Ausgerechnet heute treffen sich die Minister der Efta-Staaten – drei Tage nach dem EU-Austritts-Entscheid der Briten. Die Terminwahl ist zufällig. Diese Treffen der Efta, der europäischen Freihandelsorganisation, finden jeweils im Juni und im November statt.
Doch heute wird die Atmosphäre ganz anders sein. Denn mit dem Brexit gewinnt die Organisation, die englisch «European Free Trade Association» oder abgekürzt eben Efta heisst, urplötzlich wieder an Bedeutung.
Ziel der Organisation war es immer, Wachstum und Wohlstand ihrer Mitgliedstaaten sowie den Handel und die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu fördern. Heute gehören der Efta nur noch Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz an.
Comeback der Briten in der Efta?
Bei nur gerade vier Mitgliedsländern bleiben die Ministertreffen geradezu familiär. Die Schweiz vertritt meist Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann.
Ironie der Geschichte: Grossbritannien war ursprünglich eine zentrale Treiberin, als die Efta in den 60er-Jahren zum Gegengewicht zur EU-Vorläuferorganisation EWG aufgebaut werden sollte. Doch ausgerechnet mit dem Übertritt der Briten 1973 zur EU verlor die Efta am meisten an Bedeutung.
Politiker, Wirtschaftsleute und Experten gehen davon aus, dass sich die Briten nun möglichst rasch wieder der Efta anschliessen wollen. Diese Option brachte Bundespräsident Johann Schneider-Ammann schon am Freitag in seiner ersten Reaktion auf das Abstimmungsresultat im Vereinigten Königreich ins Spiel.
Auch der Zürcher FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann erklärt dem «SonntagsBlick», ein erneuter Beitritt der Briten sei denkbar. Gegenüber dem Sonntagsblatt spricht der Basler Wirtschaftsprofessor Rolf Weder sogar schon von einer «Efta 2.0». Eine Idee, mit der auch Banker Konrad Hummler in der «Schweiz am Sonntag» sympathisiert. Und für EU-Experte Thomas Schäubli von Wellershof und Partners steht jetzt fest: «Die Schweiz muss schnell entscheiden, was sie von einem Efta-Beitritt von Grossbritannien hält.»
Schweiz müsste Efta-Beitritt zustimmen
Doch wäre ein Wiedereintritt in die Organisation überhaupt möglich? Ja, sagt Efta-Spezialist Christian Frommelt, der am Liechtenstein-Institut forscht. Bedingung wäre einzig, dass alle Mitgliedstaaten der Aufnahme zustimmten. Wir hätten es also in der Hand, ob die Briten aufgenommen würden.
Aus Sicht von Frommelt gibt es durchaus Argumente für die Efta-Option: «London muss mit allen Handelspartnern, mit denen Grossbritannien als EU-Mitglied geregelte Beziehungen hatte, neue Verträge aushandeln.» Das sei äusserst aufwendig – und kaum innerhalb der bei einem EU-Austritt vorgesehenen Zweijahresfrist zu schaffen. Frommelt: «Am einfachsten und schnellsten erhält Grossbritannien ein Freihandelsnetz, wenn es sich einem bestehenden Vertragswerk anschliesst.» Und genau das biete die Efta.
Aber selbst die Einigung mit den Efta-Staaten bleibe aufgrund des Zeitdrucks ambitioniert – trotz geregelten Verfahrens: «Grossbritannien ist im Vergleich zu den bisherigen Mitgliedern viel grösser und auch geostrategisch anders positioniert – das würde sowohl die Verhandlungen innerhalb der Efta als auch mit potenziellen Freihandelspartnern komplizierter machen», erklärt der Liechtensteiner.
Beitritt der Briten könnte Homogenität gefährden
Laut Frommelt ist es aber die Ausgewogenheit und Homogenität der Mitgliedstaaten, die den Zustand des Staatenbundes ausmacht: «Es sind kleine Staaten mit spezifischen Interessen, die sich mit der Konvention bisher sehr gut eingerichtet haben.»
Man könne sich deshalb gut vorstellen, dass ein Wiedereintritt der Briten nicht im Interesse der bisherigen Mitglieder sei. Zur Erinnerung: Gerade Norwegen und Grossbritannien waren in der Vergangenheit, wenn es beispielsweise um die Fischerei ging, mehr Konkurrenten als Partner.
Via Efta zum EWR?
Eine weitere Variante bringt Card Baudenbacher, der Präsident des Efta-Gerichtshofs, in spielt. Treten die Briten der Efta bei, könnte diese mit der EU einen erweiterten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) mit Mitbestimmungsrechten aushandeln. Der EWR böte der britischen Wirtschaft den freien Zugang zum EU-Binnenmarkt ohne politische Integration, sagte Baudenbacher in einem Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung». Gleichzeitig gewännen die Briten ihre Souveränität bei den sogenannt gemeinsamen Politiken (Landwirtschaft, Fischerei, Aussenhandel usw.) zurück.
Auf die Frage, ob ein EWR mit Mitbestimmungsrechten für die Nicht-EU-Mitglieder mehr sei als eine Träumerei, sagte Baudenbacher, ein Staat von der Grösse Grossbritanniens würde auf einem – wie auch immer gearteten – Mitbestimmungsrecht bestehen. Wenn die Briten das aushandeln könnten, so würden auch die Norweger, Isländer und Liechtensteiner profitieren. «Und für die Schweiz wäre der Weg in den EWR frei.»
Im Idealfall würden alle Efta-Staaten dem EWR-Abkommen beitreten. Das EWR-Abkommen funktioniere gut. Es sichere den Zugang zum Binnenmarkt, verleihe den Bürgern und Unternehmen Klagerechte und gewährleiste die Rechtssicherheit. «Unsere Banken und Versicherungen kommen im sektoriellen Bilateralismus weder in den Genuss der Dienstleistungsfreiheit noch in jenen der Niederlassungsfreiheit. Das würde ein EWR-Beitritt korrigieren.»
Auf die Frage, wie sich die Schweiz nach dem Brexit aussenpolitisch verhalten solle, sagte Baudenbacher: «Die Schweiz könnte darauf hinwirken, dass die Efta Grossbritannien zum Beitritt einlädt und anschliessend zusammen mit Grossbritannien EWR-Mitglied werden.»
Heute Nachmittag will sich die Efta zum Brexit äussern.