Nimmt da einer den Mund zu voll? Roberto Balzaretti (54), Staatssekretär im Aussenministerium (EDA) und Chefunterhändler mit der EU, hat eine bemerkenswerte Aussage gemacht: «Das institutionelle Rahmenabkommen wird vom Bundesrat in der ausgehandelten Form nicht unterzeichnet werden», sagte Balzaretti an einer Veranstaltung zum Thema Schweiz-EU in Mendrisio TI.
Es sei ein offenes Geheimnis, dass es im Bundesrat keine Mehrheit für das Verhandlungsergebnis gebe, so «Mr Europa» weiter. So berichtet CH Media.
Politiker sind entsetzt
Die Aussage erstaunt – weil der Bundesrat erst im Juni entscheiden wird, wie er aus der verfahrenen Situation mit der EU herauskommen will. Bis jetzt hat er nicht entschieden, ob er unterzeichnen, die Übung abbrechen oder zuwarten will.
Nur inoffiziell ist bekannt, dass eine Mehrheit der Landesregierung das Abkommen wegen dreier Punkte kritisch sieht: Wegen des Angriffs auf den Lohnschutz, wegen der drohenden Unionsbürgerrichtlinie und wegen Unklarheiten bei den staatlichen Beihilfen.
«Wer führt unser Land?»
Aussenpolitiker sind entsetzt über Balzarettis Vorpreschen. «Ich bin ausserordentlich erstaunt», sagt CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (55, BL). Sie versucht den Ball flach zu halten.
Die Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission erklärt aber weiter, eigentlich habe Aussenminister Ignazio Cassis (58) die Kommission nächste Woche über das weitere Vorgehen informieren wollen. «Es ist nicht am Staatssekretär, dies nun vorwegzunehmen», wird Schneider-Schneiter deutlicher.
SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (40), der selbst gegen das Rahmenabkommen ist, wettert auf Twitter gar: «Lassen Sie sich, Herr Bundesrat, solche Aussagen gefallen? Wer führt unser Land: Die Verwaltung oder der Bundesrat?»
Molina: Bundesrat ist selbst schuld
CVP-Aussenpolitiker Pirmin Bischof (60) sieht das ähnlich. Auch wenn die Aussage inhaltlich wenig erstaune, sei doch stossend, «dass ein Top-Diplomat sich in einem derart heiklen Dossier äussert, bevor der Bundesrat einen Entscheid gefällt und diesen auch kommuniziert hat», so der Solothurner Ständerat.
SP-Nationalrat Fabian Molina (28) sieht die Verantwortung eher beim Bundesrat selbst: «Balzarettis Äusserung ist ein Symptom für die Planlossigkeit der Landesregierung», sagt der Zürcher.
Sein Parteikollege Eric Nussbaumer (58) hingegen findet, dass ein «Nein» nicht Hauptbotschaft des Bundesrats sein könne. «Wir müssen gegenüber Brüssel sagen: Ja, wie wollen ein Rahmenabkommen, aber wir müssen bei einigen Punkten nochmals nachbessern.» Vor diesen Hintergrund sei die Äusserung Bazarettis «seltsam».
Balzarettis Vorgänger stolperte über sein Mundwerk
Die Episode könnte für Balzaretti ein übles Nachspiel haben: Schon sein Vorvorgänger, Yves Rossier (59), war für Klartext bekannt. In einem Interview mit der NZZ am Sonntag begründete Rossier 2013, warum der Europäische Gerichtshof das letzte Wort bei Streitigkeiten haben solle: «Ja, es sind fremde Richter, aber es ist auch fremdes Recht.»
Der Sturm der Entrüstung, der daraufhin losbrach, war gewaltig. Diese Aussage kostete ihn letztlich den Job – Rossier amtet heute als Schweizer Botschafter in Moskau.
EDA verwedelt
Das EDA weiss mit dem verbalen Vorpreschen seines Staatssekretärs nicht viel anzufangen. Das Departement teilt mit, dass Balzaretti an einer Veranstaltung auch Fragen zum institutionellen Abkommen beantwortet habe. «Er hat diesbezüglich zum Ausdruck gebracht, dass ein Grossteil der im Rahmen der Konsultationen angehörten Gruppen den Textentwurf als verbesserungswürdig bewertet haben.» Und zudem auf den Entscheid des Bundesrats verwiesen.
Auf Balzarettis Aussage, wonach der Bundesrat nicht unterzeichnen werde, geht das EDA auf BLICK-Anfrage nicht ein. Das EDA sieht das anders: «Staatssekretär Balzaretti hat betont, dass der Bundesrat sich mit den Resultaten der Konsultationen befassen und vor dem Sommer das weitere Vorgehen entscheiden wird».