Zürich, Zölly-Hochhaus, 24 Etagen, 120 Briefkästen. Ganz weit oben schaut Hans-Ueli Vogt (49) aus seinem Wohnzimmerfenster. Unter ihm: Zürich-West, ein gigantischer Teppich aus Gebäuden, Brücken und Schienenwirrwarr. Der SVP-Nationalrat öffnet das schallisolierte Fenster, und nun gibts auch Ton zur faszinierenden Aussicht. «Wenn ich am Morgen das Fenster öffne und einer dieser ellenlangen Pendlerzüge mit grossem Lärm Richtung Bahnhof Hardbrücke donnert, dann weiss ich untrüglich: Jetzt beginnt der Tag!», sagt Vogt.
Mit BLICK zu Besuch bei Vogt ist Michael Töngi (52), Nationalrat der Luzerner Grünen und Vorstandsmitglied des Schweizerischen Mieterverbands. Die schweren Schuhe und den Rucksack hat er am Wohnungseingang abgelegt. Sein gemütliches Heimetli auf dem Unterstrick hoch über Kriens ist ganzjährig nur zu Fuss erreichbar. Auch dort lärmt der Verkehr, und der Blick kreist weit über die Agglomeration Luzern. Es erstaunt daher nicht, dass eine Kuh auf dem kleinen Nebenerwerbsbauernhof von Töngis Eltern «Adler» hiess.
Vogt und Töngi, zwei politische Lager – und verkehrte Welten. Der bürgerliche Zürcher, der in der bevölkerten City wohnt und gegen die grüne Zersiedelungs-Initiative ist, die Hochbauten und Verdichtung fordert. Und der Luzerner, der selber ab vom Schuss in einem Hüsli im Grünen lebt und die Initiative befürwortet.
BLICK: Herr Vogt, sind Sie in einem Mehrfamilienhaus aufgewachsen?
Hans-Ueli Vogt: Nein, in einem Reiheneinfamilienhaus in Illnau – damals ein Dorf, heute Zürcher Agglo. Dort zu leben, könnte ich mir in meiner jetzigen Lebenssituation nicht vorstellen. Ich glaube, ich würde vereinsamen.
Und hier in der Anonymität des Hochhauses nicht? Ihre Wohnung ist mit über 100 Quadratmetern gross für eine Person.
Vogt: Die richtige Person kann jederzeit einziehen! Und was das Cliché des anonymen Hochhauses betrifft: Ich hatte noch nie in meinen Leben so viel Kontakt mit Nachbarn wie hier. Wir tauschen uns in Whatsapp-Chats aus, und einmal im Monat gibt es ein Treffen. Ich bin mir übrigens sehr wohl bewusst, dass der Wohnraum in der Schweiz knapp ist. Das Bemühen um eine intakte, schöne Landschaft stand auch am Anfang meines politischen Engagements.
Waren Sie ein Grüner?
Vogt: Man muss nicht grün sein, um die landschaftliche Schönheit der Schweiz faszinierend zu finden und sie schützen zu wollen. Meine Sorge ist jedoch, dass das Anliegen, alles zu erhalten und zu schützen, Ideologien stärkt, die alles überwachen wollen und den Leuten sogar vorschreiben, auf wie vielen Quadratmetern sie leben dürfen. Davor graut mir!
Herr Töngi, wie viele Personen leben in Ihrem Haushalt?
Michael Töngi: Ich habe in meinem Bauernhaus acht Jahre mit einer Familie in einer Wohngemeinschaft gelebt. In sieben kleinen Zimmern auf circa 140 Quadratmeter Wohnfläche. Als die Familie vor eineinhalb Jahren auszog, habe ich für mich eine Wohnung abtrennen lassen. Und im anderen Teil lebt erneut eine Familie. Ich habe jetzt etwa 55 Quadratmeter für mich.
Zwei Personen, zusammen über 160 Quadratmeter Wohnraum-Bedarf. Herr Vogt, kann es ohne Zersiedelungs-Stopp weitergehen?
Vogt: Das Hauptproblem der Initiative ist, dass sie so tut, als wären wir immer noch in den 60er- und 70er-Jahren, als in der Schweiz einfach drauflosgebaut wurde. Heute aber weiss jeder: Land ist ein begrenztes Gut, und man muss planen. Die Zweitwohnungs-Initiative und das Raumplanungsgesetz nahmen Korrekturen an diesen Fehlentwicklungen der Nachkriegszeit vor. Seit 2012 ist der Gesamtumfang der Bauzonen nicht mehr angestiegen.
Töngi: Wir Grünen wollen den Boden, der noch nicht eingezont ist, als Landwirtschaftsfläche erhalten. Die Schweiz hat vor mehr als 100 Jahren ihren Wald auf diese Weise geschützt, und jetzt sollten wir das mit unserem Kulturland machen. Der Stopp für Einzonungen im heutigen Raumplanungsgesetz läuft jetzt aus, und wir führen ihn mit der Initiative weiter.
Vogt: Der mit Abstand grösste Kulturlandvernichter ist die Zuwanderung. Und das ist ein riesiges Problem für die Linke! Sie kann aus ihrer ideologischen Fundamentalablehnung gegenüber einer restriktiven Migrationspolitik nicht ausbrechen, obschon die Zuwanderung in ökologischer Hinsicht unvernünftig ist. Migranten und Flüchtlinge sind für linke Politiker alles liebe Menschen, die an unserem Wohlstand teilhaben sollen. Aber wir, die schon da sind, sollen auf dem bestehenden Raum in immer engeren Verhältnissen leben. Wenn es nach den Grünen geht, dürfen wir am Schluss noch in Kaninchenställen hausen!
Töngi: Ich finde es happig, wenn Sie alle als Kaninchenzüchter darstellen, die sich für eine humanitäre Flüchtlingspolitik einsetzen. Und wenn Sie der Linken Unvernunft vorwerfen: Die SVP wettert gegen Migration und legt ihr selber den grössten Teppich aus. Denn die Wirtschaftsentwicklung, die ihr auf keine Art einschränken wollt, ist eindeutig der grösste Motor für die Zuwanderung. Migranten sind Arbeitskräfte und geholt werden sie mit Steuerdumping für Unternehmen vor allem von eurer Seite!
Vogt: Ich bin nicht gegen jede Zuwanderung. Aber ich will keine Einwanderung in Bereiche, wo hohe Arbeitslosigkeit herrscht. Und dass Menschen, die sich durch ihre Arbeit etwas leisten können, nicht auf 30 Quadratmetern leben wollen, müssen wir ihnen zugestehen. Die Schweiz ist noch nicht gebaut.
Töngi: Unsere Initiative bedeutet keinen Baustopp!
Vogt: Doch! Sie will eine Fehlentwicklung korrigieren wie das Raumplanungsgesetz auch. Das ist im Ansatz ja gut. Aber was macht die Initiative? Der Status quo wird fixiert, und man darf nun noch dort weiterbauen, wo schon Bauland eingezont ist. Das ist eine regulatorische Fehlleistung par excellence. Denn viel freies Bauland hat es vor allem auf dem Land. Diese Reserven gibt es, weil früher an gewissen Orten zu viel Bauland eingezont wurde. Und daraus schliesst man jetzt, dass man dort bauen soll – statt an Orten, wo es Sinn macht, in den Städten oder in gut erschlossenen Gebieten.
Auch die Stiftung Landschaftsschutz hält der Initiative vor, dass sie die Zersiedelung fördere statt stoppe. Töngi hält diesen Vorwurf für völlig falsch: «Mit dem Raumplanungsgesetz 1 gab der Bund den Kantonen den Auftrag, dass sie die überschüssigen Zonen auszonen müssen.» Diese Bereinigung stehe vor der Umsetzung der Initiative. Es gäbe dann gar keine Gemeinden und Kantone mehr, die viel zu grosse Bauzonen besässen. Die wenigen Reserven würden jedoch «eine unglaubliche Spekulation» auslösen, wie Vogt befürchtet, und die Preise in die Höhe jagen. Mieterlobbyist Töngi bringt das aber nicht aus der Ruhe: «Leider haben die Mieten in der Schweiz nicht viel mit den Anlagekosten der Vermieter zu tun, sonst wären sie in den letzten Jahren massiv gesunken.»
Uneins sind sich die beiden auch, wer die Bodenverteilung künftig vornehmen soll. So will die SVP die Raumplanung lieber ganz den Kantonen überlassen.
Herr Vogt, arbeitet die SVP eigentlich daraufhin, das Raumplanungsgesetz wieder auszuhebeln? Das wäre doch ein Rückschritt hinter die Korrekturen, die Sie rühmen?
Vogt: Es geht uns vor allem darum, dass man dem Bund nicht noch mehr Eingriffsmöglichkeiten gibt. Das Bevölkerungswachstum, die Bauwirtschaft und der Tourismus sind nicht in allen Kantonen gleich stark. Deshalb ist der Föderalismus wichtig.
Töngi: Die Zersiedelung ist das beste Zeichen, dass der Föderalismus in diesem Bereich nicht funktioniert! Ich war lange in der Gemeindepolitik tätig und musste realisieren: Die Gemeinden machen, was sie wollen. Jede will sogenannt gute Steuerzahler, Hüsli-Zonen, Gewerbegebiete. Viel zu unkoordiniert!
Vogt: Ich sehe den Föderalismus positiv: Leute, die vertraut sind mit den lokalen Bedürfnissen, entscheiden. Ich favorisiere dieses System gegenüber einer zentralen Gewalt, die glaubt, für jeden Einzelnen besser zu wissen, was für ihn gut ist. Es kann nicht sein, dass unser Land künftig wie der Ballenberg aussieht und die Grünen uns sagen, wie wir unser Leben zu führen haben!
Töngi: Herr Vogt, Sie tun, als ob der Staat bisher überhaupt nicht lenkt und nur wir Grünen lenken wollen. Wir streiten doch hier vor allem über die Richtung, in die wir das Siedlungswachstum lenken wollen. Denn was auch immer Sie gegen unsere Initiative vorbringen: Sie wissen wie ich, dass sie einen Nerv sehr vieler Schweizer trifft!
So sind sich Töngi und Vogt zum Schluss einig: Aus Liebe zur Schweiz sind Korrekturen an der Raumplanung nötig. «Vielleicht sieht man es in 50 Jahren nochmals anders», sagt Töngi, nun wieder zu Hause auf dem Unterstrick. Die Nutzung seines Holzhauses hat sich über die Jahrhunderte stets verändert. Es war nie ein «Idyll» und ist es auch heute nicht. Es sei denn für die drei Hühner und die zwei Büsi auf dem Hof.
Am 10. Februar entscheidet das Stimmvolk an der Urne über die Zersiedelungs-Initiative der Jungen Grünen. Diese verlangt einen Einzonungsstopp. Das heisst: Die Gesamtmenge der heutigen Baulandreserven darf nicht weiter wachsen – neues Bauland kann nur eingezont werden, wenn andernorts entsprechend ausgezont wird.
Die erste SRG-Trendumfrage vom Dezember weist mit 63 Prozent Ja und 29 Prozent Nein einen deutlichen Vorsprung der Befürworter auf.
Die Jungen Grünen haben die Initiative im Oktober 2016 mit 135'000 Unterschriften eingereicht. Grüne, Juso, Alpeninitiative und weitere Jungparteien und Organisationen unterstützen das Volksbegehren. Das Parlament empfiehlt die Initiative wie auch der Bundesrat ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung.
Am 10. Februar entscheidet das Stimmvolk an der Urne über die Zersiedelungs-Initiative der Jungen Grünen. Diese verlangt einen Einzonungsstopp. Das heisst: Die Gesamtmenge der heutigen Baulandreserven darf nicht weiter wachsen – neues Bauland kann nur eingezont werden, wenn andernorts entsprechend ausgezont wird.
Die erste SRG-Trendumfrage vom Dezember weist mit 63 Prozent Ja und 29 Prozent Nein einen deutlichen Vorsprung der Befürworter auf.
Die Jungen Grünen haben die Initiative im Oktober 2016 mit 135'000 Unterschriften eingereicht. Grüne, Juso, Alpeninitiative und weitere Jungparteien und Organisationen unterstützen das Volksbegehren. Das Parlament empfiehlt die Initiative wie auch der Bundesrat ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung.