Gesundheitsökonom Heinz Locher warnt vor Betreuungsnotstand
«Das System basiert auf Ausnützung»

Gesundheitsökonom Heinz Locher (80) kritisiert die Schweizer Betreuungsbranche: zu wenig Vorbereitung auf Babyboomer-Generation, prekäre Arbeitsverhältnisse und Mangel an Fachkräften.
Publiziert: 08.04.2024 um 00:14 Uhr
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Aktualisiert: 08.04.2024 um 10:33 Uhr
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Gesundheitsökonom Heinz Locher sieht grosse Probleme auf die Betreuungsbranche zukommen.

Blick: Herr Locher, Sie sehen grosse Probleme auf die Betreuungsbranche zukommen, wenn die Generation der Babyboomer ins Seniorenalter kommt. Warum?
Heinz Locher: Die Politik hat die demografische Entwicklung verschlafen und versucht nun – mit Pflästerlipolitik – vor allem die aktuellen Probleme zu lösen, statt die Zukunft zu planen. Der Markt der Seniorenbetreuung sollte fachgerechter reglementiert und kontrolliert werden.

Was konkret läuft schief?
Heute stellen die meisten Unternehmen ihre Arbeitnehmenden nur im Stundenlohn und auf Abruf an. Das heisst: Das System basiert auf Ausnützung. Rechtlich sind diese Firmen als Personalverleiher eingestuft – wie Escort Services. Das ist ein grober Missstand, der zu prekären Arbeitsverhältnissen führt.

Inwiefern?
Es gibt derzeit Zehntausende von ausgebildeten Leuten, ich nenne sie ketzerisch eine Reserve-Armee, die zu Hause sitzen oder andere Jobs machen und sich sagen: «Ich arbeite sicher nicht für dieses Geld in der Betreuungs- oder Pflegebranche.» Die Branche müsste das schleunigst beheben.

Welche Lösungen schlagen Sie vor?
Erstens: Wir müssen das Betreuungspersonal besser schulen, um dessen Potenzial voll auszuschöpfen. Zweitens: Wir müssen Betreuerinnen und Betreuer besser behandeln: ihnen einen fixen Monatslohn aus- und in ihre Pensionskassen einzahlen.

Sie sagen, es brauche künftig mehr Betreuung, nicht mehr Heime. Warum?
Ziel muss es sein, dass die Babyboomer, die jetzt ins Alter kommen, das Gesundheitswesen nicht überschwemmen, sondern es nur punktuell dort brauchen, wo es nötig ist.

Wer soll das bezahlen? Betreuungskosten gehen heute zulasten derer, die Betreuung in Anspruch nehmen.
Ich glaube, dass die Betreuung auf kantonaler Ebene via Ergänzungsleistungen, Prämienverbilligungen und Steuerabzügen für alle bezahlbar gemacht werden muss. Die Seniorinnen und Senioren behalten ihre Kaufkraft, um beispielsweise Betreuung zu finanzieren. Und für das System ist es insgesamt günstiger.

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