Wenn es um das EU-Rahmenabkommen geht, kennen die Gewerkschaften keinen Kompromiss. Seit Monaten sträuben sie sich gegen jede Anpassung der flankierenden Massnahmen (Flam). Auch die Veröffentlichung des Vertragsentwurfs vergangene Woche hat daran nichts geändert.
Die rote Mängelliste ist lang: «Da ist», moniert etwa Daniel Lampart (50), Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), «die Kautionspflicht: Wenn nur noch jene ausländischen Firmen einen Betrag hinterlegen müssen, die bereits den Lohnschutz verletzt haben, wird diese Massnahme faktisch ausgehöhlt.»
Gleiches gelte bei der Verkürzung der viel beschworenen Voranmeldefrist für ausländische Firmen. Lampart: «Vier Arbeitstage, um wirksame Kontrollen zu organisieren, sind schlicht zu wenig.» Heute sind acht Tage Pflicht.
Doch für die Gewerkschaftslinke steht mehr auf dem Spiel als Kautionen oder Fristen. Sie sehen die Grundlage des Schweizer Lohnschutzes in Gefahr.
Bisher überprüfen sogenannte paritätische Kommissionen die faire Entlöhnung der Büezer – sie setzen sich zusammen aus Vertretern der Gewerkschaften und der Arbeitgeber.
«Die EU drängt die Schweiz dazu»
Beim Gewerkschaftsbund ist man sicher, dass dieses System mit dem Rahmenvertrag aus den Angeln gehoben würde. Denn in der EU sind es in der Regel nicht die Sozialpartner, die diese Kontrollfunktion ausüben, sondern staatliche Behörden: «Die EU drängt die Schweiz, ihr bewährtes, sozialpartnerschaftliches Kontrollsystem aufzugeben. Das zeigen unsere Gespräche mit EU-Vertretern», so Daniel Lampart.
Im Streitfall führe der Weg künftig über den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Und dass Schweizer Arbeitgeber ausländischen Firmen auf die Finger schauen, dürfte von den europäischen Richtern als Diskriminierung eingestuft werden, warnt der SGB.
Im Vertragstext ist davon zwar nichts zu lesen, doch nach dessen Ratifizierung wäre es «nur eine Frage der Zeit, bis europäische Firmen gegen das paritätische System klagen und am EuGH recht bekommen würden», sagt Lampart.
Der Europäische Gerichtshof habe in der Vergangenheit immer wieder im Sinne des freien Markts entschieden. Zudem werde die bürgerliche Mehrheit in der Schweiz für eine Nivellierung des Lohnschutzes sorgen, sobald erst einmal staatliche Behörden dafür zuständig seien, ist Lampart überzeugt.
Entschädigungsvorwurf erzürnt Gewerkschaften
Bürgerliche Politiker vermuten allerdings andere Beweggründe hinter der Haltung der Gewerkschaften: Das heutige System nämlich sichert ihnen einen grossen Einfluss. Ausserdem fülle die Entschädigung der durchgeführten Lohnkontrollen die gewerkschaftlichen Kassen.
Der SGB-Chefökonom verwahrt sich gegen solche Unterstellungen: «Die Entschädigungen werden benötigt, um die Überprüfungen überhaupt durchführen zu können.»
Dass die Gewerkschaften jedoch an Macht verlieren würden, sollten die Lohnkontrollen künftig durch staatliche Stellen durchgeführt werden – daran besteht kein Zweifel.