Durchsetzung der Patientenverfügung begründet. Ziel ist, das Thema bekannter zu machen und Probleme, wie sie Fiala am eigenen Leib erfahren hat, zu lösen. «Wir wollen niemanden an den Pranger stellen», sagt sie. «Sondern gemeinsam mit allen für bessere Lösungen sorgen und einen anderen Umgang mit dem Sterben initiieren.» Die Corona-Krise habe aufgezeigt, dass sich jeder mit ethischen Fragen befassen müsse.
Dass Dobler an Bord ist, ist kein Zufall. Der FDP-Nationalrat ist ebenfalls engagiert und stellt unter www.e-vorsorgeauftrag.ch kostenlos Mustervorlagen zur Verfügung.
Die IG soll jedem offenstehen. Viele namhafte Persönlichkeiten sind schon an Bord. Darunter Politiker aus mehreren Parteien, Wirtschaftsführer wie Swisslife-Verwaltungsratspräsident Rolf Dörig (62) und Gregor Zünd (59), Chef des Unispitals Zürich.
Ärzte haben einen «kurativen Chip» implantiert
Den Medizinern will sie dennoch keinen Vorwurf machen – ihrem Mann hätten sie drei Jahre geschenkt. Erstes Ziel sei verständlicherweise das Heilen und nicht das In-Würde-Sterben-Lassen. Fiala nennt es den «kurativen Chip», den Ärzte sozusagen durch ihre Ausbildung implantiert hätten. Und selbstkritisch fügt sie an: «Die Spitäler stehen zudem unter enormem wirtschaftlichem Druck. Wir Politiker schauen fälschlicherweise einseitig auf die Kosten: Betten müssen gefüllt sein, ein Spital muss rentieren.»
Krankenkassen würden beispielsweise nur etwa drei Wochen lang für den Aufenthalt auf der Palliativstation der Spitäler bezahlen. «Dass die Spitäler dann Druck auf die Patienten machen, sich nach einem Pflegeheim umzusehen, ist ja klar.»
«Er wusste, dass er den Winter nicht erleben wird»
Auch Jan Fiala verbrachte seine letzten Tage nicht im Spital, sondern im Zürcher Lighthouse, das unheilbar kranken Menschen seit 30 Jahren Platz bietet, um in Würde zu sterben. «Er hat noch in den letzten Wochen so viel Liebe und Zuspruch erfahren – dafür bin ich dankbar.»
Am 15. Dezember, dem dritten Advent, verlor Jan Fiala seinen Kampf gegen den Krebs. «Er spürte schon im Sommer, dass er den Winter nicht mehr erleben würde», sagt seine Witwe. Noch vor dem Weihnachtsfest verstreute die Familie seine Asche an seinem Lieblingsaussichtspunkt im Engadin.
Doris Fialas Kampf für die Patientenverfügung – der persönliche Auftrag, den Jan ihr hinterlässt – hat gerade erst begonnen.