Der Schlusssprint dauerte 34 lange Stunden. Dann endlich hatten sich die Unterhändler auf einen neuen Regierungsvertrag geeinigt. Es sei, gab die CDU-Chefin und amtierende Kanzlerin Angela Merkel gestern in einer ersten Pressekonferenz zu, «ein langer Weg gewesen». Die nötigen Kompromisse seien allen Beteiligten «manchmal schwergefallen». Insgesamt aber, so Merkel, sei sie mit dem Ergebnis «sehr zufrieden».
Ähnlich äusserten sich auch der sozialdemokratische Parteivorsitzende Martin Schulz und der christsoziale Parteichef Horst Seehofer.
Jetzt müssen noch die Delegierten und Mitglieder der beteiligten Parteien dem 177 Seiten dicken Vertrag zustimmen, damit – vermutlich Mitte März – die Neuauflage der Grossen Koalition viereinhalb Monate nach den Bundestagswahlen endlich ihre Arbeit aufnehmen kann.
Zwei Gewinner ...
Nach Einschätzung der meisten Beobachter sind CSU und SPD die Gewinner der Koalitionsgespräche. Beide Parteien sollen mehr Verantwortung tragen. Zusätzlich zum Aussenministerium soll die SPD auch das Finanz- und das Arbeitsministerium leiten. Der als Migrationsskeptiker bekannte CSU-Chef Seehofer wird als künftiger Innenminister gehandelt. Sein Ressort soll um die Themen Sicherheit und Heimat erweitert werden.
Dahinter steckt klares politisches Kalkül. Ein sichtbar «bayrischer» Kurs in der Sicherheitspolitik etwa soll der CSU helfen, den befürchteten Vormarsch der rechtspopulistischen AfD bei den Landtagswahlen in München im kommenden September zu bremsen.
Und auch bei den Sozialdemokraten geht es um alles. Martin Schulz hat alle nach der Wahl gegebenen Versprechen gebrochen: Er hat eine neue Grosse Koalition ausgehandelt. Jetzt soll er wohl auch noch Aussenminister unter Angela Merkel werden. Ein «deutlich sozialdemokratisches Profil» des Vertrags war das Mindeste, was er für die bevorstehende Mitgliederbefragung liefern musste. «Es geht um Inhalte, nicht um Namen», wehrte der zuletzt heftig Kritisierte am Dienstag alle Fragen nach seiner politischen Zukunft ab. Dass er diesen Kurs lange wird halten können, gilt aber als unwahrscheinlich.
... eine Verliererin ...
Aber auch Angela Merkel erfährt kräftigen Widerstand. Die Christdemokraten mussten nicht nur wichtige Regierungsämter aufgeben, sondern auch inhaltlich die schmerzlichsten Kompromisse eingehen. «Die CDU hat verloren», war am Dienstag aus Parteikreisen zu hören. Unzufriedenheit äusserten auch die Wirtschaftsverbände. «Wir haben uns», warb Merkel eindringlich für die Vereinbarung, «vor allem an den Wünschen der Bürger orientiert.»
Die von der SPD geforderte Bürgerversicherung wird so zwar nicht kommen. Doch eine Kommission wird Wege prüfen, die Honorare von Kassen- und Privatärzten anzugleichen. Stark eingeschränkt werden soll auch die vor allem von der SPD kritisierte Praxis der befristeten Arbeitsverträge. Und mehr Geld und eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron soll es – wiederum gegen die Wünsche vieler in der CDU – auch für und in Europa geben.
... und der Widerstand
Dennoch, die neue Grosse Koalition in Berlin ist noch nicht in trockenen Tüchern. Die Unzufriedenheit in der SPD ist nicht besiegt. Vor allem die Jungsozialisten hoffen weiter, dass die um etwa 25'000 neue Mitglieder erstarkte Parteibasis den Vertrag ablehnen wird.
Die Gefahr, dass Deutschland weiterhin politisch gelähmt bleibt, ist noch nicht gebannt.