Herr Schellenberg, seit dem Crash vor zehn Tagen fehlen der Luftwaffe zwei einsatzfähige Tiger F-5. Wie gross ist der Verlust?
Wir hätten schon gern 26 einsatzbereite Tiger. Das bedeutet, dass wir einen der 28 stillgelegten Tiger wieder flugbereit machen und den bei der Kollision havarierten Flieger reparieren möchten. Ob sich das lohnt ist allerdings noch nicht sicher.
Wie viele Tiger sind denn jetzt effektiv flugbereit?
Genügend für den WK hier in Meiringen. Es ist nie die ganze Flotte flugbereit. Bis zur Hälfte der Jets sind immer im Unterhalt oder im Service.
Ein F/A-18 stürzte letzten Oktober ab. Wie viele der 31 übrigen sind flugbereit? Vor einem Jahr sollen es ja nur noch zwei oder drei gewesen sein.
Das war vor einem Jahr eine Fehlinterpretation der Tatsachen, und stimmt heute auch nicht. Wir haben durchschnittlich zwischen 12 und 16 F/A-18 für den Flugbetrieb parat. Weitere Flieger sind bei der Luftwaffe in Reparatur, für Eingriffe, die zwischen einer halben Stunde und einem halben Tag dauern. Zehn FA-18 sind bei der Ruag für den grossen Unterhalt.
Sie sagten, die Patrouille Suisse fliege, solange der Tiger fliegt. Das ist maximal bis 2025. Und dann?
Wenn wir ohne Tiger nur noch eine Flotte von 31 F/A-18 haben, werden wir damit keine Patrouille Suisse mit Kampfjets mehr betreiben können. Wir hätten schlichtweg zu wenig Flugzeuge.
Dann steht die Patrouille Suisse doch vor dem Ende?
Eine Patrouille Suisse mit Kampfjets kann ich mir nur vorstellen, wenn wir bis dahin zusätzliche neue Kampfflugzeuge erhalten. Aber die brauchts ja sowieso, wenn die Schweiz weiterhin eine Luftwaffe haben will.
Für die Flugshow in Meiringen flogen französische Rafale, amerikanische F-16 und Eurofighter an. Welchen hätten Sie denn gerne, nach dem Nein zum Gripen?
Ich hätte gern das Flugzeug, das wir von der Politik und dem Schweizer Volk erhalten. Wir müssen aufpassen, dass die Schweizer Luftwaffe 2025 noch existiert.
Wie das?
Der Tiger wird definitiv am Ende seiner Lebenszeit sein, und bis dahin hat auch der F/A-18 sein Maximum an Flugstunden erreicht.
Ohne neues Kampfflugzeug ab 2025 hätte die Schweiz keine Luftwaffe mehr?
Ja. Das ist die ganz klar absehbare strategische Lücke.
Aber Sie wollen doch auch die Lebensdauer der F/A-18-Flotte um vier bis fünf Jahre bis etwa 2030 verlängern. Das würde das Problem doch entschärfen.
Nur verschieben. Wenn wir keine neuen Jets kriegen, findet das Grounding einfach später statt. Auch wenn wir die F/A-18 länger betreiben können. Das dafür nötige Strukturverstärkungsprogramm für eine halbe Milliarde Franken ist übrigens noch nicht bewilligt.
Wozu braucht denn die kleine Schweiz überhaupt eine Luftwaffe?
Wenn man Sicherheit im Luftraum und eine Armee haben will, die Land und Leute verteidigen kann, muss man über die Luftherrschaft verfügen. Sonst sind die Soldaten am Boden ohne Schutz aus der Luft.
Reicht die Zeit überhaupt noch, bis 2025 einen neuen Kampfflieger zu bekommen? Eine Expertengruppe ist erst mit Vorbereitungen befasst.
Es wird sicher sehr eng mit den Lieferzeiten. Wenn wir 2017 dem Parlament einen Kredit zur Beschaffungsvorbereitung eines neuen Kampfflugzeuges unterbreiten, 2020 der Typenentscheid fällt und 2022 das Parlament die Beschaffung bewilligt, würden 2025 die ersten Flugzeuge geliefert. Von der Bestellung bis zur Auslieferung muss man mit drei Jahren rechnen.
Brauchts überhaupt eine neue Evaluation? Es sind ja keine anderen Flugzeuge auf dem Markt als damals, als die Wahl auf den Gripen fiel.
Schon die letzte Evaluation hat gezeigt, dass alle in Frage kommenden westlichen Kampfflugzeuge unsere operationellen Bedürfnisse erfüllen. Am Schluss kommts aufs Preis-Leistungs-Verhältnis an, was wir uns in der Anschaffung und im Betrieb leisten können. Man entschied, der Gripen sei das optimale Flugzeug für die Schweiz. Ein hervorragendes Kampfflugzeug, wie die anderen auch.
Ihnen ist egal, welches Kampfflugzeug beschafft wird?
Ja, wichtig ist, dass wir einen neuen Kampfjet bekommen.
Reichen wirklich 55 Jets, wie der Bundesrat schreibt?
55 reichen für den Luftpolizeidienst bei erhöhter Bedrohung mit permanent zwei bis vier Jets in der Luft während mehrerer Wochen. Kämen effektive Verteidigungsaufgaben dazu, sind rund 70 nötig.
Noch Anfang der 1990er Jahre hatte die Schweiz noch rund 600 Kampfflugzeuge, elfmal mehr.
Die heutigen Flugzeuge sind auch elfmal besser. (lacht) Die Luftwaffe hat wesentliche Fähigkeiten aufgegeben. Wir sind nicht mehr in der Lage, weitreichende Aufklärung unter erschwerten Bedingungen zu betreiben. Und wir können unsere Bodentruppen nicht mehr mit Feuer aus der Luft unterstützen.
Warum eigentlich nicht Drohnen statt Flugzeuge?
Auch die modernsten Drohnen haben nur zwei Fähigkeiten: Aufklärung und Kampf gegen Bodenziele. Beides geht aber nur, wenn man schon die Luftraumüberlegenheit hat. Und für die brauchts nach wie vor Kampfjets. Drohnen für den Luftkampf gegen Flugzeuge und Raketen gibt’s nicht und sind auf dem Markt auch nicht in Sicht. Ausserdem wären sie zu langsam für den Luftpolizeieinsatz - wie etwa am WEF.
Ihr grösster Feind derzeit sind Ihre eigenen Offiziere, die unter dem Namen „Graue Adler“ scharf gegen das Boden-Luft-Verteidigungssystem schiessen und das auch bei der Jet-Evaluation wieder tun könnten.
Im Milizsystem haben die Leute eben eine persönliche Meinung. Es sind Leute, die zu ihrer Zeit Verantwortung hatten, und auch Know-how, das allerdings nicht mehr so ganz aktuell ist. Sie wollen nicht das Beste, sondern das Maximale.
Das ist aber nicht immer das Optimale. Und schon gar nicht das machbare.
Genau. Aber sie wollen der Armee ja nichts Böses, sondern agieren, so wie sie es wahrnehmen, aus echter Besorgnis. Das ist legitim. Fragwürdig sind die Methoden. Es ist nicht zielführend, sich in der Öffentlichkeit gegeneinander auszuspielen.
Teilen Sie diese Besorgnis gegenüber dem Boden-Luft-Verteidigungssystem BODLUV?
Nach dem, was man in den Medien lesen konnte, verstehe ich, wenn sich Leute sorgen machen. Die laufende Administrativuntersuchung wird zeigen, wie gut das Projekt geführt worden ist.
Wann rechnen Sie mit Resultaten?
Noch dieses Jahr.
Wir dringlich ist die BODLUV-Beschaffung für Sie?
Aus militärischer Sicht ist völlig klar: Es braucht eine Fliegerabwehr, die vom Boden aus wirkt, und Flieger, die in der Luft wirken. Diese zwei Systeme ergänzen sich. Unsere drei heutigen Systeme Stinger, Rapier, 35-mm-Flab sind nicht mehr wirksam gegen moderne Bedrohungen wie Marschflugkörper und Lenkwaffen. Zudem kommen sie technisch ans Lebensende.
30’000 Fans haben den ersten Auftritt der Patrouille Suisse zehn Tage nach dem Crash in den Niederlanden gesehen. Die Schweizer Kunstflugstaffel flog mit fünf statt sechs Tiger-Jets ein normales Programm. “Die Sicherheitsstandards waren schon vor dem Unfall hoch. Insofern musste nichts geändert werden”, sagt Luftwaffenchef Aldo C. Schellenberg. Der Pilot Rodolfo “Roody” F. (33), der den havarierten Tiger noch sicher landete, flog bereits wieder mit. In seinem Jet sitzt jeweils auch das Patrouille-Suisse-Maskottchen “Flaty”. Der mit dem Fallschirm ausgestiegene Pilot Michael “Püpi” D. (31) wurde inzwischen aus dem Spital entlassen. Unklar ist nach wie vor der Unfallhergang, ob es einen Pilotenfehler oder ein technisches Problem gab. Flugaufzeichhnungsgeräte, so genannte Blackboxes wie in Zivilflugzeugen, gibt es in den rund 40jährigen Kampfjets nicht. Die beiden Piloten sind die jüngsten im Team, “Roody” seit 2013, “Püpi” seit 2015. Sie haben dementsprechend am wenigsten Erfahrung mit dem Tiger F-5. Sie fliegen sonst den moderneren und leistungsstärkeren F/A-18.
30’000 Fans haben den ersten Auftritt der Patrouille Suisse zehn Tage nach dem Crash in den Niederlanden gesehen. Die Schweizer Kunstflugstaffel flog mit fünf statt sechs Tiger-Jets ein normales Programm. “Die Sicherheitsstandards waren schon vor dem Unfall hoch. Insofern musste nichts geändert werden”, sagt Luftwaffenchef Aldo C. Schellenberg. Der Pilot Rodolfo “Roody” F. (33), der den havarierten Tiger noch sicher landete, flog bereits wieder mit. In seinem Jet sitzt jeweils auch das Patrouille-Suisse-Maskottchen “Flaty”. Der mit dem Fallschirm ausgestiegene Pilot Michael “Püpi” D. (31) wurde inzwischen aus dem Spital entlassen. Unklar ist nach wie vor der Unfallhergang, ob es einen Pilotenfehler oder ein technisches Problem gab. Flugaufzeichhnungsgeräte, so genannte Blackboxes wie in Zivilflugzeugen, gibt es in den rund 40jährigen Kampfjets nicht. Die beiden Piloten sind die jüngsten im Team, “Roody” seit 2013, “Püpi” seit 2015. Sie haben dementsprechend am wenigsten Erfahrung mit dem Tiger F-5. Sie fliegen sonst den moderneren und leistungsstärkeren F/A-18.