Historiker Urs Altermatt über Bundesrats-Poker
«Mitte muss sowieso gegen SVP antreten»

Im Interview mit BLICK gibt der Zauberformel-Experte und Historiker Urs Altermatt (73) Auskunft über den Bundesrats-Poker und eine allfällige Allianz der Mitte.
Publiziert: 20.10.2015 um 22:16 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 02:36 Uhr
Foto: BLICK
Interview: Hannes Britsch

BLICK: Urs Altermatt, braucht es eine neue Zauberformel?
Urs Altermatt:
Die Zauberformel von damals ist tot. Durch die Abwahl von Bundesrätin Ruth Metzler 2003 ist sie begraben worden. Das war auch ein Tabubruch der Konkordanz. Einen Bundesrat wählt man nicht ab. Das war ein wesentlicher Teil der Zauberformel. Darauf folgte 2007 die Abwahl von Christoph Blocher. Die beiden Ereignisse muss man im Zusammen­hang sehen. Wir sind immer noch in einer Übergangsphase. Einzige Kon­stante: Der siebte Sitz ist umstritten.

Wie lautete die alte Formel?
Zwei, zwei, zwei, eins – eben nach den damaligen Sitzverhältnissen der Vereinigten Bundesversammlung. Nicht die Parteistärken waren 1959 entscheidend, sondern die Sitzverteilung beider Räte.

Die Freisinnigen mussten damals Macht abgeben.
Sie mussten Federn lassen und erhielten noch zwei Sitze im Bundesrat. Dann zwei Christdemokraten, die haben einen abgegeben. Zwei erhielten die Sozialdemokraten. Allerdings kam es beim zweiten Sitz zur Kampfwahl. Und dann ging ein Sitz an die SVP, die damalige BGB.

Am 9. Dezember wählen der National- und Ständerat den Bundesrat. Für Eveline Widmer-Schlumpf wirds eng.
Enger als 2011! Im Nationalrat hat es zwar keinen Rechtsrutsch gegeben, sondern nur eine Rechtskurve. Als Referenz­grösse muss man das Jahr 2007 nehmen. Damals hatte die SVP 62 Sitze im Nationalrat. Jetzt hat sie 65. Das Pendel hat zurückgeschlagen. Aber es ist kein Erdrutsch. Im Ständerat sind die Verhältnisse einigermassen stabil.

SVP und FDP haben zusammen in der Ver­einigten Bundesversammlung keine absolute Mehrheit, aber sie sind nahe dran.Bei Kampfwahlen um einen Bundesratssitz waren die Mehrheitsverhältnisse in den vergangenen Jahren immer ganz eng. Da kommt es auf jede einzelne Stimme an. SVP und SP haben in der Regel als geschlossene Blöcke gewählt. Die Freisinnigen und Christdemokraten aber hatten stets Abweichler gehabt.

BLICK hat erste Stimmen der Mitte genannt, die die Finanzministerin nicht mehr wählen wollen.
Umgekehrt kenne ich FDPler, die Widmer-Schlumpf wählten. Und es wird natürlich nie so viel gelogen wie kurz vor den Bundesratswahlen.

Soll Eveline Widmer-Schlumpf nochmals antreten?
Ich will der Bundesrätin keine Ratschläge erteilen.

Was macht sie?
Es sieht ganz so aus, als dass sie abwartet. Wenn sie diese Woche nicht demissioniert, wartet sie offensichtlich ab. Dann will sie das mit ihrer BDP absprechen. Es scheint im Moment, dass die Allianz der Mitte forciert wird.

In den letzten vier Jahren war das keine Allianz. Zuletzt gab die BDP der CVP einen Korb.
Die BDP realisiert: Wenn sie sich jetzt nicht bewegt, ist das der Anfang vom Ende als Bundesratspartei. Dann werden die acht Jahre Widmer-Schlumpf ein Zwischenspiel bleiben auf dem Weg der SVP zu zwei Sitzen.

Und wenn sich CVP und BDP tatsächlich finden?
Dann ändert sich die Ausgangslage. Dann stellt sich schnell die Frage: Wird das eine neue Partei mit einem neuen Namen? Das könnte zu einer neuen Zauberformel führen: zwei Sitze SVP, zwei SP, zwei Zentrumspartei und einer FDP.

Die beiden müssten aber schnell vorwärts machen.
Die BDP müsste zwingend an der Delegiertenversammlung vom 31. Oktober den Entscheid verabschieden, dass sie mit der CVP eine Union eingehen will. Das Palaver-Stadium müsste ein Ende haben.

Und wenn Eveline Widmer- Schlumpf zurücktritt?
Dann geht sie als Bundesrätin in die Annalen ein, die von der SVP zuerst verstossen und schliesslich zum Rücktritt genötigt wurde. Das wäre ein Tolggen im Reinheft.

Was macht sie?
Das hängt von ihrer Persönlichkeit ab. Ich vermute, sie ist eine sehr berechnende Person, die einen Machtpoker durchstehen kann.

Sie trauen ihr einen zweiten Härtetest zu?
Der 31. Oktober ist der entscheidende Punkt: Wenn die BDP einen klaren Zusammenhang zwischen der Wiederwahl von Widmer-Schlumpf und dem Bekenntnis zur Union mit der CVP herstellt, geht die Bündnerin als Bundesrätin in die Geschichte ein, die die Parteienlandschaft verändert hat!

Tritt Widmer-Schlumpf zurück – was dann?
Auch dann muss die Mitte gegen die SVP antreten, wenn sie ihre neue Union ernst meint und deren zwei Sitze sichern will.

Eine Mitte-Kandidatur – mit oder ohne Widmer-Schlumpf – hats am 9. Dezember schwer.
Klar, die SVP hat arithmetisch Anspruch auf zwei Sitze. Aber machen wir uns nichts vor: Beim nächsten Rücktritt eines Freisinnigen stehen wir vor denselben Fragen – einfach mit anderen Vorzeichen.

Warum?
Selbst wenn die SVP ihren zweiten Sitz holt, befinden wir uns nach wie vor in einer Übergangsphase. Solange die Europa-Frage nicht geklärt ist, gibt es keine Beruhigung.

Muss der SVP-Kandidat ein konzilianter sein, oder geht auch die stramme Variante?
Solange wir eine Kollegialitätsregierung haben, braucht es konsensorientierte Politiker.

Roger Köppel?
Das ist eher Polit-Geschwätz. Er kennt seine Grenzen und auch seine Rolle im kommenden Kampf gegen die EU mit allem Drumherum. Als Bundesrat wäre er zu fest eingebunden.

Wie entscheidend wäre ein zweiter SVP-Bundesrat fürs Regieren?
Die Kommentatoren haben in den letzten Tagen eine grosse Illusion über Blöcke im Bundesrat herbeigeschrieben. Mit dem Eintritt in die Regierung werden alle gemässigter. Man will keine Parteisoldaten im Bundesrat, sondern Landesväter und Landesmütter, die wechselnde Allianzen bilden.

Brachten die Wahlen die «Rückkehr zur Normalität» oder zur «traditionellen Ordnung»?
Nein, die Unordnung hält an, selbst wenn zwei SVP-Bundesräte gewählt werden.

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