Historiker Philipp Sarasin teilt aus
«Wir leisten uns Staatsbauern»

Der Historiker Philipp Sarasin kritisiert das Powerplay der Bauern-Lobby scharf. Die Landwirte wehren sich.
Publiziert: 15.05.2016 um 13:17 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 00:59 Uhr
Simon Marti und Marcel Odermatt

Die Bauland-Affäre um Bundesrat Guy Parmelin (56, SVP) bewegt die Schweiz. Landauf landab wird über das Muskelspiel der bäuerlichen Lobby im Bundeshaus spekuliert – und gefragt, ob die Bauern das Fuder mit ihrer jüngsten Offensive nicht doch überladen haben.

Selbst an den Universitäten zerbrechen sich die klugen Geister ihre Köpfe: Philipp Sarasin, Professor für Geschichte in Zürich, nahm den magistralen Ego-Trip zum Anlass, um mit mit spitzer Feder auf seinem Blog die Kraftentfaltung der Bauern in der Schweiz zu sezieren. SonntagsBlick traf den Historiker in seinem Büro zum Gespräch. «Wir leisten uns Staatsbauern. Genauso leisten wir uns Opernhäuser oder Museen», sagt Sarasin.

Zwar weise die Schweiz einen hundertprozentigen Versorgungsgrad bei Fleisch und Milch, aber nur dank horrenden Zollschranken. Niemand könne daher sagen, die Bauern seien Unternehmer in einem freien Markt. In einem solchen hätten Schweizer Landwirtschaftsprodukte kaum eine Chance. «Es kann doch nicht sein, dass Fleisch, von gleicher Qualität, in Deutschland dreimal weniger kostet als in der Schweiz.»

Historiker Philipp Sarasin (59): «Wir leisten uns Staatsbauern. Genauso leisten wir uns Opernhäuser oder Museen.»
Foto: Sobli

Er sei ja selber Staatsangestellter, sagt Sarasin und stellt die Unterstützung der Landwirtschaft auch nicht grundsätzlich in Frage. Er hält aber fest: «Die Landwirtschaft erbringt eine Wertschöpfung im Umfang von 4,3 Milliarden Franken – und erhalten an 3,7 Milliarden Franken Subventionen.»

Diese Subventionen sollten aber die Landschaftspflege finanzieren und nicht die Bauern, beklagt Sarasin. Der sorgfältige Umgang mit der Landschaft in der Tat  wichtig, «aber niemand stellt die Frage, wie viele Bauern wir dafür eigentlich brauchen. Oder ob wir wirklich anderthalb Millionen Kühe benötigen.»

Zumal es gerade mit dem Landschaftsschutz nicht zum Besten stehe: «Was wir aber in vielen Kantonen sehen, ist eine Zersiedelung, ein Weder-Noch». Und die Steuerbefreiung beim Verkauf von Grundstücken fördere eben diese Entwicklung noch zusätzlich, so Sarasin.

Allianz zwischen Bauern und Bürgerlichen

Die Bauern sind eine politische Kraft, der es wie kaum einer anderen Gruppe in Bundesbern gelingt, ihre Interessen durchzusetzen. Die Macht dieses Berufsstands reicht weit zurück. Das Selbstverständnis als ein «Volk von Bauern» steckt tief drin in der Schweizer Identität. Ein Mythos zwar, in einer der modernsten Volkswirtschaften. Aber ein wirkungsmächtiger. Bis heute. Weil sich die Landwirte geschickt positionierten.

«Im Landesstreik von 1918 entstand das Bündnis zwischen den Bürgerlichen und Bauern gegen die Linke. Es waren Bauerntruppen, die gegen die Streikenden aufmarschierten», sagt Sarasin . Die Bauern seien «konservativ politisiert worden» und dienten fortan als Identitätsstifter für die ganze Nation.

«Da wurde der Bauer zur politischen Figur aufgebaut. Die Allianz mit den Bürgerlichen hält bis heute, wie die Absprache bei der Unternehmenssteuerreform III zeigt. Die Bürgerlichen halfen den Bauern – und umgekehrt», so Sarasin. Die Bauern würden immer wieder für politische Bündnisse gebraucht, also würden sie von der rechten Mehrheit geschützt, so der Historiker.

BDP-Nationalrat und Bauer Duri Campell widerspricht 

Bauernvertreter wehren sich gegen Sarasins Vorwurf. Allen voran Duri Campell (53), BDP-Nationalrat und Bündner Bergbauer. Ihm stösst vor allem die Bezeichnung «Staatsbauern» sauer auf.  «Ein Landwirt im Flachland erhält zwischen zehn und 20 Prozent seines Einkommens aus Direktzahlungen, bei den Bergbauern sind es zwischen 40 und 60 Prozent», kontert Campell. Den Rest ihres Einkommens würden die Bauern sehr wohl als freie Unternehmer erwirtschaften. «Deshalb kann doch keine Rede davon sein, dass wir Staatsbauern sind!» Das sei schon fast eine Beleidigung, empört sich der Bündner.

BDP-Nationalrat und Bergbauer Duri Campell (53): «Ins Opernhaus geht man, um eine Aufführung zu geniessen, das ist nicht vergleichbar mit der täglichen Landwirtschaftsarbeit.»
Foto: fotoswiss.com/cattaneo

Campell kritisiert weiter, dass Sarasin Landwirte mit städtischen Kulturstätten gleichsetzt: «Ins Opernhaus geht man, um eine Aufführung zu geniessen, das ist nicht vergleichbar mit der täglichen Landwirtschaftsarbeit.» Die Wirkung der Bauern sei eine ganz andre: Wir erhalten die Landschaft und die Erholungsgebiete und produzieren vor allem Nahrung.»

Doch auch Campell räumt ein, dass die Bauern in Bern eine Sonderstellung innehaben.

«Es stimmt, wir können unsere Interessen in Bern gut durchsetzen.» Die Bauern würden sicher davon profitieren, dass sich in der Schweiz immer noch viele Menschen mit der Landwirtschaft identifizierten. «Das ist auch der Grund, weshalb die Bauern immer noch gut im Bundeshaus vertreten werden.»

Möglicherweise aber markiert die Bauland-Affäre von Bundesrat Parmelin eine Zäsur. Zumindest die steuerliche Befreiung beim Verkauf von Bauland hat im Bundeshaus einen schweren Stand: Im Ständerat formiert sich der Widerstand. Die Vorlage, vor wenigen Wochen noch im Nationalrat angenommen, steht im Stöckli vor dem Aus.

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