Andreas Aebi (62) ist nicht für seine Skepsis gegenüber Belarus bekannt. Vor gut einem Jahr schnitt der SVP-Nationalrat an der Seite von Aussenminister Ignazio Cassis (60) noch feierlich Tortenstücke bei der Eröffnung der Schweizerischen Botschaft in Minsk. Und als Nationalratspräsident wollte er die ehemalige Sowjetrepublik ursprünglich gleich zu Beginn seiner Amtszeit besuchen.
Doch daraus wurde nichts. Nach der umstrittenen Wiederwahl von Machthaber Alexander Lukaschenko (66) im August 2020 kam es auf den belarussischen Strassen zu heftigen Protesten. Andreas Aebis Haltung damals war klar: Belarus müsse seine Probleme intern lösen. Es sei nicht an der Schweiz, Sanktionen zu ergreifen. «Das ist Chabis», sagte er damals gegenüber dem SonntagsBlick.
Bundesrat soll intervenieren
Die jüngsten Ereignisse in Belarus lassen nun aber auch den höchsten Schweizer nicht kalt. Dass Diktator Lukaschenko am Sonntag einen europäischen Linienflug vom Himmel holte, um den regimekritischen Journalisten Roman Protasewitsch (26) und dessen Freundin Sofia Sapega (23) zu verhaften, bezeichnet Andreas Aebi als «Akt von Staatskriminalität».
«Ich hoffe sehr, dass der Bundesrat hier interveniert – und zwar auf höchster Ebene», sagt er. Die Schweiz könne eine vermittelnde Rolle im Konflikt übernehmen.
EU sanktioniert Belarus
Die Staats- und Regierungsschefs der EU haben bereits am Montag scharfe Sanktionen gegen Belarus angekündigt. So sollen belarussische Fluggesellschaften den EU-Luftraum künftig nicht mehr nutzen und nicht mehr auf europäischen Flughäfen starten und landen dürfen. Zudem will die EU die Liste von belarussischen Personen und Unternehmen erweitern, deren Vermögen gesperrt ist und die nicht in die EU einreisen dürfen.
Nationalratspräsident Aebi hält das für eine gute Idee – und verlangt von Schweizer Seite ebenfalls Sanktionen. «Es braucht ein klares Zeichen, dass wir das nicht hinnehmen», sagt er. Auch der Schweizer Luftraum müsse für belarussische Flugzeuge Tabu sein. «Ich will bei uns kein belarussisches Flugzeug mehr am Himmel sehen.»
SP-Molina: «Konten sperren»
Ähnlich klingt es ganz links. SP-Aussenpolitiker Fabian Molina (30) sagt: «Die Schweiz muss sämtliche Sanktionen übernehmen, die die EU gegenüber Belarus beschliesst.»
Noch besser wäre aus seiner Sicht, wenn die Schweiz nicht nur EU-Sanktionen übernehmen, sondern selber aktiv gegen belarussische Politiker vorgehen könnte. So habe etwa Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja (38) bei ihrem Besuch in der Schweiz betont, dass Lukaschenko und seine Vertrauten viel Geld auf Schweizer Konten hätten. «Könnten wir diese Konten sperren, hätten wir effektiv einen Hebel gegen das Regime in der Hand», sagt Molina. Dies sei rechtlich derzeit aber noch nicht möglich. Das Parlament dürfte demnächst über einen Vorstoss des SP-Nationalrats entscheiden, der dies ändern soll.
Neuer Russland-Club
Vor Schweizer Sololäufen warnt indes SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel (55). «Das bringt als Kleinstaat nichts und zeugt vor allem von Überheblichkeit», sagt er. Der Aussenpolitiker könnte sich vorstellen, dass der Bund die EU-Sanktionen im Fall von Belarus nicht direkt übernimmt, sondern lediglich Massnahmen trifft, damit diese nicht über die Schweiz umgangen werden können. «Diese Vorgehensweise ist etwa bei den Sanktionen gegenüber Russland gewählt worden», sagt er.
Sowohl Büchel als auch Molina sind Teil des Präsidiums der parlamentarischen Gruppe Schweiz-Russland, die sich kürzlich neu konstituiert hat und die Beziehungen zu Russland intensivieren will. Zur Gründungsversammlung am 1. Juni hat die Gruppe auch den russischen Botschafter Sergei Garmonin eingeladen.
Das ist im aktuellen Kontext nicht unumstritten: Denn Lukaschenko sitzt unter anderem deshalb fest im Sattel, weil er auf die Unterstützung von Russlands Präsident Wladimir Putin (68) zählen kann. Ist es daher angebracht, ausgerechnet jetzt den russischen Botschafter zu hofieren?
Kein «Putin-Jubelverein»
«Ich glaube, es ist wichtig, dass man auch mit schwierigen Regierungen im Gespräch bleibt», sagt SP-Nationalrat Molina. Die Gruppe organisiere in derselben Woche zudem einen Anlass mit russischen Ureinwohnern, an dem Menschenrechtsfragen diskutiert würden. «Wir sind kein Putin-Jubelverein, sondern eine Plattform für den Dialog», sagt Molina.
Auch Büchel sieht im Anlass mit dem russischen Botschafter eine Chance für den Austausch. «Herr Garmonin wird nur eine kurze Rede zu Beginn halten. Danach werden wir ihn sicher auch im direkten Austausch auf die Situation in Belarus ansprechen können.»
Still ist es derzeit hingegen in der parlamentarischen Gruppe Schweiz-Belarus. Nationalratspräsident Aebi hat den Vorsitz letztes Jahr an seinen SVP-Kollegen Martin Haab (59) abgegeben. Dieser hat eine enge Bindung zur ehemaligen Sowjetrepublik und versucht nun weitere Parlamentarier für die Gruppe zu gewinnen – bisher allerdings vergeblich.
Seit den Präsidentschaftswahlen im August 2020 ist Belarus unter Diktator Alexander Lukaschenko (66) international immer stärker isoliert. Dies, nachdem der Machthaber mit Misshandlungen und willkürlichen Verhaftungen gegen Demonstranten vorgegangen ist. Die Opposition in Belarus bezeichnet die Wahl, bei der Lukaschenko 80 Prozent der Stimmen geholt haben soll, als Scheinwahl.
Auch Journalisten wurden Opfer von Lukaschenkos Gewaltregime. Etwa SRF-Korrespondentin Luzia Tschirky (31), die am 31. Januar vor einer Grossdemonstration gegen das Wahlergebnis in Minsk in ein Gefängnis gesteckt wurde. Erst nach der Intervention des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) wurde sie wieder freigelassen.
Bitter für Hockey-Fan Lukaschenko: Am 18. Januar entzog man dem Land auch noch die Eishockey-WM, die vom 21. Mai bis 6. Juni ausgetragen wird. Belarus war zusammen mit Lettland Veranstalter. Doch Sponsoren drohten wegen der Menschenrechtsverletzungen mit dem Rückzug. Nun wird die WM nur in Lettland ausgetragen.
Im März 2021 folgte schliesslich der Absturz beim Eurovision Song Contest ESC. Die Band Galasy ZMesta wollte mit einem Song antreten, der indirekt Propaganda für das Lukaschenko-Regime beinhaltete. Die Jury schloss das Land vom Wettbewerb aus. Flavio Razzino
Seit den Präsidentschaftswahlen im August 2020 ist Belarus unter Diktator Alexander Lukaschenko (66) international immer stärker isoliert. Dies, nachdem der Machthaber mit Misshandlungen und willkürlichen Verhaftungen gegen Demonstranten vorgegangen ist. Die Opposition in Belarus bezeichnet die Wahl, bei der Lukaschenko 80 Prozent der Stimmen geholt haben soll, als Scheinwahl.
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