Je länger die innenpolitische Diskussion andauert, desto zahlreicher werden die Gegner des Rahmenabkommens. Zu jenen, die den Lohnschutz und die Unionsbürgerrichtlinie vom Vertrag ausnehmen möchten, kommen nun auch jene, die sich an der Rolle des Europäischen Gerichtshofs stören. Dieser soll künftig über die Auslegung der fünf Verträge urteilen, die dem Abkommen unterstehen. Damit, so der Tenor der Gegner, würde die Schweiz aufgeben, was ihr neben der direkten Demokratie und der Neutralität am heiligsten ist: ihre Souveränität.
Nur: Tut sie das wirklich? Anders gefragt: Ist die Schweiz heute so souverän, wie die Gegner des Rahmenvertrags behaupten?
Dazu zwei Überlegungen. Erstens: Die Schweiz übernimmt schon heute eine Vielzahl an internationalen Regelungen – mal freiwillig, mal unter Druck. Zweitens: Souveränität kann neben Selbstbestimmung auch Mitbestimmung heissen.
Zum ersten Punkt: Schon heute prüft die Bundesverwaltung jedes neue Gesetz auf seine «Europaverträglichkeit». Damit sollen unnötige Abweichungen von EU-Regeln vermieden werden. Allerdings wendet die Schweiz den sogenannten autonomen Nachvollzug längst auch bei innenpolitischen Bereichen wie dem Anwalt- oder Mehrwertsteuergesetz an. Das kann man aus demokratiepolitischer Sicht – aus guten Gründen – bedenklich finden. Offensichtlich kommt das Parlament aber jeweils zum Schluss, dass eine eigenständige Regelung mehr Nach- als Vorteile hätte. In anderen Fällen wiederum hat die Schweiz gar keine andere Wahl, als internationale Regelungen zu übernehmen. Stichwort Unternehmenssteuerreform.
Zum zweiten Punkt: Souveränität bedeutet nicht nur Selbstbestimmung. Souverän ist auch, wer an Regeln mitarbeitet, die einen ohnehin betreffen. Hier bietet der Rahmenvertrag neue Möglichkeiten: Künftig hätte die Schweiz ein Mitspracherecht, wenn eine EU-Regelung unser Land betrifft. Sie könnte sich einbringen, statt passiv zu übernehmen. Zudem hat Brüssel der Schweiz ein Privileg eingeräumt, das kein Mitgliedstaat geniesst. Die Schweiz kann von EU-Recht abweichen, wenn sie will; der Preis dafür sind Ausgleichsmassnahmen.
Das alles bedeutet nicht, dass man über die Nachteile des Rahmenvertrags – wie die Super-Guillotineklausel oder die Unwägbarkeiten des EuGH – nicht reden soll. Oder darüber, was die Schweizer Unterhändler in Brüssel erreicht haben – die Möglichkeit des Stimmvolks etwa, über neue Richtlinien abzustimmen.
Das Argument aber, der Rahmenvertrag bedeute das Ende der freien und unabhängigen Schweiz, ist definitiv keines. Denn das ist sie schon heute nicht.