Kettengalopp und Bündner Siebenschritt – im ehemaligen Zwinglihaus in Zürich üben 20 Flüchtlinge in diesen Tagen zusammen mit dem Volkstanzkreis Zürich verschiedene traditionelle Volkstänze ein. Mit prominenten Tanzpartnern: dem bekannten Schauspieler und Theaterregisseur Gilles Tschudi (61) und der Aargauer SP-Nationalrätin Yvonne Feri (52).
Auch in Bern und in Basel wird fleissig geprobt. Am kommenden Sonntag, dem 10. Juni, werden die Flüchtlinge im Hauptbahnhof Zürich zeigen, was sie können.
Flüchtlinge und Schweizer Volkstanz? Eine spezielle Mischung. Verantwortlich für diesen Kontrast ist die Kampagne «Farbe bekennen» des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen Schweiz (Heks). Schon letztes Jahr fand die Kampagne statt. Damals übten sich die Flüchtlinge unter Anleitung von Schwingerkönig Ernst Schläpfer (62) im «Wyberhaken» (BLICK berichtete). Die Kampagne soll sensibel machen für die Anliegen von Flüchtlingen und ihnen beim Neuanfang in der Schweiz helfen.
Die Menschen brauchten wieder ein Gefühl der Gemeinsamkeit
Gilles Tschudi geniesst das Tanzen mit den Flüchtlingen sichtlich: Gegenüber BLICK erklärt er, er arbeite schon seit rund 10 Jahren für Heks-Kampagnen: «Ich habe damals in Bangladesch eine Videogruppe des Heks begleitet und bin seit da mit an Bord.» Auch privat tanze er immer wieder, darum habe er nach der Anfrage nicht lang überlegen müssen, denn die Kampagne sei sehr sinnvoll: «Tanzen hilft uns, Menschen kennenzulernen und zu verstehen.»
Dieses Verständnis sei wichtig für die Integration: «Denn Menschen, egal ob Schweizer oder Ausländer, müssen sich immer wieder integrieren.» Ob in der Gemeinde, in der Schweiz oder überall auf der ganzen Welt. «Darum müssen die Menschen wieder ein Bewusstsein als Nachbarn haben, ein Gefühl der Gemeinsamkeit.»
Die Politik soll die Menschen wieder ins Zentrum rücken
Auch Yvonne Feri strahlt trotz drückender Hitze übers ganze Gesicht. Da auch sie privat eine leidenschaftliche Tänzerin sei – wenn auch eher afrikanische statt Schweizer Volkstänze –, habe sie nicht gezögert, als sie vom Heks angefragt wurde.
Der Anlass macht ihr denn auch grossen Spass: «Es ist sehr interessant, etwas über die Menschen aus aller Welt zu erfahren.» In solchen Momenten sei sie sehr froh, dass sie seit Jahren die Menschen ins Zentrum ihrer politischen Arbeit stelle. «Das wünsche ich mir auch vom Parlament wieder vermehrt», so Feri. Die Kampagne schafft auch Freundschaften
Die Anlässe auf die Beine gestellt haben Andrea Oertli (30) und Hanspeter Bigler (46) vom Heks. Laut Oertli hat sich die Aktion jetzt schon gelohnt: «Die Geflüchteten haben es hier lustig, engagieren sich vorurteilsfrei und zwanglos für die Gruppe.»
Es gefalle ihnen sehr. Die meisten würden sich schon im Voraus melden und freuten sich auf die nächste Tanzlektion: «Sie kommen zwar alle aus verschiedenen Teilen der Erde, aber verstehen sich auf Anhieb gut, helfen sich auch gegenseitig bei der Verständigung.» So würden auch neue und dauerhafte Freundschaften entstehen.
Daneben gibt es eine Petition und eine Online-Plattform
Hanspeter Bigler ergänzt: «Neben den Tanzstunden haben wir auch weitere Projekte.» Zum einen eine Petition, mit dem der Bundesrat aufgefordert wird, Zugangswege für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge zu schaffen, damit diese sicher und legal in die Schweiz gelangen können.
Ausserdem betreibe das Heks seit letztem Jahr die Online-Plattform «engagiert.jetzt». Bigler: «Da können sich einerseits Organisationen anmelden, die für Projekte freiwillige Helfer suchen und andererseits die Helfer auch gleich selbst.» Und das sei wichtig, denn es gäbe viele Menschen in der Schweiz, die sich irgendwie engagieren wollen, aber nicht genau wissen, wie und wo sie das tun können.
Die Teilnehmer profitieren kulturell und emotional davon
Und was meinen die Geflüchteten selbst dazu? Auch die haben grossen Spass. Zum Beispiel die 24-jährige Segen aus Eritrea: «Ich habe durch diese Stunden viel gelernt, vor allem über die Schweiz und ihre Kultur.» Nervös vor dem grossen Auftritt am 10. Juni ist sie nicht, denn auch in ihrer Freizeit spielt Segen Theater und hat sich so ans Rampenlicht gewöhnt.
Und auch für den 22-jährigen Nedal, einen gebürtigen Palästinenser, der vor seiner Flucht in Syrien gelebt hat, sind die Tanzstunden eine grosse Bereicherung: «Wir haben in unserer Heimat und auf der Flucht viel Schlimmes erlebt. Das Tanzen hilft mir, die dunklen Stunden zu vergessen und gibt ein gutes Gefühl.» Ausserdem mache es Spass und könne auch Brücken bauen: «Uns wird so gezeigt, dass wir in der Schweiz willkommen sind, und wir können unsererseits beweisen, dass wir die hiesige Kultur akzeptieren.»