Blick: Herr Rauch, was passiert gerade in Ihrer Republik? Der Bundeskanzler steht unter Korruptionsverdacht. Das Kanzleramt wurde durchsucht.
Johannes Rauch: Es gilt jetzt erst einmal festzuhalten: Die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft haben mehrere gravierende Tatbestände penibel aufgelistet. Diese wiegen sicher so schwer wie diejenigen in der Ibiza-Affäre, die ja durch dieses Video ausgelöst wurde. Vielleicht sind die jetzigen Verfehlungen sogar noch weitreichender.
Das Team von Sebastian Kurz soll Medien mit staatlich finanzierten Inseraten gefüttert haben, damit diese ihn zum Kanzler hochschreiben. Auch Umfragen sollen dazu frisiert worden sein.
Bleiben wir noch rasch bei Ibiza. Bundeskanzler Sebastian Kurz von der ÖVP verurteilte das Verhalten des damaligen Vizekanzlers Heinz-Christian Strache aus der FPÖ damals aufs Schärfste. Für ihn war Strache nicht mehr in der Regierung haltbar. Die Grünen erwarten nun, dass Herr Kurz bei sich denselben Massstab anlegt wie bei Herrn Strache.
Meinen Sie, dass er sich ebenfalls zurückziehen sollte? Das will er ja nicht. Was nun?
Sebastian Kurz ist als Kanzler nicht mehr haltbar. In Wien führt Vizekanzler Werner Kogler von den Grünen zurzeit Gespräche mit verschiedenen Parlamentsparteien und mit dem österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen. Wenn sich das Parlament am Dienstag zur Sondersitzung trifft, wird es einen Misstrauensantrag gegen Herrn Kurz geben. Dafür gilt es vorbereitet zu sein.
Was heisst das genau?
Niemand in der Republik will nach zwei Jahren bereits wieder Neuwahlen. Die Koalition mit der ÖVP steht. Wir können mitten in der Corona-Pandemie nicht davonlaufen. Es stehen wichtige Regierungsgeschäfte an. Nur weil der Kanzler nicht mehr handlungsfähig ist, heisst das nicht, dass die Regierung nicht mehr funktioniert. Wir sind in einer Koalition mit der ÖVP, nicht in einer Ehe mit Sebastian Kurz.
Das heisst also, Sie suchen einen neuen Bundeskanzler? An wen denken die Grünen dabei?
Den Bundeskanzler stellt die ÖVP. Es liegt an ihr, eine Alternative zu Sebastian Kurz vorzuschlagen. Erfolgt das nicht, ist der Bundespräsident am Zug. Jedenfalls muss es eine Person sein, bei der nicht ein Hauch eines Verdachts besteht, an Vorgängen beteiligt gewesen zu sein, wie sie jetzt im Raum stehen.