Hälfte der Ständeräte dankt ab, die kleine Kammer verliert an Macht
Die Strippenzieher gehen in Pension

Nach den Tessiner Wahlen muss nun auch CVP-Ständerat Filippo Lombardi klarstellen, ob 20 Jahre in der kleinen Kammer für ihn nicht genug sind. Alleine wäre er mit seinem Verzicht auf eine weitere Wahl keineswegs: Mehr als die Hälfte der Ständevertreter tritt ab.
Publiziert: 08.04.2019 um 00:52 Uhr
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Aktualisiert: 08.04.2019 um 08:08 Uhr
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Auf die nächste Legislatur hin verabschiedet sich mehr als die Hälfte der Ständeräte vom Amt.
Foto: Keystone
Nico Menzato, Andrea Willimann, Ruedi Studer

Wenn am 2. Dezember dieses Jahres das neu gewählte Parlament zum Start der Wintersession erstmals zusammenkommt, ist der Ständerat personell kaum mehr zu erkennen. Denn fast die Hälfte des 46-köpfigen Stöckli tritt im Herbst nicht mehr zu den Wahlen an.

Einen solchen Aderlass gab es in den vergangenen zwei Jahrzehnten nie mehr. 21 Ständeräte treten sicher zurück – Karin Keller-Sutter (55, FDP), die vergangenen Dezember in den Bundesrat gewählt wurde, ist bereits weg.

Nur Lombardi hält sich noch bedeckt

Der einzige Ständerat, der sich noch nicht entschieden hat, ist jener, der am längsten im Stöckli residiert: Schon fast zwanzig Jahre sitzt CVP-Fraktionschef Filippo Lombardi (62, TI) in der kleinen Kammer. Er wartet die Resultate der Tessiner Parlamentswahlen ab, die erst heute Montag bekannt werden. Die gestrigen Tessiner Regierungswahlen enden nicht mit einem Ergebnis, das eine Kandidatur von Lombardi als «CVP-Retter» unverzichtbar machen würde. CVP-Staatsrat Paolo Beltraminelli (57) muss seinem Parteikollegen Raffaele De Rosa (46) Platz machen, aber die Partei kann ihren Sitz halten. Mit Nationalrat Fabio Regazzi (56) steht zudem ein Lombardi-Ersatz mit guten Chancen in den Startlöchern.

Köpferollen schwächt die Macht des Ständerates

Der personelle Aderlass im Ständerat hat politische Folgen. Denn in den vergangenen Jahren wurden den grossen politischen Themen die Stempel oft in den Kommissionen der kleinen Kammer aufgedrückt. Etwa beim AHV-Steuer-Deal, dem Atomausstieg oder der Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative.

Mit dem Abgang der vielen erfahrenen Politiker, die jahrelang eng zusammengearbeitet haben und hinter den Kulissen die Strippen zogen, wird dies in der nächsten Legislatur kaum mehr in diesem Umfang möglich sein. Der Ständerat wird vorübergehend an Macht verlieren, wenn Alphatiere wie der Luzerner Konrad Graber (60, CVP), die Baslerin Anita Fetz (62, SP), der Aargauer Philipp Müller (66, FDP) oder der Thurgauer Roland Eberle (65, SVP) abtreten. Denn in den meisten wichtigen Kommissionen – etwa jenen für Umwelt, Bildung, Verkehr oder soziale Sicherheit – tritt jeweils fast die Hälfte der Mitglieder ab.

SP-Rücktritte senken Frauenquote im Stöckli

Am heftigsten trifft die Rücktrittswelle die SP: Sieben der zwölf Ständeräte ziehen sich zurück. Ihre vier Ständerätinnen – Pascale Bruderer (41, AG), Anita Fetz (62, BS), Liliane Maury Pasquier (62, GE) und Géraldine Savary (50, VD) – gehen in corpore. Gut möglich, dass die Sozialdemokraten ihre zwölf Sitze nicht werden halten können, jene in Aargau und Baselland wackeln gewaltig.

Penibel für die selbsternannte Frauenfördererpartei: Ihre weibliche Vertretung im Stöckli wird höchstwahrscheinlich sinken. Erst letzte Woche zeigte sich SP-Fraktionschef Roger Nordmann (46) als Ladykiller und gab seine Kandidatur im Waadtland bekannt. Damit folgt er Nationalratskollege Cédric Wermuth (33), der im Aargau seine Mitkonkurrentin Yvonne Feri (53) ausstach und viele vor den Kopf stiess.

Immerhin: Zwei SP-Frauen – Eva Herzog (57) in Basel und Elisabeth Baume-Schneider (55) im Jura – dürfte der Einzug ins Stöckli glücken. Zudem setzt die SP Neuenburg auf ein weibliches Doppelticket.

CVP und FDP kämpfen um die Mehrheit im Stöckli

Ein heisser Lauf steht auch der CVP bevor, insbesondere wenn der von manchen Auguren vorausgesagte Wählerschwund Tatsache wird. Falls auch Lombardi abdanken sollte, muss Parteichef Gerhard Pfister (56) sechs der 13 SVP-Sitze ersetzen. Vereinzelte Verluste sind möglich – etwa im Stammland Luzern, wenn SVP-Nationalrat Franz Grüter (55) das Duell mit CVP-Nationalrätin Andrea Gmür (54) wagt. Aber auch ein Ausbau auf 15 Mandate ist im Bereich des Möglichen. Wenn wie erwartet Benedikt Würth (51, CVP) im Mai den FDP-Ständeratssitz von Karin Keller-Sutter ergattert und Regierungsrat Othmar Reichmuth (55) in Schwyz die gute Ausgangslage ausnützen kann.

Die arg gebeutelte CVP, welche die Grünen im Nationalrat als viertstärkste Kraft ablösen wollen, könnte also im Stöckli zur alleinigen stärksten Kraft aufsteigen. Könnte! Denn auch die FDP hat, wenn alles ideal verläuft, das Potenzial für bis zu 15 Sitze. Der Kampf um die Führung im Stöckli ist lanciert.

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