Seit Jahren hat der Bund ein Kässeli, mit dem er die politische Bildung an Berufsschulen unterstützen könnte. Und das ist gut gefüllt: Gut 63 Millionen Franken befanden sich 2021 darin.
Knapp die Hälfte wurde für verschiedene Projekte im Bereich der Berufsbildung – oder für «besondere Leistungen im öffentlichen Interesse», wie es im entsprechenden Artikel des Berufsbildungsgesetzes heisst, – ausgegeben. Dazu zählen etwa die Übersetzung von Lehrmitteln oder Berufsbildungsmessen. Die andere Hälfte wurde nicht einmal eingesetzt. Und Projekte, die die politische Bildung fördern sollen? In die floss kein Rappen. Und das während der letzten zehn Jahre.
Berufsschüler misstrauen Politik
Dabei wäre das bitter nötig. Denn: Studien zeigen, dass das politische Interesse, das politische Wissen und das Vertrauen in die Politik und staatlichen Institutionen bei Schülerinnen und Schülern von Berufsschulen tiefer ist als von jenen an Gymnasien. Letztere beteiligen sich zudem viel häufiger an Abstimmungen.
Das sagt auch Politologin Cloé Jans vom Forschungsinstitut GFS. Sie führt seit Jahren die Easyvote-Studien durch, bei denen Menschen zwischen 15 und 25 Jahren zu ihrem Politikinteresse befragt werden. In den zwei Pandemie-Jahren sei «die Schere zwischen Berufsschulen und Gymnasien nochmals auseinandergegangen», stellt Jans fest. Wieso das so ist, kann die Politologin nicht sagen. «Ich habe aber das Gefühl, dass an den Berufsschulen eine gewisse Resignation herrscht.»
Fünf Anfragen in zehn Jahren
Bestrebungen, Projekte im Bereich der politischen Bildung durchzuführen, gab es durchaus. Fünf Anfragen sind in den letzten zehn Jahren beim Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) eingegangen, wie dieses auf Anfrage mitteilt. Nur: Kein Projekt wurde je durchgeführt.
«Nach ersten Gesprächen zwischen den Anfragenden und dem SBFI wurde konkret nur eine Anfrage als Projektskizze eingereicht», sagt Tiziana Fantini vom SBFI. Aber auch dieses Gesuch ist nicht bewilligt worden.
Kein konkreter Bezug zur Berufsbildung
Begründung: Den Projektvorschlag, der vom Dachverband der Schweizer Jugendparlamente (DSJ) eingereicht worden war, habe man nicht weiterverfolgen können, da man ihn als «Angebots- und Lehrmittelentwicklung» beurteilt habe.
Dazu muss man wissen, dass das SBFI etwa Lehrmittel für sprachliche Minderheiten für die Berufsbildung übersetzen darf, so steht es im entsprechenden Artikel des Berufsbildungsgesetzes. Die Erstellung von Lehrmitteln oder Unterrichtsangeboten darf der Bund aber nicht fördern.
«Hürden sind extrem hoch»
Ein weiterer Grund, weshalb alle Anträge scheiterten: Es fehlte laut SBFI der konkrete Bezug zur Berufsbildung. Dieses Kriterium findet Christian Isler, Co-Geschäftsführer des DSJ, besonders unverständlich. «Politische Bildung ist für jeden Beruf wichtig», stellt er klar.
Die Erfahrung, dass kaum ein Projekt die Kriterien zur Finanzierung erfüllt, musste auch der DSJ machen. «Die Hürden sind extrem hoch», sagt Isler. Er erzählt vom Projekt «Politik und Medien», das die Medienkompetenz von jungen Erwachsenen fördern wollte und unter anderem Unterrichtsmaterialien und Podiumsdiskussionen mit Politikerinnen und Politikern umfasste. Auch dieses wurde mit der Begründung, dass der Bund die Lehrmittelentwicklung nicht unterstützen würde, abgelehnt.
SVP setzt auf Eigenverantwortung
Bestrebungen, die politische Bildung zu stärken, gibt es. So wurde etwa im Ständerat im Rahmen der aktuellen Legislaturplanung 2019–2023 die Wichtigkeit der politischen Bildung betont.
Zuletzt reichte die Berner SP-Nationalrätin Nadine Masshardt (38) einen Vorstoss ein, der wollte, dass der Bund politische Bildung an Berufsschulen stärker fördert – jedoch ohne Erfolg. Vor allem von bürgerlicher Seite kam Widerstand. Es bestehe die Gefahr von Doppelsubventionen, warnte etwa die Luzerner Mitte-Ständerätin Andrea Gmür-Schönenberger (58). Und der Thurgauer SVP-Ständerat Jakob Stark (64) argumentierte, dass politische Bildung in die Eigenverantwortung von Eltern und Schülern gehören würde. Immer wieder war aus SVP-Kreisen zudem der Vorwurf zu hören, dass Lehrerinnen und Lehrer zu links seien.
Auf Kantonsebene tut sich etwas
«Genügend Studien kommen zum Schluss, dass die Schule ein wichtiger Ort sei, um politisches Interesse zu entwickeln», sagt Isler. Das Argument der Eigenverantwortung zählt für ihn also nicht. «Wenn bereits im Elternhaus kein politisches Interesse besteht, wird dieses Desinteresse vermutlich weitergegeben.»
In Bundesbern würde immer betont, wie wichtig die politische Bildung sei, so Isler. «Es wäre an der Zeit, dass auch mal etwas getan wird. Gerade in der heutigen Zeit, in der die Demokratie nicht selbstverständlich ist.»
Auch wenn die Möglichkeiten, politische Bildung auf Bundesebene zu fördern, momentan begrenzt sind, so scheint das Thema zumindest auf Kantonsebene angekommen zu sein. Dort arbeitet man zurzeit daran, eine kantonale Arbeitsgruppe zum Thema politische Bildung aufzugleisen.