Historiker kritisiert «Vergewaltigung der Quelle» im Parteiprogramm
Verwechselt SVP den Bundesbrief mit Schillers Tell?

Das neue Parteiprogramm der SVP beginnt mit den Worten: «Wir wollen frei sein, wie die Väter waren.» Das sei die Botschaft des Bundesbriefs. Dumm nur, dass das Zitat nicht aus dem Bundesbrief, sondern aus Schillers «Wilhelm Tell» stammt.
Publiziert: 09.04.2019 um 17:36 Uhr
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Aktualisiert: 09.04.2019 um 17:37 Uhr
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Die SVP leitet ihr Parteiprogramm mit diesen Worten ein: «‹Wir wollen frei sein, wie die Väter waren.› Die Botschaft des Bundesbriefs von 1291 gilt für die Schweiz noch heute.»
Foto: Screenshot BLICK
Joel Probst

«Wir wollen frei sein, wie die Väter waren.» Mit diesem Zitat leitet die SVP ihr druckfrisches Parteiprogramm ein (hier downloaden). Diese Botschaft des Bundesbriefes von 1291 gelte für die Schweiz auch heute noch, schreibt die Partei weiter. Nur gibt es da ein kleines Problem: Das Zitat stammt nämlich keineswegs aus dem Bundesbrief, sondern aus Friedrich Schillers Drama «Wilhelm Tell»!

In den sozialen Medien spottet man über das vermeintliche Missgeschick. Der grüne Fraktionschef Balthasar Glättli (47) etwa twitterte unter dem Hashtag #FakeTradition: «Eine Partei, die in ihrem Parteiprogramm im allerersten pathetischen Anfang das Drama Wilhelm Tell (1804) des deutschen Dichters Friedrich Schiller mit dem Bundesbrief verwechselt, sollte vielleicht aufhören, sich als Hüterin der Schweizer Tradition aufzuspielen.»

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Gegenüber BLICK kritisiert er die SVP scharf: «Der erste Satz im Parteiprogramm zeigt, dass es die SVP mit den Fakten weniger genau nimmt als mit den Mythen. Statt dass sich die SVP in ihrer Argumentation auf die Geschichtsschreibung stützt, erträumt sie sich eine Schweiz, die es nie gegeben hat. Besonders ironisch ist, dass die SVP dafür ein Theater eines deutschen Dichters hinzuzieht.»

«Vergewaltigung der Quelle»

Auch der Historiker Roman Sigg enerviert sich über den ersten Satz des SVP-Parteiprogramms: «Die SVP missbraucht und instrumentalisiert den Bundesbrief! Dieses Zitat hat nichts mit dem Bundesbrief zu tun.»

Die Verwendung des Schiller-Zitats sei historisch unredlich, sagt der Stadtarchivar von Stein am Rhein SH zu BLICK: «Das ist eine Vergewaltigung der Quelle!» Denn auch den Inhalt des Bundesbriefs spiegle das Schiller-Zitat nicht wider, ganz im Gegenteil: «Im Bundesbrief ist nicht von Freiheit die Rede, vielmehr weist dieser die Bundesgenossen an, ihrer Herrschaft zu dienen.» Trotzdem interpretiere die SVP den Bundesbrief um, nur damit dieser ihrer Freiheitsideologie entspreche.

Kritik lässt SVP kalt

Die Kritik lässt die SVP kalt: «Selbstverständlich stammt ‹Wir wollen frei sein, wie die Väter waren› aus dem Theaterstück ‹Wilhelm Tell›», sagt Peter Keller (47), Historiker, Nationalrat und Programmchef der SVP, auf Anfrage. Dass das Parteiprogramm impliziere, dieses Zitat stamme aus dem Bundesbrief, bestreitet er.

Den Vorwurf, die SVP reisse den Bundesbrief aus dem Kontext und missbrauche ihn für eigene Zwecke, weist Keller zurück: Das Theaterstück «Wilhelm Tell» basiere auf dem Weissen Buch von Sarnen, sagt er. Zwar fänden sich in der Schrift auch mythische Erzählungen, gibt Keller zu, ebenso sei jedoch eine Version des Bundesbriefs darin enthalten.

Und diese, daran hält Keller fest, propagiere die Freiheit der Schweizer. Dass sich die SVP in ihrer Hymne auf die Freiheit der Schweizer auf einen deutschen Dichter beruft, stört Keller derweil nicht: Der Wunsch nach Freiheit sei schliesslich universal.

Der Bundesbrief von 1291 – Deutsche Übersetzung

Der Bundesbrief von 1291 – Deutsche Übersetzung In Gottes Namen. Amen. Das öffentliche Ansehen und Wohl erfordert, dass Friedensordnungen dauernde Geltung gegeben werde.

Darum haben alle Leute der Talschaft Uri, die Gesamtheit des Tales Schwyz und die Gemeinde der Leute der untern Talschaft von Unterwalden im Hinblick auf die Arglist der Zeit zu ihrem besseren Schutz und zu ihrer Erhaltung einander Beistand, Rat und Förderung mit Leib und Gut innerhalb ihrer Täler und ausserhalb nach ihrem ganzen Vermögen zugesagt gegen alle und jeden, die ihnen oder jemand aus ihnen Gewalt oder Unrecht an Leib oder Gut antun.

Und auf jeden Fall hat jede Gemeinde der andern Beistand auf eigene Kosten zur Abwehr und Vergeltung von böswilligem Angriff und Unrecht eidlich gelobt in Erneuerung des alten, eidlich bekräftigten Bundes, jedoch in der Weise, dass jeder nach seinem Stand seinem Herren geziemend dienen soll.

Wir haben auch einhellig gelobt und festgesetzt, dass wir in den Tälern durchaus keinen Richter, der das Amt irgendwie um Geld oder Geldeswert erworben hat oder nicht unser Einwohner oder Landsmann ist, annehmen sollen.

Entsteht Streit unter Eidgenossen, so sollen die Einsichtigsten unter ihnen vermitteln und dem Teil, der den Spruch zurückweist, die anderen entgegentreten.

Vor allem ist bestimmt, dass, wer einen andern böswillig, ohne Schuld, tötet, wenn er nicht seine Unschuld erweisen kann, darum sein Leben verlieren soll und, falls er entwichen ist, niemals zurückkehren darf. Wer ihn aufnimmt und schützt, ist aus dem Land zu verweisen, bis ihn die Eidgenossen zurückrufen.

Schädigt einer einen Eidgenossen durch Brand, so darf er nimmermehr als Landmann geachtet werden, und wer ihn in den Tälern hegt und schützt, ist dem Geschädigten ersatzpflichtig.

Wer einen der Eidgenossen beraubt oder irgendwie schädigt, dessen Gut in den Tälern soll für den Schadenersatz haften.

Niemand soll einen andern, ausser einen anerkannten Schuldner oder Bürgen, pfänden und auch dann nur mit Erlaubnis seines Richters.

Im Übrigen soll jeder seinem Richter gehorchen und, wo nötig, den Richter im Tal, vor dem er zu antworten hat, bezeichnen.

Gehorcht einer dem Gericht nicht und es kommt ein Eidgenosse dadurch zu Schaden, so haben alle andern jenen zur Genugtuung anzuhalten.

Entsteht Krieg oder Zwietracht zwischen Eidgenossen und will ein Teil sich dem Rechtsspruch oder der Gutmachung entziehen, so sind die Eidgenossen gehalten, den andern zu schützen.

Diese Ordnungen sollen, so Gott will, dauernden Bestand haben. Zu Urkund dessen ist auf Verlangen der Vorgenannten diese Urkunde gefertigt und mit den Siegeln der drei vorgenannten Gemeinden und Täler bekräftigt worden. Geschehen im Jahre des Herrn 1291 zu Anfang des Monats August.

Quelle: admin.ch

Der Bundesbrief von 1291 – Deutsche Übersetzung In Gottes Namen. Amen. Das öffentliche Ansehen und Wohl erfordert, dass Friedensordnungen dauernde Geltung gegeben werde.

Darum haben alle Leute der Talschaft Uri, die Gesamtheit des Tales Schwyz und die Gemeinde der Leute der untern Talschaft von Unterwalden im Hinblick auf die Arglist der Zeit zu ihrem besseren Schutz und zu ihrer Erhaltung einander Beistand, Rat und Förderung mit Leib und Gut innerhalb ihrer Täler und ausserhalb nach ihrem ganzen Vermögen zugesagt gegen alle und jeden, die ihnen oder jemand aus ihnen Gewalt oder Unrecht an Leib oder Gut antun.

Und auf jeden Fall hat jede Gemeinde der andern Beistand auf eigene Kosten zur Abwehr und Vergeltung von böswilligem Angriff und Unrecht eidlich gelobt in Erneuerung des alten, eidlich bekräftigten Bundes, jedoch in der Weise, dass jeder nach seinem Stand seinem Herren geziemend dienen soll.

Wir haben auch einhellig gelobt und festgesetzt, dass wir in den Tälern durchaus keinen Richter, der das Amt irgendwie um Geld oder Geldeswert erworben hat oder nicht unser Einwohner oder Landsmann ist, annehmen sollen.

Entsteht Streit unter Eidgenossen, so sollen die Einsichtigsten unter ihnen vermitteln und dem Teil, der den Spruch zurückweist, die anderen entgegentreten.

Vor allem ist bestimmt, dass, wer einen andern böswillig, ohne Schuld, tötet, wenn er nicht seine Unschuld erweisen kann, darum sein Leben verlieren soll und, falls er entwichen ist, niemals zurückkehren darf. Wer ihn aufnimmt und schützt, ist aus dem Land zu verweisen, bis ihn die Eidgenossen zurückrufen.

Schädigt einer einen Eidgenossen durch Brand, so darf er nimmermehr als Landmann geachtet werden, und wer ihn in den Tälern hegt und schützt, ist dem Geschädigten ersatzpflichtig.

Wer einen der Eidgenossen beraubt oder irgendwie schädigt, dessen Gut in den Tälern soll für den Schadenersatz haften.

Niemand soll einen andern, ausser einen anerkannten Schuldner oder Bürgen, pfänden und auch dann nur mit Erlaubnis seines Richters.

Im Übrigen soll jeder seinem Richter gehorchen und, wo nötig, den Richter im Tal, vor dem er zu antworten hat, bezeichnen.

Gehorcht einer dem Gericht nicht und es kommt ein Eidgenosse dadurch zu Schaden, so haben alle andern jenen zur Genugtuung anzuhalten.

Entsteht Krieg oder Zwietracht zwischen Eidgenossen und will ein Teil sich dem Rechtsspruch oder der Gutmachung entziehen, so sind die Eidgenossen gehalten, den andern zu schützen.

Diese Ordnungen sollen, so Gott will, dauernden Bestand haben. Zu Urkund dessen ist auf Verlangen der Vorgenannten diese Urkunde gefertigt und mit den Siegeln der drei vorgenannten Gemeinden und Täler bekräftigt worden. Geschehen im Jahre des Herrn 1291 zu Anfang des Monats August.

Quelle: admin.ch

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