Die drei Abstimmungsvorlagen im November
Herbst der Aussenseiter

Kühe, Selbstbestimmung und das Recht auf Privatsphäre: Im Herbst beherrschen an einem Tag gleich drei Aussenseiter den Diskurs.
Publiziert: 06.08.2018 um 13:47 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 11:26 Uhr
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Der Landwirt Armin Capaul fordert mit seiner Hornkuh-Initiative, dass Bauern für Kühe mit Hörnern zusätzliche Subventionen bekommen.
Foto: Anja Wurm
Florian Wicki

Die Schweiz ist das demokratischste Land der Welt. Glauben zumindest die Schweizer. Der 25. November könnte dafür als Beweisstück dienen.

Die Hornkuh-Initiative, die Selbstbestimmungs-Initiative und das Referendum gegen das Gesetz zur Überwachung von Sozialversicherten – so verschieden diese Abstimmungsvorlagen auch erscheinen mögen, im Grunde haben sie etwas gemeinsam: Sie wurden von Aussenseitern aufs Tapet gebracht, die sich mit Hilfe der direkten Demokratie Gehör verschaffen wollen.

Sie tun es alle auf ihre Weise: Armin Capaul (65), Urheber der Hornkuh-Initiative, stand zu Beginn allein auf weiter Flur. Die Selbstbestimmungs-Initiative entstammt dem Kopf von SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt (48), dem es gelungen ist, dass sich seine Partei hinter ihn stellt.

Und Philip Stolkin (52) vom Referendumskomitee gegen Sozialversicherungsdetektive hat es mit seinen Verbündeten sogar geschafft, dass die SP ihren Kurs in dieser Sache korrigiert.

Im kleinen Dorf Perrefitte, unweit von Moutier BE, scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Das Gras ist grün, der Hahn kräht – und die Kühe haben Hörner. Der Bauer Armin Capaul hätte gern, dass Letzteres in der ganzen Schweiz so ist: «Die Verstümmelung der Tiere ist respektlos.»

Als er vor neun Jahren erfuhr, dass etwa 90 Prozent der Schweizer Kühe enthornt werden, war er fassungslos. «Zuerst habe ich dem Bundesamt für Landwirtschaft ­einen Brief geschickt.» Als keine Antwort kam, lancierte Capaul eine Petition – ebenfalls ohne Erfolg. So sah er sich gezwungen, die Hornkuh-Initiative zu starten.

Aber warum fordert er statt eines totalen Enthornungsverbots lediglich, dass Bauern für Kühe mit Hörnern mehr Subventionen erhalten? Capaul erklärt: «Der Gegenwind war schon so gross genug. Wäre ich mit einem Verbot gekommen, hätte ich erst recht Streit mit der industriellen Landwirtschaft bekommen.»

Er ist überzeugt, dass die Abstimmung zu gewinnen ist: «Unter meiner Initiative leidet nur die Landwirtschaftskategorie, die sowieso zu viel Geld vom Staat bekommt! Die Direktzahlungen werden ja nicht erhöht, sondern lediglich umverteilt.» Sein wenig realistisches Wunschresultat wären 80 Prozent Zustimmung, «damit die Landwirte auch verstehen, dass Kühe in den Augen der Schweizer nicht einfach nur ein Produktionsfaktor sind».

Auch wenn ihn die politische Arbeit sichtlich erschöpft hat, Capaul hat nichts zu bereuen: «Ja, es war anstrengend. Aber ich habe den Kühen eine Stimme verschafft, und das war es allemal wert.»

Jurist und Autorin für Privatsphäre

Jeder könne grossartig sein, denn jeder könne den Unterschied machen. Wenn der Rechtsanwalt Philip Stolkin Martin Luther King (1929–1968) zugegebenermassen so ziemlich zitiert, glänzen seine Augen.

Dass der grosse Prediger der US-Bürgerrechtsbewegung ­eines seiner Vorbilder ist, merkt man nicht nur an dem Porträtfoto von King, das im Eingangsbereich von Stolkins Zürcher Büro hängt.

Als im Frühjahr der SP-Politiker und Campaigner Dimitri Rougy (21) anrief, ob er das Referendum gegen die Überwachung von Sozialversicherten mitlancieren wolle, zögerte Stolkin auch nicht lange. Er fragte nur rasch seine Frau Sophie. Ihre Antwort: «Tu, was du nicht lassen kannst.»

Seit da kämpft Stolkin mit seinem juristischen Fachwissen und zusammen mit Rougy und der Autorin Sibylle Berg (50) – gegen ein Gesetz, das seiner Meinung nach für finanzielle Interessen der Versicherungslobby die Grundrechte der Schweizer Bevölkerung massiv verletzt.

Angefangen hat alles im Internet, als das Komitee potenzielle Unterstützer um sich geschart hat. Und deren gibt es inzwischen viele. So viele, dass sich sogar die SP – die sich ja eigentlich den Grundrechten für alle statt für wenige verschrieben hat – nach einiger Bedenkzeit und einem parteiinternen Hickhack dazu gezwungen sah, das Referendum zu unterstützen.

Die grösste Unterstützung erhält Stolkin aber von seiner Frau: «Sie hilft mir in allen Lebenslagen.» Natürlich hätten die beiden nun deutlich weniger Freizeit. Doch der Jurist ist überzeugt: «Der Schutz der Privatsphäre und die Garantie rechtsstaatlicher Verfahren sind wesentliche Bestandteile der Demokratie.»

SVP-Vogt pocht auf die Verfassung

Nennt man den Zürcher SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt (48) einen Aussenseiter, winkt der Professor für Wirtschaftsrecht ab. Die Bezeichnung zeichne kein präzises Bild von ihm.

Durchaus, Vogt ist ein Intellektueller, ein Städter, ein sensibler Mensch. Und doch fühlt er sich der Basis seiner Partei stark verbunden. Auch dort mache man sich zunehmend Sorgen, wie es mit der Unabhängigkeit und Selbstbestimmung der Schweiz weitergehe.

2012 habe das Bundesgericht entschieden, dass die Schweiz sich bei der Durchsetzung ihrer Verfassung an die Urteile des Gerichtshofs in Strassburg zu halten habe, dass internationales Recht also über unserer Verfassung stehe. Alarmiert von diesem Richterspruch wandte sich Vogt damals an Christoph Blocher. Vogt war sich mit dem SVP-Strategen einig: «In der Schweiz muss wieder gelten, was in der Verfassung steht.»

Aus vielen Arbeitsgruppen und juristischen Konsultationen entstand am Ende die Selbstbestimmungs-Initiative. Sie verlangt, dass die Schweizer Verfassung gegenüber internationalen Verträgen Vorrang hat, dass im Konfliktfall neu verhandelt oder der Vertrag gekündigt wird.

Laut Vogt wäre das eigentlich selbstverständlich: «Wir sind keine Bananenrepublik. Abstimmungsresultate gelten und müssen umgesetzt werden.» Sonst verliere die direkte Demokratie ihre Bedeutung.

Schöne Demokraten!

Kommentar von Politik-Volontär Florian Wicki

Die Volksinitiative hat hierzulande eine lange Tradi­tion. Bis zum 127. Jubiläum vor einem Monat kamen laut Bund stolze 211 Volksinitiativen an die Urne. Davon wurden insgesamt 189 abgelehnt und 22 angenommen. Unsere Volksinitiativen sind essenziell für die Teilnahme des Einzelnen am politischen Geschehen. Hier kann jeder und jede mit einer Unterschriftensammlung eine nationale Debatte zumindest anregen. Zugegeben, es ist zwar verstörend, dass sich ausgerechnet die rechtsextreme deutsche Pegida-Bewegung am lautesten für Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild ausspricht. Doch ebenso verstörend sind inländische Kreise, die versuchen, Volksabstimmungen nach Möglichkeit zu vermeiden. «Zu oft abstimmen führt zu Politikverdrossenheit», sagen sie. Darum fordern sie höhere Hürden für Volksbegehren. Doch wer Anforderungen verschärfen will, damit wir weniger oft an die Urne gehen, hat die falschen Motive. Blendet die Möglichkeit aus, dass das System der repräsentativen Demokratie vielleicht einfach nicht genügt und darum immer so viele Volksinitiativen eingereicht werden. Und erklärt die Schweizer Bevölkerung letztlich zu unmündigen Dummköpfen, die sich schon von vier Abstimmungssonntagen im Jahr überfordern lassen. Schöne Demokraten!

Kommentar von Politik-Volontär Florian Wicki

Die Volksinitiative hat hierzulande eine lange Tradi­tion. Bis zum 127. Jubiläum vor einem Monat kamen laut Bund stolze 211 Volksinitiativen an die Urne. Davon wurden insgesamt 189 abgelehnt und 22 angenommen. Unsere Volksinitiativen sind essenziell für die Teilnahme des Einzelnen am politischen Geschehen. Hier kann jeder und jede mit einer Unterschriftensammlung eine nationale Debatte zumindest anregen. Zugegeben, es ist zwar verstörend, dass sich ausgerechnet die rechtsextreme deutsche Pegida-Bewegung am lautesten für Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild ausspricht. Doch ebenso verstörend sind inländische Kreise, die versuchen, Volksabstimmungen nach Möglichkeit zu vermeiden. «Zu oft abstimmen führt zu Politikverdrossenheit», sagen sie. Darum fordern sie höhere Hürden für Volksbegehren. Doch wer Anforderungen verschärfen will, damit wir weniger oft an die Urne gehen, hat die falschen Motive. Blendet die Möglichkeit aus, dass das System der repräsentativen Demokratie vielleicht einfach nicht genügt und darum immer so viele Volksinitiativen eingereicht werden. Und erklärt die Schweizer Bevölkerung letztlich zu unmündigen Dummköpfen, die sich schon von vier Abstimmungssonntagen im Jahr überfordern lassen. Schöne Demokraten!

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