Mit seinem überraschenden Rücktritt stösst Bundesrat Didier Burkhalter (57) die eigene Partei vor den Kopf. Zwar rechneten nicht wenige in der FDP-Fraktion damit, in absehbarer Zeit einen Nachfolgekandidaten für die Landesregierung bestimmen zu müssen – nicht aber für Aussenminister Burkhalter, sondern für Volkswirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (65).
Dennoch bedeutet dies für Schneider-Ammann keine Verschnaufpause – im Gegenteil: Durch Burkhalters Schachzug gerät der freisinnige Berner erst recht unter Druck.
Eine repräsentative Umfrage bei 1100 Stimmbürgern in der ganzen Schweiz im Auftrag von SonntagsBlick zeigt: 69 Prozent der Bevölkerung wünschen, dass jetzt auch Schneider-Ammann den Hut nimmt. In der Beliebtheitsskala unterbietet er damit die SVP-Bundesräte Ueli Maurer (66) und Guy Parmelin (57). Sogar zwei Drittel der FDP-Sympathisanten finden, Schneider-Ammann müsse einem Nachfolger Platz machen.
Im Gegensatz dazu geniessen Maurer und Parmelin zumindest bei den Wählern der eigenen Partei weiterhin Rückhalt.
Vielleicht sieht es das Parlament ja anders
Es ist ein schwacher Trost für Schneider-Ammann, dass nicht das Volk, sondern das Parlament die Landesregierung bestimmt. Für ihre Partei sind kraftlose Magistraten ein Hindernis bei der Mobilisierung. In einem Satz: Für die FDP wird Schneider-Ammann zunehmend zur Belastung.
Sein Image-Problem lässt sich nur schwerlich aus seiner Politik erklären. Unter Schneider-Ammanns Ägide hat der Wirtschaftsstandort Schweiz den Frankenschock verdaut. Er betreibt eine aktive Freihandelspolitik und fördert eifrig Exportbranchen. Unangenehm jedoch fällt sein rhetorisches Handicap auf. Bisweilen trägt der narkotisierende Redestil des Wirtschaftsministers komische Züge.
Immerhin hält die Meinungsumfrage auch gute Nachrichten für den Freisinn bereit: Eine Mehrheit von 40 Prozent spricht sich für zwei FDP-Sitze in der Regierung aus. Die Bevölkerung wünscht – das ist die Quintessenz – eine freisinnige Auffrischung im Bundesrat.
In der FDP rechnet man damit, dass Schneider-Ammann höchstens zwei weitere Jahre bleibt. Von einer informellen Absprache mit der Parteispitze ist die Rede. Zum Szenario eines Doppelrücktritts, wie ihn die Bevölkerung will, schweigt FDP-Präsidentin Petra Gössi: «Johann Schneider-Ammann ist bis Ende der Legislatur gewählt», hält sie gegenüber SonntagsBlick fest. Sie zeigt sich aber erfreut, «dass unser Anspruch auf zwei Bundesratssitze breit abgestützt ist und die Bevölkerung sich zur Zauberformel bekennt».
Aufschlussreich ist die Erhebung auch punkto Geschlechterfrage. 63 Prozent der Befragten fordern, dass nach Didier Burkhalters Abgang eine Frau die Vakanz in der Regierung besetzen soll.
Wann kommt eine FDP-Frau zum Zug?
Da der Freisinn zuletzt mit Elisabeth Kopp eine Bundesrätin stellte, machen die FDP-Frauen derzeit verstärkt auf dieses Anliegen aufmerksam. Ihre Präsidentin Doris Fiala verhehlt nicht, dass sie vorerst noch bereit ist, Geduld zu zeigen. Sie könnte auch damit leben, dass erst auf Schneider-Ammann eine Frau folgt.
«Spätestens bei der nächsten Rochade werden wir auf einen Frauensitz pochen», sagt die Zürcher Nationalrätin: «Unsere Partei hat genügend geeignete Topfrauen wie Karin Keller-Sutter, Carmen Walker Späh oder auch unsere Präsidentin Petra Gössi.»
Fiala zeigt zudem Verständnis für das Drängen der Tessiner, nach 1999 endlich wieder im Bundesrat vertreten zu sein. Die SonntagsBlick-Umfrage zeigt: Eine Mehrheit von 30 Prozent wünscht sich einen Burkhalter-Nachfolger aus der Südschweiz – einen Romand möchten lediglich 21 Prozent. Die Tessiner selbst stehen überdeutlich hinter ihrer Forderung: Im Südkanton sind 77 Prozent der Befragten für einen Tessiner Bundesrat.
In Bundesbern fällt derzeit am häufigsten der Name von FDP-Fraktionspräsident Ignazio Cassis (56). Aber auch die 2015 abgetretene Tessiner Staatsrätin Laura Sadis (56) wird als mögliche Kandidatin gehandelt. In der Romandie verfügt die Partei mit der Waadtländer Staatsrätin Jacqueline de Quattro (56) und Nationalrätin Isabelle Moret (46) über Frauen, denen das Bundesratsamt zugetraut wird.
Die Stunde der Wahrheit schlägt am 20. September. An jenem Mittwoch sollen die Bundesratswahlen stattfinden – einen Tag vor Burkhalters Verabschiedung an der FDP-Delegiertenversammlung.